Kampf gegen Klimawandel: Geld investieren oder auf teure «lebensverlängernde Massnahmen» verzichten?
Wintersportorte kämpfen ums Überleben

Der Klimawandel setzt zahlreichen Wintersportorten zu. Die Anpassungen verlangen hohe finanzielle Mittel. Tschiertschen GR hat eine Blaupause für langfristige Finanzierung vorgelegt. Experten gehen trotzdem davon aus, dass noch einige Skigebiete eingehen.
Publiziert: 27.02.2024 um 15:32 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2024 um 14:45 Uhr
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Die Zahlen sprechen für sich: Während Skigebiete oberhalb von 1800 Metern im vergangenen Jahr starke Besucherzuwächse verzeichneten, sah es unterhalb zappenduster aus. Laut Seilbahnen Schweiz sind in Skigebiete zwischen 1000 und 1200 Metern die Besucherzahlen um fast die Hälfte eingebrochen, in den mittleren Lagen von 1200 bis 1800 Metern lagen die Rückgänge zwischen 20 und 30 Prozent.

Skigebiete wie Jaun-Gastlosen FR, Moléson FR oder Sattel-Hochstuckli SZ kämpfen schon lange mit Schneemangel. Es geht nicht nur um die Bahnen und Pisten: «Der Dorfladen, die Post, das Vereinsleben, die Hofläden und nicht zuletzt auch die Gastronomie im Dorf wären ohne den Wintertourismus definitiv in grosser Gefahr», sagt eine Sprecherin von Marketing Tschiertschen GR.

Das «Modell Tschiertschen»

Der Bündner Ort hat im letzten Herbst das Kunststück geschafft: Dank einer Kapitalerhöhung kamen 1,2 Millionen Franken für die lokalen Bergbahnen zusammen, und mit einem per Abstimmung mit grosser Mehrheit verabschiedetem Tourismusgesetz nochmals 200'000 Franken jährlich von der Gemeinde. Die Finanzierung des Skibetriebs ist damit auf zehn Jahre hinaus gesichert. Das war sogar dem deutschen «Spiegel» einen Bericht wert.

Tschiertschen GR hat mit einem aufwändigen Modell eine Finanzierung für die nächsten 10 Jahre und darüber hinaus gesichert.
Foto: Urs Homberger Arosa Switzerland
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Aber: Bei schlechten Schneeverhältnissen gibt es trotz allem keinen Skispass. Und das war in den letzten Jahren öfters der Fall. Eine Investition ins Leere?

«Das Konzept ist nicht nur eine Finanzierungshilfe der Bergbahnen, sondern sichert die nachhaltige Weiterentwicklung des touristischen Standorts über die zehn Jahre hinaus», so die Sprecherin aus Tschiertschen. Zum Konzept gehöre eine Erhöhung der Bettenkapazität mit einer «Resort-Zone». Damit kann die betriebswirtschaftlich nötige Erhöhung der Frequenzen bei den Bergbahnen erreicht werden. Dann erst sei eine durchgängige Beschneiung finanzierbar, um auch die nötigen 100 Skitage garantieren zu können.

Sechs Jahre hat Tschiertschen an diesem Modell gefeilt. Eine Blaupause für das gegenüberliegende Skigebiet Hochwang GR. Dort stehen in diesem Winter die Bahnen still – mit einem «Modell Tschiertschen» soll auch hier der langfristige Betrieb gesichert werden.

Blaupause für weitere Skigebiete

Tschiertschens Erfolgsgeheimnis? Die «frühzeitige, intensive und hartnäckige Zusammenarbeit zwischen allen Interessensgruppen». Diese habe nicht nur mit Idealismus privater Investoren und der Romantik kleinerer Skigebiete zu tun, sondern mit harten wirtschaftlichen Fakten: «Dass der Wert der Liegenschaften der vielen Zweitbewohner sowie auch der Einheimischen mit fehlender Bergbahn sofort erheblich sinken würde, wurde vielen sehr schnell bewusst», führt die Sprecherin aus.

Die Gretchenfrage: Sollen tiefer gelegene Skigebiete viel Geld investieren, um trotz Klimawandel offenbleiben zu können? Oder gleich auf kostspielige «lebensverlängernde Massnahmen» verzichten?

Für einen wirtschaftlichen Schneesportbetrieb braucht es eine Mindestanzahl an Schneetagen pro Saison. Die sind aber immer weniger vorhanden. Die Pistenbewirtschaftung ist teuer, eine technische Beschneiung kann sich nicht jeder leisten – denn ein Kilometer Piste mit technischer Beschneiung bedarf ungefähr einer Million Franken an Investition, heisst es vonseiten des Spezialisten TechnoAlpin. In der Schweiz verfügen erst rund 50 Prozent der Pisten über die Möglichkeit einer technischen Beschneiung.

«Die Finanzierung wird auch schwieriger, weil viele Banken wegen unberechenbaren Schneeverhältnissen Risikozuschläge auf Kredite erheben», erklärt Jürg Stettler (59), Leiter des Instituts für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern.

Wandel ist gefragt – aber das braucht Geld

Das muss aber nicht zwingend das Aus für tiefere Skigebiete bedeuten: «Entweder sie schaffen es, verstärkt Geld im Sommer zu verdienen, oder sie müssen Geld von der öffentlichen Hand erhalten – meist ist beides nötig», so Stettler.

Als positives Beispiel nennt er Flumserberg SG, wo eine hybride Angebotsform einen schnellen Wechsel von Winter- zu Sommeraktivitäten ermöglicht. «Viele Skigebiete können eine solche Transformation aber aus finanziellen Gründen nicht machen», führt Stettler aus. Denn Skilifte bringen im Sommergeschäft nichts. Sessellifte und Seilbahnen wiederum sind teurer in der Anschaffung und Instandhaltung und unterliegen einer strengen Regulierung.

Stettler bilanziert: «Jede Gemeinde muss eine Ertragskraftrechnung machen und sich genau fragen, ob man sich Wintersportstrukturen leisten kann oder sogar muss.» Ihm zufolge dürfte für einige die Rechnung nicht aufgehen.

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