Ist die Uhrenstadt zu abhängig von der Uhrenindustrie?
Biel läuft die Zeit davon

Der Exportstandort Biel boomt und leidet mit dem internationalen Markt. Dass in Asien nun keine Uhren mehr gekauft werden, bringt die finanziell angeschlagene Industriestadt in Bedrängnis. Hat sie es verpasst, sich von Firmen wie Swatch zu lösen?
Publiziert: 28.07.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2024 um 16:27 Uhr

Die Zeiger der Omega-Uhr beim Bieler Zentralplatz drehen weiter. Das Schild, an dem sie hängt, erzählt die Geschichte der Uhrenstadt. Omega, «seit 1848 ein Synonym für Exzellenz und Innovation», gehört heute zur Swatch Group. Dem Unternehmen, das die Stadt Anfang der 80er-Jahre rettete. Damals, als Asien Europa und die Schweiz mit Billiguhren überschwemmte. Und die stolze Schweizer Uhrenindustrie – und damit auch den Jurabogen – an den Rand des Ruins trieb.

Heute ist es wieder China, das die Uhrmacher in Bedrängnis bringt. Nicht als Hersteller, sondern als Abnehmer. Der asiatische Markt schwächelt. Im ersten Halbjahr brach der Umsatz der Swatch Group um 14,3 Prozent ein, die Gewinne um fast drei Viertel.

Biel und China sind näher, als man denkt

Zwischen Biel BE und Peking sind es rund 8000 Kilometer. Und doch sind die Städte näher, als man denkt. Nicht nur, weil wenige Meter von der kleinen Omega am Bieler Zentralplatz entfernt keine weitere Analoguhr aus der Schweiz, sondern LED-Lämpchen aus Fernost Datum und Zeit anzeigen.

Biel gilt als Uhrenstadt. Hier bieten die Grosskonzerne Swatch Group und Rolex Arbeitsplätze.
Foto: Linda Käsbohrer
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Der internationale Markt und die Stadt Biel, die vorwiegend die Exportindustrie beherbergt, sind eng verknüpft. Insbesondere, wenn sich die Uhrenindustrie verzockt. Denn die zweisprachige Kleinstadt zeigt sich träge, wenn es darum geht, sich von seinen beiden Riesen Rolex und Swatch Group zu emanzipieren, die der Stadt jährlich Millionenbeträge in die Kasse spülen.

«Das kleinste Virus im Exportmarkt, und wir sind hier alle zusammen krank», sagt Urs Stauffer, der bis 2021 rund 15 Jahre lang Steuerverwalter von Biel war. In einem Café erzählt der 71-Jährige, wie die Bieler Politik den Umbruch verpasst habe.

Firmenentscheidungen ausgeliefert

Schon lange sei klar, wie steuerlich abhängig die Stadt von den Exportmärkten und der Uhrenindustrie sei. Die Behörden hätten es verschlafen, auch andere, krisenresistentere Wirtschaftssektoren anzusprechen. Und würden auch heute kein Wille zeigen, dies zu ändern. «Das werfe ich den Verantwortlichen der Stadt vor.»

Kaum 300 Meter weiter empfangen Stadtpräsident Erich Fehr (55) und Finanzdirektor Beat Feurer (63) zum Gespräch. Nach einem kurzen Spaziergang durch die Bieler Altstadt nehmen sie in einem Sitzungszimmer der Präsidialdirektion Platz.

Das schlechte Halbjahr der Swatch Group liesse sie nicht zittern, sagen die beiden. «Wenn es der Uhrenindustrie nur kurzfristig schlecht geht, spüren wir das nicht», sagt Fehr.

Feurer fügt an, dass es im Exportmarkt immer schwächelnde Märkte gebe. Leichte Kritik am Kurs der Swatch lässt er dennoch durchscheinen. Bei der Konkurrenz aus Genf läuft es nämlich blendend. «Rolex hat sich anders positioniert als die Swatch Group. Das ist aber eine Firmenentscheidung. Da haben wir null Einfluss.»

Läuft es weiter schlecht, wird es für Biel schwierig

Deutlich lauter ist der Aufschrei über den Kurs von Konzernchef Nick Hayek (69) an der Börse. Aktionärinnen und Aktionäre kritisieren den Entscheid des Managements, trotz den schlechten Zahlen am gewählten Weg festzuhalten und keine Stellen abbauen zu wollen. Sogar ein Führungswechsel wird gefordert. «Kritik bestärkt uns umso mehr, unsere Strategie weiter umzusetzen», erwiderte Hayek Anfang Woche im «Bieler Tagblatt».

«Die Kritik war immer da», sagt Feurer. Für die Stadt sei nicht relevant, was an der Börse passiere. Relevant werde es, wenn Arbeitsplätze schwinden und Steuereinnahmen einbrechen. Immerhin: Der Standort Biel sei für die Swatch Group sehr wichtig, wie das Unternehmen auf Anfrage von Blick schreibt: «Es wurden in den letzten Jahren Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe getätigt.» Unter anderem in den Prestigeholzbau als neuen Hauptsitz und in ein neues Produktionsgebäude. Und auch in Zukunft will man weiter investieren.

