Justiz gibt Kampf gegen Mahn-Masche auf
Schwyzer Mutter bleibt auf 541-Fr-Porno-Abo sitzen

Man habe ein Porno-Abo gelöst, behauptet die Firma Obligo – und fordert Geld ein. Bisher scheiterten alle Anläufe, das Schwyzer Unternehmen juristisch zu belangen. Das berichtet der «Beobachter».
Publiziert: 31.05.2023 um 19:13 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2023 um 20:50 Uhr
Raphael Brunner, «Beobachter»
Beobachter

Maryam Tekle* guckt angeblich gern Pornos. Am 16. Juli 2020 soll die Mutter von vier Kindern um 2.30 Uhr über ihr Handy einen Zugang für die Pornoseite «pornxhub.cc» angefordert haben. Das behauptet die Obligo AG – und fordert seither Abokosten ein. Mittlerweile in der Höhe von 541 Franken.

Die Masche ist seit Jahren bekannt. Die Firma mit Sitz in Rigi Klösterli SZ verschickt Rechnungen für angeblich abgeschlossene Pornoabos – mit dem Ziel, dass die Betroffenen irgendwann zahlen. Aus Angst, Scham oder um nicht weiter belästigt zu werden.

Die angeschriebenen Personen hätten einen Gratiszugang zu Pornowebsites aktiviert, argumentiert Obligo. Wie es in den Vertragsbedingungen stehe, wandle sich dieser nach drei Tagen automatisch in ein Bezahlabo um. Wer nicht zahlt, bekommt mit der Zeit immer höhere Rechnungen.

Die Mutter soll bei «pornxhub.cc» ein teures Abo gelöst haben.
Foto: Screenshot Blick

Anruf aus dem Nichts

Der «Beobachter» und andere Medien haben wiederholt über diese Praxis berichtet. Erst ein «Gratis-Zugang», dann die Rechnung. Doch Obligo macht ungeniert weiter. Jede Woche melden sich Betroffene und Hilfesuchende beim «Beobachter»-Beratungszentrum. In den vergangenen zwei Jahren waren es 329 Anfragen.

Nicht bei allen Betroffenen verhält sich die Sachlage gleich. Einige berichten, sie seien beim Surfen im Internet tatsächlich auf einer Pornoseite gelandet. Sie hätten aber kein Abo gelöst und auch keine Telefonnummer hinterlegt, sondern so schnell wie möglich weggeklickt. Andere sagen, sie seien nie auf einer Pornoseite gewesen.

Zu ihnen gehört Maryam Tekle. Sie stammt aus Eritrea, lebt seit acht Jahren in der Schweiz und hat den Aufenthaltsstatus einer vorläufig aufgenommenen Geflüchteten. Aus dem Nichts heraus habe eines Tages ein Mann angerufen und nach ihrer Adresse gefragt, erzählt Andreas Wieland.

Er und seine Frau unterstützen die geflüchtete Frau und ihre Familie seit Jahren, halfen beim Deutschlernen und bei der Stellensuche. «Frau Tekle spricht gebrochen Deutsch, kann sich unterhalten, einem gewieften Kommunikationsprofi ist sie aber nicht gewachsen. Sie wusste gar nicht, was der Mann am Telefon genau von ihr wollte, und hat ihm die Adresse wohl genannt.»

Obligo muss Beweis erbringen

Seither wird Tekle mit Rechnungen eingedeckt. Gezahlt hat sie nie – wie es der «Beobachter» allen Betroffenen empfiehlt. Inzwischen droht Obligo mit Betreibung. Davor fürchtet sich die Geflüchtete mit Status F, die als Reinigungskraft arbeitet. «Sie hat Angst, dass ein Eintrag im Betreibungsregister verhindern könnte, dass sie eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung erhält», sagt Helfer Wieland.

