Moderna-CEO Stéphane Bancel (49) über die neuste mRNA-Technik und den Kampf gegen Krebs
«Die Lebenserwartung wird spürbar steigen»

Moderna ist eines von weltweit nur wenigen Unternehmen, die den Covid-Impfstoff nach mRNA-Technik produzieren. CEO Stéphane Bancel ist dadurch ein begehrter Mann. Im grossen Interview streicht der Franzose das Potenzial dieser Technologie für die Menschheit hervor.
Publiziert: 23.09.2021 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2021 um 09:05 Uhr
Interview: Christian Dorer

Eben noch war Stéphane Bancel (49) CEO eines unbekannten Start-ups. Fast über Nacht wurde dieses zu einer Firma von globaler Bedeutung – und er selber mehrfacher Milliardär: Moderna ist eine von wenigen Firmen, die den Covid-Impfstoff nach neuster mRNA-Technik produzieren und damit entscheidend dazu beitragen, die Welt von der Pandemie zu befreien.

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2020 hatte Bancel keinen einzigen freien Tag, in diesem Sommer konnte er immerhin eine Woche freinehmen, um mit seiner Frau den 20. Hochzeitstag zu feiern. Staatschefs rund um die Welt rufen ihn auf dem Handy an – sogar an Heiligabend! –, um für mehr Impfstoff zu lobbyieren.

Täglich bekommt Bancel Hunderte Briefe aus aller Welt, etwa von Grosseltern, die ihm danken, dass sie ihre Enkel wieder sehen können. Gleichzeitig muss sein Haus rund um die Uhr geschützt werden wegen Drohungen militanter Impfgegner.

Stéphane Bancel (49) ist CEO von Moderna. Er ist von der mRNA-Technologie überzeugt: «Die durchschnittliche Lebenserwartung wird spürbar steigen.»
Foto: STEFAN BOHRER
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Stéphane Bancel arbeitet am Moderna-Hauptsitz in Massachusetts (USA). Anfang Woche besuchte er den Europa-Sitz in Basel. Blick sprach mit Bancel über die Pandemie, den Impfstoff und warum er die mRNA-Technik als «die grösste Revolution in der Medizin seit der Erfindung von Aspirin» bezeichnet.

1. Was jede und jeder Geimpfte wissen muss

Blick: Wann wird die dritte Impfdosis nötig?
Stéphane Bancel: Es kommt auf das Vakzin an. Der Moderna-Impfstoff bietet selbst gegen die aggressive Delta-Variante acht bis zwölf Monate nach der zweiten Dosis einen guten Schutz. Bei älteren Personen dauert es etwas weniger lang.

Wann können Kinder ab 6 Jahren geimpft werden?
Aktuell liegt das Alterslimit bei 12. Die ersten Zulassungen für Impfungen ab 6 dürften Ende Jahr kommen.

Warum ist das notwendig?
Es gibt immer mehr Kinder, die wegen der Delta-Variante ins Spital müssen. Und Grosseltern, die noch keine dritte Dosis erhalten haben, könnten von ihren Enkeln angesteckt werden.

Werden wir nun auf ewig jedes Jahr eine Covid-Impfung machen müssen?
Vermutlich schon. Aber das Revolutionäre an der mRNA-Technologie ist: Mit einer einzigen Injektion kann man Covid-, Grippe- und weitere Impfungen verbinden. Man bekommt einen Stich und ist gegen mehrere Viren geimpft!

2. Was der Moderna-Chef zu Impfskeptikern sagt

Wieso sind die Impfquoten von Land zu Land so unterschiedlich?
Es hängt davon ab, wie stark die Menschen der Wissenschaft oder ihrer Regierung trauen, wie sie sich informieren, wie gut sie gebildet sind. In der Wissenschaftsstadt Boston zum Beispiel, wo ich wohne, ist die Impfrate sehr hoch.

Was sagen Sie den Impfskeptikern?
Dass ihre Angst unbegründet ist! Bei der traditionellen Impfung wird eine kleine Menge des Virus verabreicht – und manche fürchten sich davor. Bei der neuen Technik nun befürchten manche Leute, dass es in die DNA eingreift. Doch klinische Studien belegen eindeutig, dass dies nicht so ist.

