Nach Finanzkrise und CS-Debakel
Die Schweiz ist kein Bankenland mehr

Von wegen Bankenland: Gleich eine ganze Reihe von Branchen tragen mittlerweile mehr zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei als die einst stolzen Banken. Die Wirtschaftsmotoren sind Pharmakonzerne, Uhrenhersteller oder Rohstoffhändler.
Publiziert: 22.04.2023 um 00:45 Uhr
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

In Hollywood-Filmen wird der Schweizer Bankenplatz regelmässig als Ganovenhochburg dargestellt. Bei den Kundinnen und Kunden geniesst er seit Jahrzehnten einen guten Ruf. Trotzdem verliert der Schweizer Bankenplatz für die Volkswirtschaft schleichend an Bedeutung. Andere Branchen haben diesen überflügelt, wie Recherchen zeigen.

Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft sorgten die Banken 2021 für eine Wertschöpfung von 36,4 Milliarden Franken. Das sind gerade mal 4,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Vor der Finanzkrise haben die Banken noch knapp acht Prozent zum BIP beigetragen. Mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS dürfte die Bedeutung der Branche nochmals an Bedeutung verlieren. Der Spitzenplatz des Schweizer Bankenplatzes als internationaler Hotspot der Vermögensverwaltung wackelt. Grossbritannien, die USA oder Singapur holen auf. «Das Wachstum findet heute in anderen Branchen wie Pharma oder im Gesundheitssektor statt», sagt Ökonom Alexander Rathke (44) von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich im Gespräch mit Blick.

Der Schweizer Wirtschaftsstandort lockt

Während das Bankengeschäft stagniert, legten in der vergangenen Dekade die Versicherungen zu und liefern einen BIP-Beitrag von 4,1 Prozent. Auch hier mischt die Schweiz mit dem grössten Rückversicherer der Welt, Swiss Re, international vorne mit.

Die Schweiz wird international immer noch als Bankenland wahrgenommen.
Foto: Nathalie Taiana
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Die Pharma- und Chemiebranche hat den Bankensektor mit einem BIP-Anteil von 6,3 Prozent schon lange hinter sich gelassen. Pharmariesen wie Novartis, Roche oder Lonza zählen zu den wichtigsten Wachstumsmotoren im Land. Regelmässig entstehen neue Unternehmen wie die im Mai 2021 gegründete Firma Ten23 Health mit Sitz in Basel exemplarisch zeigt. Mit zwei Angestellten gestartet, beschäftigt die Firma inzwischen 154 Personen an ihren beiden Standorten in Basel und Visp VS, wie Firmengründer und CEO Hanns-Christian Mahler (51) gegenüber Blick sagt. Die Firma hat sich auf die sterile Abfüllung komplexer Wirkstoffe spezialisiert.

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Das hohe Ausbildungsniveau und die Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte hätten für die Schweiz als Standort gesprochen, so Mahler: «Die Rahmenbedingungen sind in der Schweiz durchweg positiv.»

Pharmaprodukte und Uhren als Kassenschlager

Mit neuen Jungunternehmen, den Grosskonzernen und einem grossen Zulieferernetz wächst das Pharmageschäft seit Jahren durchschnittlich um 5,9 Prozent und stützt so massgeblich den Schweizer Industriestandort. «In den meisten Ländern in Westeuropa ist die Industrie stark geschrumpft, in der Schweiz hingegen konnten wir das Niveau halten», sagt Ökonom Rathke. So sorgt die Industrie immer noch für 18 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Auch die schon oft totgesagte Uhrenindustrie erlebt seit zwei Jahren ihren zweiten Frühling. Die Branche musste auf Entwicklungen wie Smartphones oder Smartwatches reagieren, die traditionelle Uhren für viele Leute zum überflüssigen Handschmuck gemacht haben. Die Uhrenproduzenten setzten auf «Handwerkskunst» und «Innovation», wie Karine Szegedi (50), Luxusgüter-Expertin beim Beratungsunternehmen Deloitte, sagt. Das Ergebnis lässt sich sehen: Im vergangenen Jahr exportierten die Schweizer Hersteller Uhren im Wert von 24,8 Milliarden Franken ins Ausland. Rekord!

Die Zahl der verkauften Uhren liegt zwar deutlich tiefer als 2019, doch der Fokus liegt heute anderswo: «Wir sehen, dass die Schweizer Uhrenhäuser zunehmend im hochpreisigen Luxussegment operieren, welches an sich sehr krisenfest ist», so Szegedi. Die Expertin erwartet, dass diese positive Entwicklung anhält.

Rohstoffhandel mit grossem Sprung

Ganz anders die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie: Diese musste in den vergangenen zehn Jahren etwas Federn lassen. «Die Aufwertung des Frankens hat es für viele Betriebe in der Vergangenheit schwierig gemacht, ihre internationale Wettbewerbsposition zu halten», sagt Ökonom Alexander Rathke. Die aktuelle Frankenstärke sei hingegen kaum ein Problem. Das liegt an der hohen Inflation im Ausland, dank der die Firmen die Preiserhöhungen über der Franken-Aufwertung ansetzen können.

Die Baubranche liegt ebenfalls vor den Banken und der Gesundheitssektor gleichauf – und dürfte die Finanzhäuser in den nächsten Jahren abhängen. Die Bevölkerung wird immer älter und gleichzeitig schreitet auch der technologische Fortschritt in der Medizin voran. «Bei dem hohen Wohlstand, den wir haben, wollen die Menschen an dieser Entwicklung teilhaben», so Rathke.

Die Schweiz bleibt trotz Bedeutungsverlust im Bankengeschäft weiterhin Drehscheibe für riesige Geldsummen: «Rohstoffhandel ist in der letzten Dekade extrem gewachsen», sagt Rathke. Rohstoffkonzerne wie Vitol, Glencore oder Cargill sind in der Schweiz beheimatet und trugen im letzten Jahr 8,5 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Nach der Finanzkrise und dem CS-Debakel ist die Schweiz aber kein Bankenland mehr.

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