Ketamin zu einem unnötig hohen Preis – dabei gäbe es eine günstigere Alternative
2000 Franken pro Woche für die Depressions-Therapie

Wer in der Schweiz mit Ketamin gegen Depressionen behandelt wird, kriegt einen teuren Nasenspray verabreicht. Obwohl es eine günstigere Alternative gäbe, die einen Bruchteil so viel kostet. Schuld sind Pharma-Patente, Zulassungen und Bürokratie.
Publiziert: 26.04.2024 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2024 um 10:06 Uhr
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Stell dir vor, du kriegst ein und dasselbe Produkt entweder für 500 Franken – oder für 2000 Franken. Für welches entscheidest du dich? Fürs Günstigere natürlich! Nicht so im Schweizer Gesundheitswesen: Bei der Behandlung von Depressionen mit dem Wirkstoff Ketamin kommt standardmässig die teurere Therapie zum Einsatz. Und das in Zeiten explodierender Krankenkassenprämien!

Ketamin ist ein Betäubungsmittel, wird unter anderem in der Notfallmedizin angewendet, um starke Schmerzen zu stillen. Der Wirkstoff wird ausserdem als Partydroge missbraucht. Und er gewann in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung zur Behandlung von schweren Depressionen, die mit konventionellen Antidepressiva und anderen Methoden nicht in den Griff zu kriegen sind.

Schwer depressive Patienten müssen wochenlang warten

In der Schweiz ist dafür ein Mittel zugelassen: ein Esketamin-Nasenspray des belgischen Pharmaunternehmens Janssen. Eine kleine Flasche davon kostet gemäss BAG-Listenpreis 250 Franken. Wer mit dem Wirkstoff behandelt wird, braucht – je nach Körpergewicht und Schwere der Krankheit – eines bis vier solcher Fläschchen pro Sitzung. Bei ein bis zwei Sitzungen pro Woche belaufen sich allein die Medikamentenkosten auf bis zu 2000 Franken.

In der Schweiz ist ein Nasenspray mit dem Wirkstoff Esketamin zur Behandlung von Depressionen zugelassen. (Symbolbild)
Foto: imago images/Fotostand
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Obendrauf kommen die Kosten für die ärztliche Behandlung. Nach Verabreichung des Nasensprays werden die Patienten bis zu anderthalb Stunden in der Praxis überwacht – schliesslich kann Ketamin zu Halluzinationen führen, daher auch der Missbrauch als Partydroge.

Die Krankenkasse bezahlt – aber nur, wenn im Vorfeld eine sogenannte Kostengutsprache erfolgt ist. Sie ist an enge Bedingungen geknüpft. So müssen vorher unter anderem mindestens zwei andere Antidepressiva erfolglos zur Anwendung gekommen sein. Das System der vorgängigen Kostengutsprache sorgt für grossen Bürokratieaufwand, weil die Krankenkassen jeden Fall einzeln prüfen müssen. Patienten warten bis zu zwei Monate auf grünes Licht der Versicherung.

Die Alternative kostet einen Bruchteil davon

Paradox daran: Das Medikament wäre auch viel günstiger zu haben! Denn statt dem teuren Esketamin kann auch herkömmliches Ketamin als Nasenspray oder intravenös verabreicht werden. Eine Flasche Ketamin-Nasenspray kostet 70 statt 250 Franken – und ist erst noch deutlich grösser! Die Gesamtkosten für die Behandlung fallen damit – ärztliche Überwachung inklusive – auf unter 500 Franken pro Woche.

Das Problem: Herkömmliches Ketamin ist als Betäubungsmittel zugelassen, aber nicht als Antidepressivum. Wenn Ärzte herkömmliches Ketamin verabreichen, ist dies sogenannter «Off Label Use» – und wird von der Krankenkasse nicht bezahlt. In seltenen Fällen übernimmt eine Zusatzversicherung die Hälfte der Kosten. Bleiben aber immer noch 250 Franken am Patienten hängen – pro Woche! Das kommt für kaum jemanden infrage, wenn die teurere Esketamin-Therapie via Grundversicherung «gratis» zu haben ist.

Ketamin und Esketamin sind zwar sehr ähnlich, aber chemisch nicht identisch. Das ermöglichte es der Pharmafirma Janssen, für seinen Esketamin-Nasenspray eine separate Zulassung als Antidepressivum beantragen zu können.

Keiner will investieren

Auch für herkömmliches Ketamin könnte jemand theoretisch bei der zuständigen Behörde Swissmedic eine Zulassung als Antidepressivum beantragen. Dazu braucht es aber grossangelegte klinische Studien, die Kosten gehen in die Millionen. Wäre die Zulassung einmal geschafft, liessen sich die Kosten nicht wieder reinholen, weil der Patentschutz für Ketamin abgelaufen ist. Ein Hersteller müsste für die Zulassung viel Geld in die Hand nehmen, alle anderen könnten am Ende als Trittbrettfahrer ebenfalls in die Produktion einsteigen und den Wirkstoff als Antidepressivum vertreiben.

Es bleibt daher dabei: Das Schweizer Gesundheitswesen entscheidet sich bei der Ketamin-Behandlung gegen schwere Depressionen auch zukünftig für die teurere statt die günstigere Variante.

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