Skeptiker sagen, die Technik sei so neu, dass man mögliche Langzeitfolgen gar nicht kennen kann.
Sehen Sie, dem Impfstoff werden keine Chemikalien beigefügt. mRNA besteht aus vier Nukleinsäuren, da ist alles biologisch abbaubar. Zwei Stunden nach der Injektion sind die Lipid-Nanopartikel nicht mehr nachweisbar. Die mRNA-Plattform arbeitet tatsächlich Hand in Hand mit unserer natürlichen menschlichen Biologie – sie liefert den Code, wie ein Softwareprogramm, das unserem Immunsystem hilft, das Virus zu bekämpfen.

Warum trauen so viele Leute der Impfung nicht?
Die Gesellschaft holt sich viele Falschinformationen aus dem Internet. Viele zweifeln, weil der Impfstoff so schnell entwickelt wurde. Dabei vergessen sie, dass eben dies unsere Produkte ausmacht. Es brauchte Zeit, bis Prozesse und Maschinen erfunden waren – doch dann können wir sehr rasch reagieren.

Was, wenn Covid-19 drei Jahre früher aufgetreten wäre?
Dann wären wir noch nicht bereit gewesen, nur schon deshalb nicht, weil wir unseren ersten Produktionsstandort erst im Juli 2018 eröffnet hatten. Vor Covid produzierten wir neun andere Impfstoffe und verbesserten die Technologie laufend. Deshalb konnten wir den Covid-Impfstoff derart schnell entwickeln.

3. Wie die mRNA-Technologie die Medizin revolutionieren soll

Gegen was alles kann mRNA in Zukunft eingesetzt werden?
Wir entwickeln aktuell 18 Impfstoffe gegen verschiedene Viren. Daneben arbeiten wir an Behandlungen, darunter auch an solchen gegen Krebs. Schon heute haben wir eine Kooperation mit Astrazeneca, um Personen nach einem Herzinfarkt mit mRNA-Technologie zu helfen. Es spielt sich gerade eine Revolution in der Medizin ab!

Warum eine Revolution?
150 Jahre lang war die Medizin analog. Man musste jede Krankheit mit anderer Chemie bekämpfen, musste jedes Medikament komplett neu erfinden und jahrelang entwickeln. Heute nutzen wir immer die gleiche Chemie, um das mRNA herzustellen, und können es einfach anpassen. Bei jedem neuen Produkt können wir auf die gleichen Maschinen in den gleichen Produktionsstätten mit den gleichen Angestellten zurückgreifen.

Wo stehen Sie beim Kampf gegen Krebs?
Wir möchten das Immunsystem mit mRNA so stärken, dass es den Krebs besiegen kann. Das vielversprechendste Produkt, das wir haben, ist eine personalisierte Behandlung. Wir machen eine Biopsie vom befallenen Organ, nehmen eine Blutprobe, sequenzieren die Zellen und designen eine individuelle Behandlung. Das ist eine enorme Errungenschaft, weil es auch hilft, wenn sich bereits an verschiedenen Orten Metastasen gebildet haben. Im Moment besteht die grösste Herausforderung darin, dass nicht alle Patienten auf die Behandlung ansprechen.

Werden wir also alle länger leben?
Das ist korrekt: Wenn sich die mRNA durchsetzt, wird die durchschnittliche Lebenserwartung spürbar steigen.

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4. Wie die Welt Covid-19 unter Kontrolle bringen kann

Die Nachfrage nach Impfstoff ist grösser als die Produktionskapazitäten. Nach welchen Kriterien liefern Sie?
Strikt nach Eingang der Bestellung. Allerdings wäre es unethisch gewesen, einem Land gleich alle Impfdosen für die gesamte Bevölkerung zu liefern. Zuerst mussten jeweils die Menschen geschützt werden, die das grösste Erkrankungsrisiko hatten.

Lobbyierten die Länder bei Ihnen, damit sie schneller an den Impfstoff kamen?
Ich telefonierte phasenweise das ganze Wochenende mit Präsidenten und Premierministern (lacht). Sie wollten den Prozess beschleunigen, was aber nicht möglich war.

