Kein Internet? Keine Päckli! Parkinson-Patient Markus Studer (66) klagt
«Die Post liess mich im Stich!»

Pensionär und Parkinson-Patient Markus Studer kam nicht zu seinem Päckli und eingeschriebenen Postsendungen, weil er nicht mobil ist und keinen Zugang zum Internet hat. Sein Fall ist exemplarisch in einer Zeit, wo Digitalisierung mit Volldampf Einzug hält.
Publiziert: 05.11.2019 um 22:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2020 um 09:10 Uhr
Claudia Gnehm

Pensionär Markus Studer (66) aus Zürich ist aufgebracht. Er fühlt sich von der Post bestraft, weil er zu wenig fit ist für das Internet und den Gang zur Postfiliale. Trotz Hilfe eines Kollegen und der Spitex kam er über Wochen nicht zu seinem Paket und eingeschrieben Briefen. «Statt dem Kunden etwas gut und verständlich zu erklären, hat mich die Post wie der letzte Dreck behandelt», erklärt Studer dem BLICK. Das Sprechen strengt ihn an, seine Hände zittern.

Doch dem schwer unter Parkinson leidenden Studer ist es wichtig, BLICK zu erzählen, was ihm widerfuhr. Sein Kampf gegen die Mühlen des Postapparates fing an, als der Pöstler bei ihm klingelte. Da er zu 80 Prozent invalid sei und der Postbote keine zwei Minuten warten konnte, bis er an der Tür war, ging die Sendung zurück in die Postfiliale. Darauf habe er seinen Kollegen Hans Pfister (76) gebeten, Päckli und Eingeschriebenes in der Postagentur abzuholen, erzählt Studer.

Trotz Dokumenten abgewiesen

Diesem habe er neben dem Empfangsschein extra eine handschriftliche Vollmacht und seine Identitätskarte mitgegeben. Doch die Postfiliale wollte das Päckli mit Medikamenten und Gerichtsdokumente nicht aushändigen. «Mein Kollege wurde in der Agentur doof von der Seite angesprochen und abgewiesen», empört er sich.

Pensionär Markus Studer leidet unter Parkinson und kann nicht alleine zur Postfiliale laufen.
Foto: Claudia Gnehm
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Damit jemand seine Post abholen könne, müsse er eine Vollmacht online herunterladen und mit PC ausfüllen, habe die Zuständige am Schalter gesagt. Doch weder er noch sein Kollege hätten einen Computer. Studer bricht mehrmals in Tränen aus. «Invalide Mitmenschen so zu behandeln, ist eine Schande.»

Die Post bedauere diesen Vorfall sehr, sagt Post-Sprecherin Jacqueline Bühlmann zu Studers Fiasko. Aber die Vorwürfe weist sie zurück. Der Post sei es ein grosses Anliegen, ihre Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. Allerdings habe der gelbe Staatsbetrieb das Postgeheimnis zu wahren. «Deswegen kam es im vorliegenden Fall zu diesem Ärgernis.»

Einige Postleistungen gibt es nur online

Zeigt die Reaktion der Postmitarbeiter nicht doch auch, dass die Post bei Alltagsleistungen Handy und Computer voraussetzt – und Menschen ausschliesst, die nicht digital unterwegs sind? Die Post-Sprecherin räumt ein: «Es gibt tatsächlich Leistungen, die nur online verfügbar sind.»

Die meistgenutzten Lösungen seien aber online sowie am Schalter und per Telefon erhältlich. Allerdings sei die Identifikation via Telefonkanal nicht gleich sicher wie am Schalter oder online, schiebt Bühlmann nach. Deswegen würden gewisse Dienstleistungen nur am Schalter und online, nicht aber via Telefon angeboten.

Menschen, die es weder an den Schalter noch ins Internet schaffen, empfiehlt Bühlmann, im Voraus eine Dauervollmacht zu lösen. Diese kann mithilfe eines Bekannten online erfasst werden. Dazu aber braucht es mindestens einen Computer mit Zugang zum Internet, wie Markus Studer erfahren musste.

Digitalisierung führt zu sozialer Ungleichheit im Alter

Eigentlich stelle die zunehmende Digitalisierung von Dienstleistungen gerade für Menschen, die nicht mehr so mobil sind, eine grosse Chance dar, sagt Sabina Misoch (49), Leiterin des Kompetenzzentrums Alter an der Fachhochschule St. Gallen.

Aber für Menschen, die nicht mithalten wollten oder könnten, stelle diese Entwicklung, wie dieser Fall zeige, auch ein Risiko dar. Sie können ausgeschlossen werden – die Folge sei soziale Ungleichheit im Alter.

