Länder-Domino mit russischem Gas?
«Dann würde Deutschland der Schweiz das Gas abdrehen»

Russland hat Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht. Nach offiziellen Angaben, weil die Länder sich geweigert hätten, in Rubel zu bezahlen. Kommt es zu einer Kettenreaktion, wäre auch die Schweiz betroffen.
Publiziert: 27.04.2022 um 18:35 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2022 um 07:39 Uhr
Martin Schmidt

Wer ab dem 1. April für russisches Gas nicht in Rubel bezahlt, dem wird der Gashahn abgedreht! So hatte es Kreml-Chef Wladimir Putin (69) Ende März angekündigt. Am Mittwoch liess Putin seinen Worten Taten folgen: Der russische Staatskonzern Gazprom hat seine Lieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt.

Nach Experten-Einschätzungen sind die Rubelzahlungen jedoch nur ein Vorwand. So wird vermutet, dass sich Russland vielmehr an der Unterstützung Polens für die Ukraine störe. Das Land weibelt in Europa für einen Boykott russischer Energie, fordert umfassende Waffenlieferungen an die Ukraine und beherbergt mit Abstand am meisten Flüchtlinge. Auch der prowestlichen Regierung in Bulgarien sollen mit dem Lieferstopp wohl die Grenzen aufgezeigt werden. Russland setze «Gas als Erpressungsinstrument» ein, wirft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63) dem Kreml denn auch vor.

Folgt bald schon für weitere Länder ein Gasstopp?

Damit befeuert Putin auch die Angst im Westen, jeden Moment ohne russisches Gas dastehen zu können – und das, obwohl viele westliche Länder tun, was Putin will. Sie zahlen Dollar oder Euro auf ein russisches Konto bei der Gazprombank ein, die Zahlung wird in Rubel konvertiert und dann an Gazprom überwiesen.

Die Schweiz ist beim Gas von Deutschland abhängig.
Foto: picture alliance / dpa
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Doch Putin scheint unberechenbar und Prognosen unmöglich. «Es ist kaum abzusehen, was weiter passiert. Beim aktuellen Kriegszustand könnten morgen Länder ein Gasembargo einführen oder nicht mehr von Russland beliefert werden», sagt Andreas Tresch (32) vom Beratungsunternehmen Enerprice. Auch der Verband der Schweizerischen Gasindustrie hält ein Szenario mit weiteren Gasstopps für möglich.

Schweiz von Deutschland abhängig

Die Schweiz deckt etwa 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs mit Gas – fast die Hälfte davon stammt aus Russland. Sollte Putin den Gashahn in weiteren Ländern zudrehen, droht ein Domino-Effekt. So richtig heikel für die Schweiz werde es, sobald der Gasstrom von Russland nach Deutschland versiege, erklärt Tresch.

Physikalisch wäre zwar noch genug Gas in Europa, um bis in den nächsten Winter zu kommen – auch dank zusätzlichem Flüssiggas (LNG) und den konstanten Lieferungen aus Norwegen. Fehle in Deutschland aber das russische Gas, werde die Notstand-Stufe 3 ausgerufen, sagt Tresch. «Das würde wohl einen Stopp der Gasexporte für alle Drittstaaten bedeuten, die nicht in der EU sind. Deutschland würde also auch der Schweiz den Gashahn zudrehen.»

Sollte es tatsächlich so weit kommen, hätte die Schweiz bei einem Exportstopp von Deutschland ein unmittelbares Problem. Und selbst ohne den Stopp dürfte die Schweiz im kommenden Winter auf einen Engpass zulaufen. «Für dieses Szenario und somit die Planung der Versorgungssicherheit im Winter 2022/2023 setzt der Bund eine Taskforce ein», so Tresch, dessen Unternehmen Enerprice selbst Mitglied der Taskforce ist.

Bulgarien erhält Hilfe aus Griechenland

Die Schweiz könnte beispielsweise versuchen, mehr Gas aus Italien zu beziehen. Eine andere Variante wäre der Bau von Flüssigerdgas-Speichern. «Doch das benötigt Zeit und ist unglaublich teuer», relativiert Tresch. Auch ein Einkauf in kurzfristige Gaslager im europäischen Raum könnte helfen. «Wir wissen jedoch nicht, ob das Gas bei einem Notstand trotzdem fliessen würde», sagt er.

Polen hat seinerseits vorausgeplant, verfügt über relativ volle Speicher und konnte bereits neue Lieferkanäle erschliessen. Bulgarien wurde derweil Hilfe vom griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis (54) zugesagt, wie griechische Medien am Mittwoch berichteten. So könnte Bulgarien schneller als geplant an die Trans Adria Pipeline angebunden werden. Ausserdem will Griechenland seine Speicherkapazitäten erhöhen.

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