Wird eines Tages die ganze Welt geimpft sein?
Wir gehen davon aus, dass in der zweiten Hälfte 2022 praktisch alle Menschen entweder geimpft sind oder sich infiziert haben. Einen anderen Weg gibt es nicht. Wer sich nicht impfen lässt, wird sich anstecken.

Wie wird das Virus mutieren?
Es kann sein, dass es noch ansteckender wird, aber weniger tödlich. Ein Virus will nicht, dass sein Träger an ihm stirbt, weil es sonst mit dem Träger stirbt.

Wie kommt die Menschheit da je wieder raus – oder gibt es jetzt Corona für immer?
Das Virus wird nie wieder verschwinden, es wird immer wieder Impfbooster brauchen. Doch wie gesagt: Dank der neuen Technologie kann man mit einer Dosis alle anderen Impfungen auch gleich auffrischen, etwa die gegen die Grippe. Es werden also auch weniger Leute an der Grippe erkranken.

Der Moderna-Mitbesitzer

Der Franzose Stéphane Bancel (49) gab 2011 eine gut bezahlte Stelle als Manager beim Pharmaunternehmen Biomérieux auf, um sich beim US-Start-up Moderna der neuartigen mRNA-Impftechnologie zu widmen. Der Vater zweier Töchter investierte das Familienvermögen in Moderna-Aktien, obwohl das Unternehmen Verluste schrieb. Heute ist Bancel CEO und damit Chef von 1800 Mitarbeitenden. Und er ist Multimilliardär.

Der Franzose Stéphane Bancel (49) gab 2011 eine gut bezahlte Stelle als Manager beim Pharmaunternehmen Biomérieux auf, um sich beim US-Start-up Moderna der neuartigen mRNA-Impftechnologie zu widmen. Der Vater zweier Töchter investierte das Familienvermögen in Moderna-Aktien, obwohl das Unternehmen Verluste schrieb. Heute ist Bancel CEO und damit Chef von 1800 Mitarbeitenden. Und er ist Multimilliardär.

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5. Wie Stéphane Bancel alles aufgab, um Moderna zu gründen

Sie hatten eine Top-Position in einem internationalen Konzern. Warum haben Sie mit 37 gekündigt, um Chef eines Start-ups zu werden mit zu Beginn einem einzigen Mitarbeiter?
Als ich von der Geschäftsidee von Moderna hörte, dachte ich zuerst: Das wird nie funktionieren. Nach Gesprächen mit ein paar Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern wurde mir klar, was es für die Medizin bedeuten würde, wenn es eben doch funktioniert. Mir war aber auch klar: Entweder scheitert es komplett – oder es wird die Medizin revolutionieren. Denn wenn es funktioniert, werden wir mit vielen Produkten auf den Markt gehen können. Es ist nicht wie bei der traditionellen Pharma, wo es sehr viele Versuche braucht, bis ein Produkt marktreif ist.

Wie war der Start vor zehn Jahren?
Es war hart: Wir hatten zwei Millionen Dollar und null Erfahrung. In den ersten zwei Jahren waren wir lediglich zwanzig Personen, heute sind wir 1800.

Zweifelten Sie manchmal am Erfolg?
Und wie! Meine Frau fragte sich, ob ich eine bipolare Störung hätte: An einem Abend kam ich überglücklich nach Hause und wollte die Welt umarmen, am nächsten war ich komplett niedergeschlagen und dachte, es würde nie funktionieren.

Am 2. März 2020 waren Sie zusammen mit Pharma-CEOs bei Donald Trump im Weissen Haus. Die anderen sprachen von «mehreren Jahren» Entwicklungszeit für einen Impfstoff gegen Covid-19, Sie von «wenigen Monaten». Wie hat der US-Präsident reagiert?
Er erkannte die Chance. Wir waren zwar noch weit entfernt von den klinischen Studien, aber in engem Kontakt mit Anthony Fauci, Trumps Chefberater für die Bekämpfung der Pandemie.

