«Jeden Tag habe ich Angst, meinen Job zu verlieren»
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Bei Bombardier Schweiz rumorts:«Jeden Tag habe ich Angst, meinen Job zu verlieren»

Nicht nur Bombardier-Büezer bangen um ihren Arbeitsplatz
«Jeden Tag habe ich Angst, meinen Job zu verlieren»

Kündigungen, unsichere Auftragslage, Kurzarbeit. Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM) ist durch Corona noch unsicherer für Büezer geworden. Das zeigt insbesondere das Beispiel Bombardier.
Publiziert: 02.01.2021 um 18:51 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2021 um 15:32 Uhr
Franziska Scheven

Schon vor Corona ging es der Maschinen-, Elektro- und Metall-Branche (MEM) in der Schweiz eher schlecht. Nun spitzt sich die Lage weiter zu: Weniger Auftragseingänge, Sparmassnahmen und Kündigungen sind die neue Realität. «Der Trend Richtung Stellenabbau ist aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung keine Überraschung», sagt ein Verbandssprecher von Swissmem zu BLICK.

Das Resultat: In vielen Betrieben rumort es, «Trifft es mich als nächsten?», fragen sie sich derzeit einige. So auch Elektriker Robert Dalle* (45) von Bombardier Schweiz. Seine Identität will er aus Furcht, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, nicht bekannt geben. Aber er will den Leuten da draussen zeigen, welche Schicksale Büezern derzeit auf dem Werkplatz Schweiz drohen. Dalle arbeitet seit vier Jahren bei dem kanadischen Flugzeug- und Bahnhersteller in Villeneuve VD.

Mehr Arbeit, weniger Lohn

Er sagt zu BLICK: «Jeden Tag habe ich Angst, meinen Job zu verlieren.» Erst kürzlich wurde er auf einen anderen Posten versetzt und verdient nun 800 Franken weniger im Monat. «Ich weiss im Moment nicht, wie ich in Zukunft meine Rechnungen alle bezahlen soll. Trotzdem arbeite ich genauso viel wie vorher.»

Der kanadische Hersteller von Flugzeugen und Bahntechnik, Bombardier, ist in der Schweiz vor allem für den Schüttelzug FV Dosto bekannt.
Foto: Keystone
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Die Arbeitsbedingungen seien laut Dalle schwierig. «Teilweise werden Aufträge in letzter Minute geändert, und ich muss meine Arbeit von vorne beginnen», sagt er. Dagegen etwas zu sagen, traut er sich nicht. «Ich bin auf den Job angewiesen.» Ähnliches berichten Büezer anderer Firmen, mit denen BLICK sprach.

Schleichender Stellenabbau

Der Mutterkonzern von Bombardier Schweiz kämpfte in den letzten Jahren immer wieder mit finanziellen Problemen. Die Corona-Krise macht es nicht besser. «Die anhaltende Pandemie setzt uns weiter vor noch nie dagewesene Herausforderungen», heisst es in dem letzten Quartalsbericht des Konzerns.

Insgesamt arbeiten 752 Mitarbeiter bei Bombardier in der Schweiz. Zehn Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Davon sind 373 festangestellt und 75 mit zeitlich befristeten Verträgen an dem Standort in Villeneuve tätig. Gemäss Informationen der Gewerkschaft Unia arbeiten dort 50 weitere Personen temporär, die über einen externen Dienstleister vermittelt wurden.

Jobangst geht um

Laut Bombardier-Mitarbeiter Dalle geht der Jobabbau schleichend vor sich: «Ich erlebe es die ganze Zeit, dass Kollegen einfach nicht mehr zur Arbeit kommen, unbemerkt aus dem Unternehmen ausscheiden.» Das sei auch bei seinen Vorgesetzten so: Allein in den letzten zwölf Monaten habe er drei neue Vorgesetzte gehabt «Die Strukturen ändern sich dadurch, die Führung ist chaotisch. Mitarbeiter mit internem Wissen über Prozesse sind nicht mehr da», sagt Dalle.

Bombardier hält dagegen. «Wenn das Mitarbeitende sagen, ist das vermutlich eine Momentaufnahme aus dem persönlichen Umfeld», sagt ein Sprecher zu BLICK. Wechsel seien in der Branche ausserdem üblich. «Der Industrieschnitt liegt bei über acht Prozent, bei uns ist der Vergleichswert bei unter fünf Prozent», sagt er. Lediglich «einige befristete Verträge» seien in letzter Zeit nicht verlängert worden.

Gewerkschaft fordert mehr soziale Verantwortung

Die Gewerkschaft kann die Abgänge nicht überprüfen. «Es ist sehr schwer zu sagen, wie viele Personen bei Bombardier in der Schweiz in den letzten Monaten tatsächlich gehen mussten», sagt Sebastien Schnyder (40) von Unia im Kanton Waadt.

Der Grund: Bombardier setze laut Schnyder vermehrt Arbeiter von Agenturen oder externen Dienstleistern ein. «Das Unternehmen will sich so seiner sozialen Verantwortung entziehen, insbesondere bei kollektiven Entlassungen gegenüber der Gewerkschaft», sagt er.

Firmen nutzen die Krise, um aufzuräumen

Auch in anderen MEM-Unternehmen geht die Jobangst um. «Ich höre aus der Branche immer wieder, dass Unternehmen die Krise nutzen, um aufzuräumen und Arbeiter zu feuern», sagt Antonio di Tria (64), der seit 16 Jahren als Mechaniker bei dem Schweizer Ableger des US-Unternehmens Del West arbeitet.

Die Firma stellt Motoren-Teile für Rennautos der Formel 1 her. Derzeit gäbe es hier noch genug Arbeit für die Mitarbeiter. «Aber das kann sich auch schnell ändern. Je nach Auftragslage aus dem Ausland», sagt di Tria.

Mehr Digitalisierung und komplexere Aufträge

Die Digitalisierung setzt die Branche zusätzlich unter Druck. «Die Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 und immer komplexere Anfragen der Kunden bilden eine grosse Herausforderung», sagt der gelernte Polymechaniker Yves Graf (30). Er arbeitet im Verkauf bei der Firma Abnox aus Cham ZG. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Schmier-, Dosier- und Hochdrucktechnik.

Auch Dalle bei Bombardier spürt diesen Wandel, der durch die Corona-Krise nun beschleunigt wird. Der klassische MEM-Büezer ist wohl nicht mehr gefragt. «Die Arbeit wird heute weniger wertgeschätzt. Kein Dank, auch wenn man die Firma nach vielen Jahren verlässt», sagt er. «Wir kommen und gehen einfach, ohne dass es jemanden auffällt.»

*Name von der Redaktion geändert

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