Trotzdem rät der «Beobachter», sich nicht unter Druck setzen zu lassen und die Rechnungen nicht zu bezahlen. Denn die Rechtslage ist eindeutig. «Solange die Obligo keinen eindeutigen Beweis vorlegt, dass man einen kostenpflichtigen Vertrag abgeschlossen hat, ist nichts geschuldet», sagt Nicole Müller vom «Beobachter»-Beratungszentrum. Ein solcher Vertrag entsteht noch nicht, wenn man auf einen Pornolink klickt. Einem Bezahlabo kann man nur verbindlich zustimmen, wenn der Preis auf oder direkt neben dem Bestellbutton steht. In den AGB versteckte automatische Umwandlungen in einen kostenpflichtigen Dienst sind juristisch nicht verbindlich.

Das Beratungszentrum des Beobachters kennt denn auch keinen Fall, in dem die Obligo eine Betreibung eingeleitet hat. Wenn tatsächlich trotzdem ein Zahlungsbefehl kommt, können Betroffene innert zehn Tagen Rechtsvorschlag erheben. Andreas Wieland hat sich von Maryam Tekle vorsorglich eine Vollmacht geben lassen, dass die Obligo alle Korrespondenz nur noch über ihn führen soll. «Trotz mehrmaligem Nachhaken ignoriert das die Firma aber und schreibt immer wieder Frau Tekle an, die sich schlecht wehren kann», sagt der pensionierte Ingenieur.

Obligo spricht von «widerlegter Ausrede»

Die Obligo selbst hat auf eine Anfrage des «Beobachters» nicht geantwortet. Gegenüber der Sendung «Kassensturz», die sie zu den gleichen Vorwürfen befragte, schrieb die Firma in einer Stellungnahme Mitte Mai: Es sei technisch unmöglich, dass jemand eine Rechnung bekomme, ohne die Pornowebsite besucht und seine Telefonnummer eingegeben zu haben. «Dass Konsumenten im Nachhinein behaupten, gar kein Abo abgeschlossen zu haben, ist eine ebenso oft gehörte wie widerlegte Ausrede.» Generell sei man nur ein Zahlungsdienstleister, der die Rechnungen für die (in der Regel ausländischen) Pornoseitenbetreiber eintreibe.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Die Schwyzer Staatsanwaltschaft hat jahrelang gegen Obligo wegen Verdachts auf unlauteren Wettbewerb ermittelt. Sie kam jedoch zum Schluss, dass sie der Firma keine Straftat nachweisen könne, und stellte das Verfahren ein. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und die Westschweizer Konsumentenorganisation FRC fochten diesen Entscheid an – und bewirkten, dass der Fall Obligo nach dem Grundsatz «In dubio pro duriore» («Im Zweifel muss angeklagt werden») von einem Gericht beurteilt werden muss. So kam es im September 2022 zu einer Anklage. Im Verfahren traten das Seco und FRC neben anderen Betroffenen als Nebenkläger auf.

Staatsanwalt knickt ein, Seco macht weiter

Das Bezirksgericht sprach die Angeklagten – zwei Verantwortliche der Firma – jedoch vom Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs frei. Als Grund nannte das Gericht gemäss der Zeitung «Blick» unter anderem, dass die Obligo mehrmals beim Seco angefragt habe, was man beim Bestellverfahren besser machen könnte, aber keine Antwort erhalten habe.

Die Staatsanwaltschaft Schwyz, die das Gerichtsverfahren gar nicht erst führen wollte, meldete zunächst Berufung gegen das Urteil an. Nachdem das begründete Urteil vorgelegen hat, akzeptiert sie nun aber das Urteil. Das Seco und FRC hingegen haben gegen den Freispruch für die Obligo Berufung eingelegt. Das Verfahren ist deshalb auch ohne das Zutun der zuständigen Staatsanwaltschaft beim Kantonsgericht Schwyz hängig. Die Strafuntersuchungsbehörde ermittelt nun statt gegen die Obligo direkt gegen die ausländischen Pornoseitenbetreiber.

* Name geändert

«Ich habe 70'000 Franken ausgegeben!»
8:04
Opfer von Sex-Chat packen aus:«Ich habe 70'000 Franken ausgegeben!»
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