Offener Brief zur Pandemie
Schweizer Ökonomen fordern zweiten Lockdown

Die Schweiz zögert mit der landesweiten Schliessung von Läden und Restaurants. Aber genau das fordern über 40 Ökonomen aus der ganzen Schweiz. Ihr Brandbrief.
Publiziert: 03.11.2020 um 10:49 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2020 um 14:56 Uhr
Marc Iseli

Die Nachricht ist klar. «Die Schweiz braucht einen zweiten Lockdown.» Das schreiben Schweizer Ökonomen in einem Brandbrief an die Öffentlichkeit. «So schwer es fällt und so schmerzhaft es sein wird.»

Unterschrieben ist der Brief von 44 Volkswirtschaftsexperten. Sie lehren in der ganzen Schweiz. In Zürich, Genf, Bern, Lausanne, Freiburg oder St. Gallen. Sie haben unterschiedliche Spezialgebiete. Aber sie sind vereint im Glauben, dass ein temporäres Herunterfahren der Wirtschaft zwingend ist, «um weiteren Schaden durch die Corona-Pandemie abzuwenden».

Der Brief ist öffentlich. Der Lausanner Professor Florian Bilbiie hat die Aktion koordiniert, wie er zu BLICK sagt. Der Lockdown, den die Ökonomen fordern, soll von «umfassenden fiskalischen Unterstützungsmassnahmen» begleitet sein. Sprich: von staatlichem Geld. Ähnlich hat der Bund bereits im Frühjahr reagiert. Er hat das Portemonnaie geöffnet, Kurzarbeit ausgeweitet, Kredite gesprochen, Bürgschaften übernommen. Alles, um eine wirtschaftliche Kernschmelze zu verhindern.

Bild aus Genf: Der Grenzkanton hat einen Lockdown bereits verhängt.
Foto: keystone-sda.ch
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«Ökonomisch desaströs»

«Selbst wenn man einen engen ökonomischen Massstab anlegt, sind die Gesamtkosten eines gut organisierten Lockdowns kleiner als die der derzeitig geltenden weniger einschränkenden Massnahmen», heisst es im Brief. «Diese sind nicht nur ökonomisch desaströs, sondern führen auch zu einer höheren Todesrate.»

Die Wissenschaftler beobachten die Verbreitung des Virus mit Sorge. «Neuinfektionen und Hospitalisierungen steigen rasant und, was noch tragischer ist, die Sterbefälle steigen ebenfalls exponentiell. Leider zeigt diese Entwicklung, dass die Massnahmen bislang unzureichend waren, um die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren: entweder gingen sie nicht weit genug, oder sie wurden zu spät umgesetzt oder beides.»

Die Empfehlung ist klar: Der Bundesrat soll einen zweiten Lockdown beschliessen. Rasch. Die Testinfrastruktur soll weiter ausgebaut werden. Das Contact Tracing auch. KMUs sollen Unterstützung erhalten, gefährdete Arbeitsplätze dürfen nicht verschwinden. «Mit dem bestehenden Verschuldungsgrad und den Verschuldungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand sind solche Massnahmen bei einem Jahrhundertereignis wie der Pandemie angemessen und tragbar.»

Überforderung des Systems verhindern

Die Experten räumen dabei mit einem «tiefgreifenden Missverständnis» auf. «Oftmals werden Kosten eines Lockdowns in die Argumentation eingebracht, die einen Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit voraussetzen. Unserer Meinung nach, und insbesondere für die derzeitige epidemiologische Lage, in der sich die Schweiz befindet, ist diese Dichotomie falsch.»

Es gebe, so die Wirtschaftswissenschaftler, keinen grundlegenden Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit. Eine Rezession gebe es ohnehin. Es gelte vielmehr, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. «Immer mehr wissenschaftliche Studien aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Massnahmen kommen zu diesem Ergebnis. Diese Studien wurden von weltweit führenden Ökonominnen und Ökonomen verfasst – oftmals in Zusammenarbeit mit Epidemiologen.»

Der übersehene Aspekt sei, dass in einer Situation mit starker Ausbreitung des Virus – wie in der Schweiz – die Gesundheitsrisiken zu Vorsorge- bis hin zu Panikreaktionen führen würden. Ein geregeltes Wirtschaftsleben sei so unmöglich. Lieferketten würden durchbrochen, der Fortbestand von Unternehmen gefährdet. Arbeitsplätze drohen, verloren zu gehen, gleichzeitig kommt es im Spital zur Überlastung. Ausser der Lockdown kommt. (ise)


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