«Personen, welche die digitalisierte Version einiger Dienstleistungen nicht nutzen, werden unter Umständen auf mehreren Ebenen benachteiligt», führt Misoch aus. Sie müssen zusätzliche Kosten tragen, etwa Gebühren für Rechnungen, Vollmachten oder Reisen zur nächsten Postfiliale. Hinzu kämen emotionale Kosten wie Gefühle der Unzulänglichkeit und Ausgeschlossenheit.

Immer weniger digitale Offliner unter Senioren

Von den digitalen Dienstleistungen nutzen über 65-Jährige am meisten die Informationssuche im Internet, Bezüge an Geldautomaten, aber auch E-Banking. Das zeigt die Studie «Digitalisierung & Alter» der Fachhochschule St. Gallen.

Laut dieser kaufen Senioren kaum über das Internet ein, nutzen selten Self-Scanning im Supermarkt, ebenso wenig ÖV-Apps, Online-Reisebuchungen oder -Check-in, sagt Sabina Misoch (49), Leiterin Kompetenzzentrum Alter der Fachhochschule. Sie verantwortete die Studie.

Entsprechend zeigten sich die Senioren am meisten von ÖV-Apps, Online-Buchungen oder -Bestellungen gefordert. Etliche Umfrageteilnehmer hätten zudem das Fehlen von menschlichen Kontakten bemängelt.

Sozialer Kontakt im Alter wichtig

Soziale Kontakte würden im dritten und vierten Lebensalter immer wichtiger werden, so Misoch. «Die ausserhäusliche Erledigung von Alltagsaufgaben generiert Sinn, und der Trend zur Virtualisierung von Dienstleistungen kann demnach der Vereinsamung respektive dem sozialen Ausschluss älterer Menschen Vorschub leisten.»

Offliner gaben in einer Studie der Universität Zürich und Pro Senectute folgende Gründe für die Nichtnutzung des Internets an: Kompliziertheit der Benutzung (70 Prozent), Sicherheitsbedenken (64 Prozent) und zu hoher Aufwand beim Erlernen (63 Prozent).

Interessiert sind Senioren schon

Desinteresse kann man der älteren Generation trotzdem nicht vorwerfen, wie die Erfahrungen der SBB mit ihren Seniorenschulungen für den Ticketkauf über das Smartphone zeigen. Die Kurse werden zusammen mit Pro Senectute seit einigen Jahren angeboten. Pro Monat gibt es rund zehn Schulungen über die ganze Schweiz gesehen. «Die Nachfrage nach diesen ist in etwa konstant, mit leichter Aufwärtstendenz», sagt SBB-Sprecher Oli Dischoe.

Die Swisscom unterrichtete seit 2008 mehrere Hunderttausend Kundinnen und Kunden in der Nutzung des Smartphones. Die Altersklasse der 60- bis 80-Jährigen mache dabei die grösste Gruppe aus, sagt Swisscom-Sprecher Armin Schädeli. Er beobachtet: «Es gibt in der Schweiz einen Trend, dass sich Senioren aktiv um ihre eigene Digitalisierung kümmern.»

Gemäss Pro Senectute finden Senioren und Seniorinnen bei digitalen Hürden meistens Lösungen im privaten Umfeld. Zudem würden administrative Hilfe und Treuhanddienste von Pro Senectute vermehrt nachgefragt, sagt Pro-Senectute-Sprecherin Judith Bucher. Claudia Gnehm

Von den digitalen Dienstleistungen nutzen über 65-Jährige am meisten die Informationssuche im Internet, Bezüge an Geldautomaten, aber auch E-Banking. Das zeigt die Studie «Digitalisierung & Alter» der Fachhochschule St. Gallen.

Laut dieser kaufen Senioren kaum über das Internet ein, nutzen selten Self-Scanning im Supermarkt, ebenso wenig ÖV-Apps, Online-Reisebuchungen oder -Check-in, sagt Sabina Misoch (49), Leiterin Kompetenzzentrum Alter der Fachhochschule. Sie verantwortete die Studie.

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Sozialer Kontakt im Alter wichtig

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Offliner gaben in einer Studie der Universität Zürich und Pro Senectute folgende Gründe für die Nichtnutzung des Internets an: Kompliziertheit der Benutzung (70 Prozent), Sicherheitsbedenken (64 Prozent) und zu hoher Aufwand beim Erlernen (63 Prozent).

