Jürg Stöckli verteilte jahrelang SBB-Milliarden – jetzt steht er im Sold der Empfänger
Filz nach Schweizer Art

Er machte die Bahn zum Immobilien­konzern. Nun sitzt Jürg Stöckli im Verwaltungsrat von Baufirmen, die SBB-Millionenaufträge erhalten.
Publiziert: 01.08.2020 um 23:27 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2021 um 10:03 Uhr
Jürg Stöckli (50) heuerte nach seinem Abgang bei den SBB bei mehreren Firmen an, die von den SBB in der Vergangenheit Millionenaufträge erhalten haben – und in Zukunft weitere erhalten wollen.
Foto: Severin Nowacki
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Thomas Schlittler

In wenigen Jahren sind die SBB zur zweitgrössten Immobilienfirma der Schweiz geworden. 2019 nahmen sie 559 Millionen Franken Miete ein – das toppt hierzulande nur der Lebensversicherer Swiss Life.

Weil dieses Geld das Bahnsystem subventioniert, wollen die SBB das Immobiliengeschäft weiter ausbauen. Bis 2037 sollen die Mieterträge auf bis zu 1,253 Milliarden pro Jahr steigen. Entsprechende Grossprojekte sind bereits aufgegleist.

Bauprojekte für über vier Milliarden Franken

Entscheidend für diese Entwicklung war Jürg Stöckli (50), von 2010 bis Ende 2018 Chef von SBB Immobilien. Unter seiner Ägide investierte der Staatsbetrieb mehr als vier Milliarden Franken in neue Bauprojekte. Stöckli hatte mass­geb­lichen Einfluss darauf, was wann wo gebaut wird – und wer die Aufträge erhält.

Nach seinem Abgang bei den SBB sammelte Stöckli fleissig Verwaltungsratsmandate. Das Pro­blem: Der Berner heuerte bei mehreren Firmen an, die mit den SBB eng verbunden sind, in der Vergangenheit Millionenaufträge erhalten haben – und in Zukunft weitere erhalten wollen.

Herausragendstes Beispiel ist Allreal. Das Generalunternehmen führt aktuell einen prestigeträchtigen Grossauftrag der SBB aus: Das Projekt «Letzi Turm» in Zürich-Altstetten, wo zwei 70 Meter hohe Wohnhäuser entstehen. Sie sollen zum Wahrzeichen eines neuen Stadtgebiets werden. Auftragsvolumen: 70 Millionen Franken.

Der Zuschlag erfolgte im November 2019 – sieben Monate nachdem Stöckli in den Allreal-Verwaltungsrat gewählt worden war, ein Mandat, das ihm pro Jahr 80'000 Franken einbringt.

Fragwürdige Engagements

Fragen wirft auch Stöcklis Engagement bei der Erne-Gruppe auf, mit mehr als 1000 Mitarbeitern eine der grössten Baufirmen der Schweiz. Das Unternehmen hat immer wieder Aufträge der SBB erhalten – seit 2010 summierten sie sich auf rund 50 Millionen Franken. Den bisher letzten Zuschlag erhielt Erne im November 2018 für die Instandsetzung der Perronhallen im Bahnhof Basel und kassierte dafür 18,5 Millionen Franken – ein ­halbes Jahr später wurde Stöckli in den Verwaltungsrat des Bauunternehmens gewählt.

Ein wichtiger Auftraggeber sind die SBB auch für die Vebego AG, mit mehr als 6000 Mitarbeitenden einer der grössten Player im ­Bereich Facility-Management. 2014 erhielt Vebego für 33,8 Mil­lionen Franken den Zuschlag für die Innenreinigung der grossen SBB-Bahnhöfe. 2018 kam für 5,6 Millionen das Gebäudemanagement des SBB-Hauptsitzes in Bern-Wankdorf dazu. Im September 2019 schliesslich der Betrieb von Hygiene­centern an Bahn­höfen. Auftragsvolumen: 6,8 Millionen. Und wer sitzt bei Vebego seit April 2019 im Verwaltungsrat? Genau: Jürg Stöckli.

Sind die Verwaltungsratsmandate vertretbar?

Wie viel ihm die Verwaltungsratsmandate bei Erne und Vebego einbringen, ist nicht bekannt. Die Familienunternehmen ver­öffentlichen ihre Geschäfts­berichte nicht.

Was bekannt ist: Von Garaio Rem erhält Stöckli 25'000 Franken pro Jahr. Das Unternehmen liefert Software für die Immobilienverwaltung. Im Oktober 2018 konnte es die Pensionskasse der SBB als Kunde gewinnen. Im ­Dezember 2019 erhielt Ga­raio AG, die Muttergesellschaft der Garaio Rem, von den SBB zudem einen Zuschlag als «strategischer Technologiepartner für den Bereich Digital Workplace». Das brachte der Firma zwischen 7,9 und 10,1 Millionen Franken ein. Dazwischen, im Oktober 2019, vermeldete Ga­raio Rem das Engagement von Jürg Stöckli.

Allreal, Erne, Vebego und Garaio Rem: Zusammen haben diese Firmen von den SBB seit 2010 öffentliche Gelder von weit mehr als 200 Millionen Franken erhalten. Ist es vertretbar, dass Stöckli nun überall dort im Verwaltungsrat sitzt?

Wer stellt sicher, dass diese ­Firmen die SBB-Aufträge erhalten haben, weil sie das beste An­gebot hatten – nicht nur den richtigen Mann im Verwaltungsrat? Und wer garantiert, dass Stöckli während seiner Zeit bei den SBB nicht auf diese lukrativen Man­date in der Privatwirtschaft hin­gearbeitet hatte?

«Das wäre quasi ein Berufsverbot»

Die Beteiligten wehren sich gegen den Vorwurf von Filz und Vetternwirtschaft. «Die Verwaltungsratsmandate von Jürg Stöckli hatten und haben keinen Einfluss auf die Vergaben der SBB», sagt SBB-Sprecher Jürg Grob. Auftragsvergaben unterstünden strengen Vergaberichtlinien. Zudem ­seien stets mehrere Personen und Gremien involviert, der Prozess werde juristisch begleitet. Des ­Weiteren überprüfe der SBB-Ver­waltungsrat laufend, ob die Zusammenarbeit mit Firmen, in denen ehemalige Konzernleitungs­mit­glieder Einsitz haben, den Com­pliance-Regeln entsprächen. «Dabei werden auch mögliche Mass­nahmen evaluiert, bis hin zur Einschränkung der Zusammenarbeit mit betroffenen Firmen», so Grob.

Stöckli selbst betont, dass er die Mandate aufgrund seines Leistungsausweises bei den SBB erhalten habe und nicht durch Filz. Zudem habe er die Kontakte zu den Ex-Kollegen bei den SBB beendet.

Und generell gibt Stöckli zu be­denken: «Sollten Mitarbeiter der SBB Immobilien nach dem Austritt nicht bei Firmen tätig sein dürfen, die mit SBB Immobilien in einem Auftragsverhältnis standen, so wäre dies quasi ein Berufsverbot, da fast alle Firmen im Immobilienbereich mit der SBB in irgendeiner Weise eine Geschäftsbeziehung pflegen.»

Diese Aussage belegt zumindest, wie mächtig die SBB auf dem ­Immobilienmarkt Schweiz mittler­weile geworden sind.

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