Medizin-Labors schröpfen Prämienzahler
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Internationaler Preisvergleich:Medizin-Labors schröpfen Prämienzahler

Internationaler Preisvergleich zeigt
Medizin-Labors schröpfen Prämienzahler

Medizinische Laboranalysen verursachen jedes Jahr Kosten in Milliardenhöhe. Das müsste nicht sein, wie ein internationaler Preisvergleich des Kassenverbands Santésuisse zeigt.
Publiziert: 12.07.2020 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2021 um 11:48 Uhr
Sven Zaugg

Ist die Niere geschädigt? Besteht Verdacht auf eine Infektion mit Chlamy­dien? Stimmt der Blutzuckerwert? Gibt es Anzeichen für eine Entzündung?

Um herauszufinden, was einem Patienten fehlt, verlassen sich Ärzte in vielen Fällen auf eine medizi­nische Laboranalyse von Blutproben, Urin, Stuhl oder Zell­material. Die Schweizerische Union für Labormedizin (Sulm) schätzt, dass sich heute fast 70 Prozent der ­Diagnosen auf medizinische Tests stützen. Und die kosten Geld, viel Geld.

2018 zahlten die Krankenkassen mehr als 1,5 Milliarden Franken für Laboranalysen. Allein die umsatzstärksten 70 Tests schlugen mit 938 Millionen Franken zu Buche. Ausgaben, die in den vergangenen Jahren deutlich stiegen, wie eine aktuelle Erhebung des Krankenkassenverbands Santésuisse zeigt, die SonntagsBlick exklusiv vorliegt.

Um herauszufinden, was mit dem Patienten nicht stimmt, greifen Ärzte in fast jedem Fall auf eine Laboranalyse des Blutes, des Urins oder des Zellmaterials zurück.
Foto: Jessica Keller
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Kosten liessen sich senken

Diese Kosten liessen sich nach Auskunft der Branchenorganisation markant senken, wie ein Preisvergleich mit dem Ausland ­illustriert. So kostet ein Chlamydientest, der Schweizer Labors jährlich einen Umsatz von fast 25 Millionen in die Kassen spült, hierzulande 95 Franken, in Österreich umgerechnet ­lediglich 18.02 Franken. ­Einen Vitamin-D-Bluttest veranschlagen die Labors in der Schweiz mit 53 Franken; in Holland kostet er nur 10 Franken, also weniger als ein Fünftel.

Würden hier ähnliche Preise abgerechnet wie in Nachbarländern, könnte die obligatorischen Krankenpflegeversicherung jährlich mehrere Hundert Mil­lionen sparen. Laut Santé­suisse-Gesundheitsökonom Markus Gnägi (56) würde der Prämienzahler damit um mehr als 600 Millionen Franken entlastet: «Grundsätzlich darf der Preis der Laborleistung in der Schweiz nicht höher sein als in vergleichbaren Ländern.»

Das Einsparpotenzial deckt sich auch mit den im Kon­sumentenmagazin «Saldo» publizierten Zahlen vom vergangenen Jahr, die vom Krankenkassenverband Curafutura erhoben wurden.

Hohe Personal- und Mietkosten

Ganz anders sieht das ­Willi Conrad (64): «Wir ­haben eine dezentrale, patienten­nahe Versorgung, die Laboratorien sind deshalb deutlich kleiner als zum ­Beispiel in Deutschland», so der Präsident des Verbands der medizinischen Laborato­rien. Die Produktionspreise in einem medizinischen Labor seien hingen stark von der ­Anzahl der durchgeführten Untersuchungen abhängig. «Zudem ­haben wir ein deutlich höheres Preisniveau.» Das zeige sich unter anderem in den Personal- und Mietkosten, die mit dem benachbarten Ausland nicht vergleichbar seien, sagt Conrad.

Das wiederum lässt Santésuisse-Gesundheitsökonom Gnägi nicht gelten: «Wir sprechen hier von Tests, die überall in Europa standar­disiert und maschinell durchgeführt werden.» Dafür brauche es fast kein Personal. «Nicht zuletzt deshalb sind die Preise auch vergleichbar. Was bleibt, sind die Margen der Labore, die hierzulande schlicht zu hoch sind. Die Zeche zahlen die Versicherten. Dagegen wehren wir uns», sagt Gnägi. Hinzu ­kämen Tests, die keinen Nutzen hätten.

Dem pflichtet auch Conrad bei: «Es gibt durchaus Tests, die unnötige Kosten verur­sachen.» Viele Vitamin-D-Tests seien aus diagnos­tischer Sicht fraglich. Genau diese Analysen verursachten jedoch gemäss Zahlen von Santésuisse 2018 Kosten von über 85 Millionen Franken. Sparpotenzial im Vergleich zum Ausland: mehr als 57 Millionen.

7000 Hausärzte mit eigenen Labors

Rund die Hälfte der Schweizer Tests wird von privaten Arztpraxen durchgeführt. Laut Sulm betreiben derzeit rund 7000 Hausärzte eigene Labors, in denen sie 33 Schnelltests durchführen, um Blut- oder Cholesterin-werte zu bestimmen.

Schnelltests sind standardisierte diagnostische ­Laboruntersuchungen, die unkompliziert und ohne grossen Zeitaufwand an ­nahezu jedem Ort durchführbar sind. Hinzu kommen Grosslabors von St. Gallen bis Genf, die eine weitaus breitere Palette an Tests ­anbieten – und ordentlich daran verdienen. Blutbilder beispielsweise werden maschinell im Minutentakt erstellt.

Die teuren Laboranalysen sind auch im Parlament umstritten. Im Dezember forderte CVP-Nationalrat Christian Lohr (58) den Bundesrat in einer Motion auf, die Preise von Laboranalysen zu senken, die zulasten der ­obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehen.

Auch andere Analysen sollen günstiger sein

«Ein solch krasser Preisunterschied mit dem Ausland kann nicht ausschliesslich durch die in der Schweiz höheren Kosten für Personal oder Miete gerechtfertigt werden», so Lohr zu SonntagsBlick: «Der Bundesrat hat während der Corona-Pandemie die Test-Kosten erheblich gesenkt», das sollte auch bei anderen Laboranalysen möglich sein.

Tatsächlich nahm das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Ende 2017 «aufgrund der schnellen Entwicklung der medizinischen Labordiagnostik» erneut eine Revision der Analysenliste in Angriff.

Eine Verbesserung für den Prämienzahler zeichnet sich jedoch nicht ab: «Das Eidgenössische Departement des Innern wird ­keine pauschalen Tarifsenkungen vornehmen, sondern den Tarif jeder Analyse neu berechnen», sagt BAG-Sprecher Grégoire Gogniat.

Die neuen Tarife werden alleine durch das BAG festgesetzt und nicht partnerschaftlich zwischen Ver­sicherern und Leistungs­erbringern verhandelt. Damit dürfte eine breite Preissenkung bei den Labortarifen in weite Ferne rücken.

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