Hayek und die Swatch Group zeigen sich zuversichtlich, im zweiten Halbjahr die Kurve zu kriegen. Passiert das nicht, könnte sich das auch steuerlich auswirken. «Dann kann ich mir vorstellen, dass es für die Stadt ein relativ heftiges Jahr geben könnte», sagt Ex-Steuerverwalter Stauffer. Denn Biel – oft als Armenhaus der Schweiz betitelt – bezieht einen bedeutenden Teil seiner Unternehmenssteuern aus der Präzisionsindustrie. Wie viel davon effektiv aus der Tasche von Rolex und der Swatch Group stammen, könne die Stadtverwaltung nicht beantworten, sagt Feurer. Zahlen zu einzelnen Firmen fehlten.

Biel wisse durchaus, wie relevant Swatch und Rolex für den Steuerhaushalt sind, entgegnen mehrere gut unterrichtete Quellen gegenüber Blick. Die beiden Unternehmen machen fast die Hälfte der jährlichen Steuereinnahmen von den juristischen Personen aus.

Trotz Grosskonzernen hoch verschuldet

Trotz des Geldes der Uhrenkonzerne ist Biel stark verschuldet. Beinahe eine Milliarde Franken. Die Stadt steckt mitten in einem Sparprogramm. Die Steuern sind hoch. Und die Stadt hat so viele Sozialhilfebezüger pro Einwohner wie keine andere in der Schweiz. Auch eine Folge der Uhrenindustrie: Sie sorgte dafür, dass sich hier vor allem einkommensschwache Menschen ansiedelten.

Immerhin geht es aufwärts: Die Steuereinnahmen steigen – besonders in den vergangenen zwei Jahren. Das Jahr 2023 schloss Biel trotz budgetiertem Defizit mit einer schwarzen Null ab.

In den letzten Jahren zogen immer mehr einkommensstarke Menschen zu. «Wir haben bereits 2017 eine Kampagne gestartet, damit Bielerinnen und Bieler Auswärtige dazu motivieren, hierherzuziehen.» Mit «Willkommen in Biel» sollten innerhalb eines Jahrzehnts 10 Millionen Franken mehr Steuern einfliessen. «Die Zahlen zeigen, dass es funktioniert», sagt Fehr.

Innovationspark als Lösung?

Darüber, weshalb die Leute kommen, scheiden sich jedoch die Geister. Für Urs Stauffer ist es der schwindende Wohnraum in anderen Städten. Für Fehr ist die Ansiedlung der Beweis einer funktionierenden Wirtschaftsförderung. «Biel erkennt die Zeichen der Zeit. Daher haben wir mit Kanton und der Berner Fachhochschule vor elf Jahren den Innovationspark gegründet. Das ist die Mutter aller Massnahmen.»

Der Bieler Innovationspark ist einer von fünf Standorten in der Schweiz, der wissenschaftliche Institutionen mit Industriepartnern verknüpft. Ob er die richtige Lösung für die Stadt ist, bleibt umstritten. «Er wird kaum Wertschöpfung einbringen», sagt Stauffer. «Dort wird geforscht und entwickelt. Es ist illusorisch, zu hoffen, dass dadurch viele Arbeitsplätze entstehen, die sich steuerlich auswirken.»

Stadtpräsident Fehr blättert im Papierstapel, der vor ihm liegt. Auf einem der Blätter sind Logos von Unternehmen zu sehen, die in den letzten Jahren den Standort Biel gewählt haben. Das Schaffhauser Industrieunternehmen Georg Fischer etwa. Oder die Technologiefirma Harting, die nächstens ausbauen wird. «Dort, wo die Stadt gefordert ist und wo sie etwas machen kann, haben wir das Richtige gemacht», sagt Fehr.

Die Stadt sieht keine Abhängigkeit

Stauffer sieht das anders. «Wenn wir das Gesamtsteueraufkommen in den Industriezonen aufaddieren, ist das aus meiner Sicht einfach ungenügend.»

Andere Stimmen werden gegenüber Blick noch deutlicher: Gewisse Unternehmen, die sich in den letzten Jahren in Biel ansiedelten, profitierten noch so massiv von Steuererleichterungen, dass sie der Stadt bloss ein paar Tausend Franken pro Jahr abdrücken müssten.

Eine Abhängigkeit von den Uhrenfirmen wollen Fehr und Feurer dennoch nicht sehen. «Aber natürlich sind die grossen Uhrenfirmen für Biel relevant. Sie sind Vorbild für eine ganze Industrie.»

Der abtretende Stadtpräsident – Fehr wird sich im Herbst nicht mehr zur Wahl stellen – scheint die Probleme lieber kleinreden zu wollen, als sie zu benennen. «Manchmal geht es ein bisschen hoch, manchmal geht es ein bisschen runter. Mit dem leben die Bielerinnen und Bieler. Das raubt uns wirklich nicht den Schlaf», sagt er mit einem Lachen. Dann blättert er erneut im Dossier, das vor ihm liegt und schwärmt, welche Grossunternehmen sich dem Innovationspark angeschlossen haben.

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