Raiffeisen-Chef verteidigt Rekordgewinne
«Wir hätten viel mehr Negativzinsen verlangen können»

Die Genossenschaft ist die neue Nummer zwei auf dem Finanzplatz. Im Interview verteidigt CEO Heinz Huber die Milliarden-Profite seiner Bank und spricht über die Folgen des CS-Debakels.
Publiziert: 10.09.2023 um 00:58 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2023 um 16:36 Uhr
Interview Thomas Schlittler und Beat Schmid

Herr Huber, SonntagsBlick titelte vergangene Woche: «Profitmaximierung bei der Genossenschaftsbank». Sie sind mit dieser Aussage nicht einverstanden. Wieso?
Heinz Huber: Raiffeisen ist als genossenschaftlich organisierte Bank darauf angewiesen, Gewinn zu erwirtschaften. Wir behalten aber über 90 Prozent unseres Gewinns im Unternehmen und machen unsere Bank dadurch sicherer und stabiler. Das ist im Interesse unserer Mitglieder und Kunden wie auch des Finanzplatzes. Es ist deshalb falsch, von Profitmaximierung zu sprechen.

Dass Raiffeisen Gewinn machen muss, ist unbestritten. Fragwürdig ist aber, dass Sie diesen seit 2013 um sagenhafte 90 Prozent gesteigert haben.
In dieser Zeit ist auch unser Geschäftsvolumen stark gewachsen. Zudem sind wir mittlerweile eine systemrelevante Bank und müssen deshalb Liquidität und Eigenkapital laufend erhöhen.

Das Volumen der Kundengelder und Ausleihungen ist nur um 50 Prozent gestiegen. Als Genossenschafter sage ich deshalb: Sie müssen endlich wieder bessere Konditionen bieten, statt die Gewinne weiter hinaufzuschrauben.
Die Konditionen sind nicht alles. Mindestens so wichtig ist, dass wir die Anforderungen erfüllen, die der Regulator an uns stellt. Zudem haben wir die Zinsen in diesem Jahr schon viermal erhöht. Zinsanpassungen geschehen aber immer verzögert. Das war auch 2008 so, als die Leitzinsen gesenkt wurden. Damals haben die Kunden profitiert. In den vergangenen Jahren haben nur 0,07 Prozent unserer Kunden Negativzinsen bezahlt, obwohl wir dies von viel mehr Kunden hätten verlangen können.

So präsentiert sich die Nummer zwei des Finanzplatzes am liebsten: Heile Welt bei der Raiffeisenbank Aletsch-Goms in Ernen VS.
Foto: Keystone
1/5

Statt Negativzinsen einzuführen, haben Sie einfach die Gebühren erhöht.
Die Mehrheit unserer Kunden sind Mitglieder und bezahlen keine Kontogebühren. Wir haben zudem rund 800 Geschäftsstellen, 1600 Bancomaten und ein E-Banking zu unterhalten, auf das täglich rund 700 000 Leute zugreifen. Das alles ist mit Kosten verbunden. Es ist nicht so, dass wir flächendeckend die Gebühren erhöht haben. In einigen Bereichen haben wir diese auch gesenkt oder abgeschafft.

Insgesamt sind Ihre Gebührenerträge massiv gestiegen.
Sie müssen die einzelnen Gebührenposten auseinandernehmen. Ein Teil der Steigerung liegt zum Beispiel beim Kartengeschäft. Raiffeisen gibt die Karten neu selbst heraus. Zudem sind die Leute mehr gereist und haben die Karten mehr eingesetzt. Das ist ein Grund, wieso die Gebühreneinnahmen gestiegen sind.

Wieso bezahle ich als Raiffeisen-Mitglied jährlich 50 Franken für meine Karte? Oder für Bancomatbezüge? Sie könnten diese Gebühren problemlos abschaffen.
Nein, in diesem Bereich fallen ja auch Kosten an. Wie gesagt: Wir brauchen Gewinne, um die Anforderungen an systemrelevante Banken zu erfüllen. Der Fall CS zeigt, wie wichtig Liquidität und Eigenkapital sind.

Raiffeisen hat mehr Eigenkapital, als verlangt wird. Wie viel streben Sie an?
Wir haben die Anforderungen, die wir bis 2026 erreichen müssten, bereits erfüllt. Im Zuge der CS-Krise gibt es aber auch politische Vorstösse, die 20 oder gar 30 Prozent Eigenkapital verlangen.

Persönlich: Heinz Huber

Heinz Huber (58) ist seit 2019 Raiffeisen-Chef. Nach dem Skandal um Langzeit-CEO Pierin Vincenz (67) führte er die Genossenschaftsbank wieder in ruhigere Gewässer. Zuvor war er fünf Jahre lang Geschäftsleiter der Thurgauer Kantonalbank. Huber ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Heinz Huber (58) ist seit 2019 Raiffeisen-Chef. Nach dem Skandal um Langzeit-CEO Pierin Vincenz (67) führte er die Genossenschaftsbank wieder in ruhigere Gewässer. Zuvor war er fünf Jahre lang Geschäftsleiter der Thurgauer Kantonalbank. Huber ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Mehr

Die Finanzmarktaufsicht tut das nicht. Folglich können Sie nicht damit argumentieren, Ihre Gewinne wegen Eigenkapitalvorschriften zurückbehalten zu müssen.
Wir wollen die Vorschriften nicht nur erfüllen, sondern auch einen Puffer haben. Die Kunden erwarten nicht nur die besten Konditionen, sie wollen ihr Geld vor allem auch einer sicheren Bank anvertrauen, die das auch morgen noch ist.

