Outsourcing der besonderen Art
Schweizer Steuererklärungen made in India

Ernst & Young beschäftigt in Indien 20 Mitarbeiter, die pro Jahr 4000 bis 5000 Schweizer Steuererklärungen ausfüllen. Für den Wirtschaftsprüfungskonzern rechnet sich das. Die Auslagerung hat aber ihre Tücken.
Publiziert: 08.07.2018 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:03 Uhr
Thomas Schlittler

Raphael Iseli (31), Berater beim Wirtschaftsprüfungskonzern Ernst & Young (EY), muss schmunzeln, wenn er an seine Zeit in Indien zurückdenkt: «Es gab schon ein paar kuriose Situationen.»

Iseli war im Auftrag von EY elf Monate in Chennai, einer Millionenstadt im Südosten des Halbkontinents. Dort brachte er 20 indischen EY-Mitarbeitern bei, wie man Schweizer Steuererklärungen ausfüllt.

«Einmal tauchte im Liegenschaftenverzeichnis eines Klienten eine Immobilie im Land ‹Truthahn› auf», erzählt Iseli lachend. Ein indischer Kollege habe den englischen Begriff «Turkey» mithilfe von Google Translate auf Deutsch übersetzt. Und weil «Turkey» im Englischen nicht nur Türkei bedeutet, sondern auch Truthahn, sei es zur Verwechslung gekommen.

Der Wirtschaftsprüfungskonzern Ernst & Young (EY) beschäftigt in der indischen Stadt Chennai 20 Mitarbeiter, die pro Jahr 4000 bis 5000 Schweizer Steuererklärungen ausfüllen.
Foto: Getty Images
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«Solche Kommunikationsprobleme waren aber die Ausnahme», versichert Iseli. Einige der indischen Kollegen würden sogar fliessend Deutsch und Französisch sprechen. Die übrigen Mitarbeiter lernten einfach die relevanten Begriffe.

In der IT macht den Indern niemand was vor

«Wichtiger als die Sprache ist aber ohnehin, dass die indischen Mitarbeiter ein Bewusstsein dafür entwickeln, was für Formulare sie da genau ausfüllen.» Wenn sie die Bedeutung und Logik hinter den Zahlen verstünden, müssten sie die Sprache gar nicht perfekt können. «Dann merken sie zum Beispiel, dass etwas nicht stimmen kann, wenn der Zinsertrag höher ist als der Kontostand.»

Die meisten Mitarbeiter hätten sich dieses Verständnis mittlerweile erarbeitet. Iseli: «Die Qualität stimmt und wird laufend noch besser. Und betreffend IT-Fachwissen macht den Indern sowieso niemand etwas vor.»

Auch Daniel Gentsch (45), bei EY Schweiz für die Zusammenarbeit mit Indien verantwortlich, ist zufrieden. Er betont aber, dass längst nicht alle Steuererklärungen, die EY anvertraut werden, in Indien ausgefüllt werden. «Die 4000 bis 5000 Steuererklärungen, die von unseren indischen Kollegen bearbeitet werden, betreffen fast ausschliesslich Expats, ausländische Fachkräfte, die in der Schweiz für Grosskonzerne arbeiten.»

Solche Steuererklärungen seien in der Regel relativ einfach und ohne spezifisches Steuer-Know-how auszufüllen. «Um komplizierte Steuererklärungen von Firmen und vermögenden Privatpersonen kümmern sich unsere Steuerexperten in der Schweiz.» Und auch bei den Steuererklärungen, die in Indien ausgefüllt werden, würden diese Berater die abschliessende Kontrolle machen.

Monatslohn: 400 Franken

EY hat vor drei Jahren begonnen, indischen Mitarbeitern das Ausfüllen von Schweizer Steuererklärungen beizubringen. Ob sie das in fünf oder zehn Jahren noch immer machen werden, steht jedoch in den Sternen. «Die Arbeit der indischen Kollegen wird in Zukunft von Computerprogrammen übernommen. Da arbeiten wir intensiv daran.» In den USA gebe es bereits heute Apps, die auf dem Lohnausweis automatisch die für die Steuererklärung relevanten Zahlen erkennen.

Gentsch spricht Klartext: «Es ist alles eine Frage der Kosten. Der globale Konkurrenzkampf ist knallhart. Da hat man gar keine andere Wahl, als ständig zu optimieren.»

Ein Blick zur Konkurrenz gibt ihm recht. Deloitte Schweiz schreibt auf Anfrage, dass man eng mit Kolleginnen und Kollegen in Rumänien und Indien zusammenarbeite – und das nicht nur für Steuererklärungen.

Die EY-Angestellten, die in Indien Schweizer Steuererklärungen ausfüllen, verdienen umgerechnet rund 400 Franken im Monat. Was nach wenig klingt, sei in Indien viel. «Ein Mittagessen bekommt man in Chennai ab 30 Rappen», so Raphael Iseli. Er selbst fühlte sich in Indien privilegiert: «Die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen werde ich nie mehr vergessen. Es war eine wunderbare Erfahrung!»

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