Interessiert sind Senioren schon

Desinteresse kann man der älteren Generation trotzdem nicht vorwerfen, wie die Erfahrungen der SBB mit ihren Seniorenschulungen für den Ticketkauf über das Smartphone zeigen. Die Kurse werden zusammen mit Pro Senectute seit einigen Jahren angeboten. Pro Monat gibt es rund zehn Schulungen über die ganze Schweiz gesehen. «Die Nachfrage nach diesen ist in etwa konstant, mit leichter Aufwärtstendenz», sagt SBB-Sprecher Oli Dischoe.

Die Swisscom unterrichtete seit 2008 mehrere Hunderttausend Kundinnen und Kunden in der Nutzung des Smartphones. Die Altersklasse der 60- bis 80-Jährigen mache dabei die grösste Gruppe aus, sagt Swisscom-Sprecher Armin Schädeli. Er beobachtet: «Es gibt in der Schweiz einen Trend, dass sich Senioren aktiv um ihre eigene Digitalisierung kümmern.»

Gemäss Pro Senectute finden Senioren und Seniorinnen bei digitalen Hürden meistens Lösungen im privaten Umfeld. Zudem würden administrative Hilfe und Treuhanddienste von Pro Senectute vermehrt nachgefragt, sagt Pro-Senectute-Sprecherin Judith Bucher. Claudia Gnehm

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Die Präsidentin des Zürcher Senioren- und Rentnerverbands, Cäcilia Hänni (59), glaubt, dass der Fall von Studer weniger mit Digitalisierung zu tun hat. Vielmehr sieht sie darin «fixe Prozesse innerhalb eines privatisierten Staatsbetriebs, dessen Mitarbeitende offenbar nicht begriffen hat, dass sie einen Service-public-Auftrag hat und nicht dazu da ist, die Bürger mit abstrusen Vorschriften zu gängeln.»

Die Digitalisierung und der Abbau von bedienten Filialnetzen bzw. Verkaufsstellen bei der Post, den Banken oder dem öffentlichen Verkehr sei aber tatsächlich für viele Seniorinnen und Senioren, aber auch für Behinderte ein Problem, führt Hänni aus. Weiter: «Was den Unternehmen Erleichterung und Kosteneinsparung bringen soll, ist für die Kunden grundsätzlich zunehmend ein Ärgernis.»

Vom Service public ausgeschlossen

Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) erlebt immer wieder, dass Senioren und Seniorinnen von Services ausgeschlossen werden. «Es darf nicht sein, dass gewisse Dienstleistungen und Angebote nur online erhältlich sind, wie etwa die Sparbillette der SBB», sagt Josianne Walpen (54) von der SKS.

Studer kam dann doch zu seinen Sendungen, weil sein Kollege nochmals zur Postfiliale ging und sich beschwert habe. Die Entschuldigung der Post bringe ihm nichts. Er fordert: «Die Post soll die Filialmitarbeiter über verschiedene Krankheiten informieren und sie darin schulen, wie man ältere, behinderte und kranke Menschen anständig behandeln kann.» Sein Kollege Hans Pfister kann hier nur zustimmen.

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Weiterbildungsgutscheine von der Berghilfe

Die Digitalisierung öffnet im Alltag nicht nur die Kluft zwischen Alt und Jung, sondern auch zwischen Mittelland und Berggebieten. Kleine und Mini-Firmen in abgelegenen Orten drohen den «digitalen Anschluss» zu verlieren. Damit das nicht passiert und diese Firmen digitales Know-how aufbauen können, verteilt die Schweizer Berghilfe seit 2018 versuchsweise Ausbildungsgutscheine für Kurse im digitalen Bereich.

Die Nachfrage war so gross, dass die Berghilfe das Angebot jetzt weitere zwei Jahre verlängert. Die Unternehmen können die Angebote für ihre Mitarbeiter über die Kursplattform des Verbands für Weiterbildung (SVEB) buchen. Die Berghilfe bezahlt die Hälfte der Kosten – bis maximal 5000 Franken pro Mitarbeiter.

Für viele Betriebe, die sowieso ums Überleben kämpften, sei die Weiterbildung der Mitarbeiter ein finanzielles Problem, sagt Kilian Gasser (49) von der Berghilfe. Zu den bislang 149 Gutscheinbezügern zählt zum Beispiel der Drogerie-Laden Stöckli aus dem Emmentaler Eggiwil, der sich auf Tierheilmittel spezialisiert hat. Sie sandte die Mitarbeiter in einen Social-Media-Marketing-Kurs, damit sie neue Verkaufskanäle im Internet aufbauen können, um neue Zielgruppen erreichen.

Die Investition von insgesamt 500'000 Franken über vier Jahre, mit Option zur Erhöhung, stelle für Berggebiete eine grosse Chance dar, so Gasser.

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