Was macht Tiktok so mächtig?
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Social-Media-Experte erklärt:Was macht Tiktok so mächtig?

Neue Enthüllungen schockieren
Gefahr Tiktok – will uns China mit dieser App verdummen?

Der Aufstieg von Tiktok ist bemerkenswert. Mittlerweile benutzen viele Erwachsene die App in der Schweiz. Enthüllungen zur chinesischen Video-Plattform schockieren – und werfen alte Fragen neu auf. In den USA steigt die Nervosität, der CEO musste bereits aussagen.
Publiziert: 11.04.2023 um 00:39 Uhr
|
Aktualisiert: 11.04.2023 um 12:57 Uhr
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Nicola ImfeldTeamlead Wirtschaft-Desk

Früher eine Blödel-App, heute bitterer Ernst: Tiktok ist in der breiten Gesellschaft angekommen. Weltweit und auch in der Schweiz nutzen immer mehr Erwachsene die App. Die Rede ist von rund einer Milliarde aktueller Nutzerinnen und Nutzer. Die alten Bedenken über die chinesische Kurzvideoplattform sind geblieben. Neue sind dazugekommen. Wie gross ist die Gefahr Tiktok für den Westen und die Schweiz?

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Hinter der Social-Media-App steht die Firma Bytedance. Ein Unternehmen aus Peking, gegründet von Unternehmer Zhang Yiming (39). Er brachte Tiktok 2016 auf den Markt. Überall auf der Welt. Ausser in China.

Tiktok kommt aus China – das sorgt im Westen und vor allem ...
Foto: DUKAS
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Ausgerechnet im Heimatland von Bytedance ist Tiktok bis heute nicht verfügbar. Die Kommunistische Partei rund um Chinas Führer Xi Jinping (69) hat die App verboten. Stattdessen brachte Unternehmer Yiming die App Douyin auf den chinesischen Markt. Ein Tiktok-Klon – nur mit anderen Inhalten.

Was die Social-Media-Plattformen können

Tiktok: Die chinesische Plattform ist auf Videounterhaltung spezialisiert. Die kurzen Videos sind in der Regel mit Musik hinterlegt.

Instagram: Die Plattform, die zum Facebook-Konzern Meta gehört, wurde für Bilder konzipiert. Aufgrund der Konkurrenz durch Tiktok setzt Instagram mittlerweile aber vermehrt auf Videos, sogenannte Reels. Vor sieben Jahren führte Instagram sogenannte Stories ein, die nur 24 Stunden lang sichtbar sind.

Facebook: Noch immer ist Facebook die meistgenutzte Social-Media-Plattform der Welt. Es zeichnet sich besonders durch Gruppen und Veranstaltungsseiten aus.

Twitter: Der Kurznachrichtendienst ist vor allem bei Politikerinnen und Journalisten beliebt. Eine seiner Besonderheiten – eine rigorose Beschränkung auf 280 Zeichen – hat der neue Besitzer Elon Musk (51) zuletzt für gewisse Nutzer aufgehoben. Sarah Frattaroli

Tiktok: Die chinesische Plattform ist auf Videounterhaltung spezialisiert. Die kurzen Videos sind in der Regel mit Musik hinterlegt.

Instagram: Die Plattform, die zum Facebook-Konzern Meta gehört, wurde für Bilder konzipiert. Aufgrund der Konkurrenz durch Tiktok setzt Instagram mittlerweile aber vermehrt auf Videos, sogenannte Reels. Vor sieben Jahren führte Instagram sogenannte Stories ein, die nur 24 Stunden lang sichtbar sind.

Facebook: Noch immer ist Facebook die meistgenutzte Social-Media-Plattform der Welt. Es zeichnet sich besonders durch Gruppen und Veranstaltungsseiten aus.

Twitter: Der Kurznachrichtendienst ist vor allem bei Politikerinnen und Journalisten beliebt. Eine seiner Besonderheiten – eine rigorose Beschränkung auf 280 Zeichen – hat der neue Besitzer Elon Musk (51) zuletzt für gewisse Nutzer aufgehoben. Sarah Frattaroli

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Umstritten ist Tiktoks Erfolgsgarant: der Algorithmus. Er soll der beste im Social-Media-Universum sein. Der Algorithmus merkt sich mithilfe künstlicher Intelligenz (KI), welche Videos dem Nutzer besonders gefallen. Und spielt beim nächsten Mal ähnliche Inhalte ab – damit die Userin möglichst lange auf der App verweilt. So weit, so normal.