Wie haben Sie Trump überzeugt, eine Milliarde Dollar zu investieren?
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, welches der beste Impfstoff sein würde. Deshalb investierte die US-Regierung in verschiedene Firmen. Wir bekamen eine Milliarde Dollar – und das war ganz entscheidend: Wir nahmen nie Risiken bei der Sicherheit in Kauf, aber Geschäftsrisiken, die mit diesem Geld gedeckt wurden. Wenn die Entwicklung für ein Vakzin 20 Millionen Dollar kostet, sie aber nicht funktioniert, sind 20 Millionen Dollar im Eimer.

Wie wichtig war die Geldspritze der US-Regierung?
Sie war sehr grosszügig und wichtig. Die ganze Welt profitiert bis heute davon.

So funktioniert mRNA

Die Abkürzung mRNA bedeutet auf Deutsch Boten-Ribonukleinsäure. Sie trägt die Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen mit sich und übermittelt den Körperzellen die Information, wie sie ein Virus-Protein herstellen sollen. Sobald dieses im Körper produziert wird, erkennt es das Immunsystem als körperfremd und produziert so Antikörper gegen das Virus. Die Immunantwort bereitet den Körper auf die Bekämpfung des Virus vor.

Nach einer Infektion oder Impfung bildet sich in den Lymphknoten eine spezialisierte Struktur, das Keimzentrum. Hier wird zum Angriff auf die Krankheitserreger geblasen. Keimzentren, die mit mRNA-Impfstoffen stimuliert werden, gingen auch Monate nach der Impfung kaum zurück.

Angst vor Erbgutveränderungen ist unbegründet. Der Zellkern, wo sich das Erbgut befindet, kommt mit dem Wirkstoff nicht in Kontakt. Und: Unser Erbgut besteht aus DNA. Ein Enzym, das RNA (ein Strang) in DNA (zwei Stränge von Erbinformation) umbauen könnte, gibt es in menschlichen Zellen nicht. Die DNA bleibt also unangetastet.

Die Abkürzung mRNA bedeutet auf Deutsch Boten-Ribonukleinsäure. Sie trägt die Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen mit sich und übermittelt den Körperzellen die Information, wie sie ein Virus-Protein herstellen sollen. Sobald dieses im Körper produziert wird, erkennt es das Immunsystem als körperfremd und produziert so Antikörper gegen das Virus. Die Immunantwort bereitet den Körper auf die Bekämpfung des Virus vor.

Nach einer Infektion oder Impfung bildet sich in den Lymphknoten eine spezialisierte Struktur, das Keimzentrum. Hier wird zum Angriff auf die Krankheitserreger geblasen. Keimzentren, die mit mRNA-Impfstoffen stimuliert werden, gingen auch Monate nach der Impfung kaum zurück.

Angst vor Erbgutveränderungen ist unbegründet. Der Zellkern, wo sich das Erbgut befindet, kommt mit dem Wirkstoff nicht in Kontakt. Und: Unser Erbgut besteht aus DNA. Ein Enzym, das RNA (ein Strang) in DNA (zwei Stränge von Erbinformation) umbauen könnte, gibt es in menschlichen Zellen nicht. Die DNA bleibt also unangetastet.

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6. Welche Rolle die Schweiz bei der Impfstoffproduktion spielt

Wie wichtig ist die Schweizer Produktion bei Lonza in Visp?
Die Schweiz ist sehr wichtig für uns, sie beliefert mit vierzig Prozent unserer Produktion beinahe die halbe Welt.

Planen Sie, langfristig in der Schweiz zu produzieren?
Ja.

Warum haben Sie Ihren Europa-Sitz in Basel?
Es sind vier Gründe: Wir werden seit langem stark von Schweizer Investoren unterstützt, die Schweiz ist zentral gelegen, es gibt viele Talente bei Pharmafirmen, und unser Produzent Lonza ist hier.

Hat die Schweiz dadurch Vorteile bei der Beschaffung?
Die Schweiz war mit Kanada und Singapur unter den ersten drei Ländern, die den Moderna-Impfstoff bestellten. Damals nahm sie grosse Risiken in Kauf, da es erst wenige Studien gab. Aber in der Krise lohnt es sich, Risiken einzugehen. Es gab grosse, finanziell starke Länder, die mich erst an Weihnachten angerufen haben und für die darauffolgende Woche bestellen wollten – was natürlich nicht möglich war.

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