Doch anders als bei der Foto- und Videoplattform Instagram scheint Tiktok oft den Geschmack ihrer Nutzer zu treffen. Das beweist die Verweildauer, die bei Tiktok mehr als doppelt so hoch ist wie bei den grossen Konkurrenten.

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Bemerkenswert: Niemand hat den Tiktok-Algorithmus bis heute durchschaut. Die Firma hält sich dazu bedeckt. Zu gross ist die Angst, dass der Facebook-Konzern Meta den Algorithmus kopieren könnte.

Verblödet China mit Tiktok den Westen?

Wegen der Inhalte und der Herkunft Tiktoks hält sich eine steile These seit Jahren hartnäckig: Die chinesische Regierung in Peking versuche mit der App, den Westen zu verdummen. Während die jungen Menschen in Europa und Amerika belanglose Tanzvideos und lustige Streiche zu sehen kriegen, zeige man den Jugendlichen in China ganz andere Inhalte. Zum Beispiel, wie ein junger Student einen Mathematik-Wettbewerb gewinnt. Das soll die Chinesen zu Höchstleistungen anspornen.

«Ich glaube, diese These ist falsch», sagt Katarina Stanoevska (59), Expertin für digitale Kommunikation an der Universität St. Gallen. Sie setzt sich seit Jahren mit Tiktok auseinander und hat festgestellt, dass die Plattform einige Initiativen lanciert hat, «um Influencer im Westen zu seriöseren Inhalten zu animieren», wie sie sagt.

Auch Tiktok weist auf Blick-Anfrage auf diese Initiativen hin. «Es gibt diverse Kampagnen im Bereich Kultur, zum Beispiel in der Musik», sagt eine Sprecherin. «Der Hashtag #MundArt für die Schweiz hat bereits über 81 Millionen Aufrufe und zeigt, dass jeder auf Tiktok das finden kann, was seinem Musikgeschmack entspricht.»

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«Jedes Unternehmen in China tut alles, was die Regierung befiehlt. Einschliesslich Bytedance, die Herausgeberin von Tiktok.»
Robert Wang, ehemaliger US-Botschafter in China
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Die These weist auch die Tiktok-Sprecherin aus Hamburg (D), die für die deutschsprachigen Länder zuständig ist, zurück. «Wir haben bislang nicht mit der chinesischen Regierung kooperiert und auch keine Daten zur Verfügung gestellt oder geteilt – und würden das auch dann nicht tun, wenn wir danach gefragt würden.» Klare Worte, die Robert Wang (71), stellvertretender US-Botschafter in China unter Ex-Präsident Barack Obama (61), nicht glaubt.

«Ich kann ihnen von meiner über 30-jährigen Erfahrung in China versichern: Es gibt keine Zweifel, dass dort jedes Unternehmen alles tut, was die Regierung befiehlt. Einschliesslich Bytedance – die Herausgeberin von Tiktok», sagt Robert Wang im Gespräch mit Blick. «Es gibt in China keine unabhängigen Konzerne, wie wir es kennen.»

Tiktok-Mitarbeitende können Videos boosten

Neue Enthüllungen von «Forbes» bringen Tiktok weiter in Erklärungsnot. Das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin deckte im Februar die Existenz einer sogenannten Feuertaste auf. Diese Feuertaste würden Mitarbeitende von Bytedance in China und Tiktok kontrollieren. Betätigen sie die Taste, werden bestimmte Videos deutlich mehr Menschen angezeigt als üblich. Der Algorithmus wird also quasi übergangen – und Videos ganz bewusst auf den Smartphones von Nutzerinnen und Nutzern platziert. «Forbes» stützt sich auf mehrere interne Quellen und Dokumente.

Diese Feuertaste könne ein gesellschaftliches und politisches Problem sein, sagt Stanoevska. «Falls es benutzt wird, um die politischen Meinungen und die Öffentlichkeit zu manipulieren.» Ob die Feuertaste zu Propagandazwecken eingesetzt werde, kann sie nicht sagen. «Aber die Möglichkeit, dies zu tun, ist gegeben. Und das alleine stellt eine Gefahr dar.»

Sie ist aber überzeugt, dass chinesische Propaganda erkannt werden würde. «Tiktok ist genauso wie andere Plattformen unter Beobachtung und solche Praktiken könnte man schnell entlarven.»

Im Gespräch mit Blick will die Tiktok-Sprecherin die «Forbes»-Enthüllungen weder bestätigen noch dementieren. Sie gibt aber zu, dass der Algorithmus auch mal manuell übersteuert werden kann: «Wir fördern die Sichtbarkeit einiger Videos, um das Angebot an Inhalten zu diversifizieren und der Tiktok-Community prominente und aufstrebende Künstler vorzustellen.» Das Unternehmen arbeite derzeit an einer Anzeige, die mehr Transparenz bei den Inhaltsempfehlungen schaffen soll.

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Fragezeichen bleiben auch punkto Nutzerdaten. Tiktok behauptete jahrelang, sämtliche Daten von amerikanischen und europäischen Userinnen in Amerika und Singapur zu speichern. Doch Enthüllungen von «Buzzfeed» im letzten Sommer brachten ans Tageslicht, dass sämtliche Daten auch in China eingesehen werden können. «Alles kann in China eingesehen werden», sagte ein Tiktok-Mitarbeiter in einem Meeting im September 2021. Das Gespräch wurde geleakt, die Audioaufzeichnungen liegen «Buzzfeed» vor.

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«Es besteht die Gefahr, dass Daten missbraucht werden, um sowohl chinesische als auch andere Nutzer zu tracken.»
Katarina Stanoevska, Universität St. Gallen
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Ex-US-Präsident Donald Trump (76) wollte Tiktok wegen der Datenunsicherheiten einst verbieten. Der aktuelle Präsident Joe Biden (80) hob die Einschränkungen gegen die App nach Amtsantritt wieder auf. Zuletzt verkündete das Weisse Haus aber, dass Tiktok von US-Diensthandys gelöscht werden muss. Und Tiktok-CEO Shou Zi Chew (40) musste jüngst gar vor dem amerikanischen Kongress zu einer Anhörung antraben. Das Misstrauen wächst also gerade wieder.

Daten von Schweizer Tiktok-Usern

Daten von Schweizerinnen und Schweizern würden in Amerika und Singapur gespeichert, sagt die Tiktok-Sprecherin zu Blick. Es gibt Ausnahmen, die Tiktok mittlerweile eingesteht: «Damit wir die Plattform betreiben und sicherstellen können, dass das Tiktok-Erlebnis angenehm und sicher ist, erlauben wir einen begrenzten Fernzugriff auf Daten von Nutzerinnen ausserhalb Europas», sagt die Sprecherin.

Die Datendiskussion beschäftigt Katarina Stanoevska von der Universität St. Gallen. «Da die Nutzerdaten auf chinesischen Servern landen und die Behörden dort sich Zugriff verschaffen können, besteht die Gefahr, dass Daten missbraucht werden, um sowohl chinesische als auch andere Nutzer zu tracken.» Nur eine Tiktok-Sperre könne die Gefahr des Missbrauchs durch chinesische Behörden komplett abwehren, sagt Stanoevska. «Aber es ist durch Regulierung möglich, diese Gefahr zu mindern.»

Teenager sollen besser geschützt werden

Obwohl sich immer mehr Erwachsene auf Tiktok tummeln, bleiben die Jugendlichen auf der App omnipräsent. Die Minderjährigen gelte es zu schützen – auch in der Schweiz, sagt Stanoevska. «Die EU hat vor kurzem Tiktok abgemahnt, da der Verdacht aufgekommen ist, dass Jugendliche schnell an schädlichen und gefährlichen Content über die Plattform herankommen.»

Ein Verbot von Tiktok sei keine Option, da andere Plattformen ähnliche Inhalte anbieten könnten. «Wir müssen viel mehr tun, um Jugendliche aufzuklären, wie sie solche Plattformen nutzen», sagt Stanoevska. Tiktok hat das offenbar teilweise eingesehen. Vor kurzem teilte das Unternehmen mit, dass Minderjährige künftig nur noch 60 Minuten pro Tag auf Tiktok verbringen dürfen. Nachher wird der Zugang bis zum nächsten Tag gesperrt.

Trotz dieses Zugeständnisses: Viele Baustellen bleiben. Ebenso viele Fragezeichen. Und Thesen, die nicht abschliessend beantwortet werden können. Tiktoks Hype und Aufstieg ist beeindruckend. Die Folgen kaum absehbar.

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