Gemäss Statuten betreiben Sie Ihre Geschäfte «in gemeinsamer Selbsthilfe im Sinn des genossenschaftlichen Gedankengutes von Friedrich Wilhelm Raiffeisen». Was bedeutet das für Sie?
Selbsthilfe bedeutet heute auch Selbstverantwortung. Wir sind eine Bank ohne staatlichen Einfluss. Das ist eine Freiheit, die wir haben – und deswegen sind wir sehr konservativ, was Risiken betrifft.

Herr Raiffeisen verstand unter Selbsthilfe bestmögliche Konditionen für arme Bauern. Gilt das nicht mehr?
Ich habe noch nie gehört, dass Herr Raiffeisen von «bestmöglichen Konditionen» gesprochen hat.

Er sprach von Hilfe zur Selbsthilfe. Sein Ziel war, dass die arme Landbevölkerung Kredite zu bezahlbaren Bedingungen bekommt.
Das ist Ihre Interpretation. Tatsache ist, dass die Grossbanken im 19. Jahrhundert hauptsächlich grosse und lukrative Infrastrukturprojekte finanziert haben. Es stellte sich deshalb die Frage, wie auch die Landbevölkerung zu Geld kommt. Vor diesem Hintergrund entstanden Raiffeisen und auch die Kantonalbanken. Heute sind sie jedoch alle Universalbanken.

Demnach braucht es das Genossenschaftsprinzip im 21. Jahrhundert gar nicht mehr?
Doch. Dabei geht es aber nicht nur um tiefe Gebühren und hohe Zinsen. Raiffeisen besteht aus 219 lokalen Banken. Sie alle haben Genossenschafterinnen und Genossenschafter, denen sie Rechenschaft ablegen müssen – und die mitbestimmen können. Das ist genossenschaftliches Gedankengut!

Aggregiert sind Sie nun die Nummer zwei der Schweiz. Sind Sie jetzt eigentlich eine Grossbank?
Wir sind eine grosse Bank.

Was fehlt, um eine Grossbank zu sein?
Wir wollen keine Grossbank sein. Wir sind 219 kleine, regionale Banken.

Wäre es nicht im Sinne der Schweiz, wenn Sie den Mut hätten zu sagen: Wir wollen jetzt eine Grossbank sein und Funktionen übernehmen, die früher die CS wahrgenommen hat. Gerade bei der KMU-Finanzierung hat die UBS nun teilweise ein Monopol.
Schon heute hat jedes dritte KMU eine Geschäftsbeziehung mit Raiffeisen. Wenn jemand zwei Standbeine will und vorher bei beiden Grossbanken war, sind wir parat. Ich sehe aber nicht ein, dass wir uns neu positionieren müssen. Unsere Werte haben sich bewährt.

Bei der Exportfinanzierung und syndizierten Grosskrediten – also Krediten, die von mehreren Banken gemeinsam gewährt werden – hinterlässt die CS eine grosse Lücke. Wieso steigt Raiffeisen da nicht ein?
Die Exportfinanzierung setzt ein internationales Korrespondentennetz voraus. Unser Geschäftsmodell würde dadurch viel komplexer, das wollen wir nicht. Bei syndizierten Krediten übernehmen wir schon heute einzelne Tranchen.

Sie sind bei syndizierten Krediten aber nur in der passiven Rolle und nicht die Leadbank, welche Unternehmen und Projekte unter die Lupe nimmt. Machen Sie da in Zukunft mehr?
Wenn Sie im Lead sind, müssen Sie am Anfang typischerweise eine sehr grosse Kredit-Tranche selbst stemmen. Teilweise sind das mehrere 100 Millionen Franken. Hat Raiffeisen diesen Risiko-Appetit? Wir haben gesagt: nein. Nur weil jemand nicht mehr da ist, wollen wir unser Risikoprofil nicht verändern. Wir wollen bei syndizierten grossen Krediten keine Leadbank sein.

Die «Too big to fail»-Regulierung hat sich bei der CS als nutzlos erwiesen. Braucht es Anpassungen?
Erst müssen wir sauber analysieren, wieso es die CS nicht mehr gibt. Kommt man zum Schluss, dass es Anpassungen braucht, verschliessen wir uns dieser Diskussion nicht. Wichtig ist aber, anhand des Geschäftsmodells zu regulieren. Raiffeisen hat kein Investmentbanking und keine Geschäftseinheiten im Ausland. Folglich brauchen wir auch nicht die gleiche Regulierung wie eine Grossbank.

Eine Forderung lautet: 20 Prozent Eigenkapital. Was sagen Sie dazu?
Um das zu erreichen, bräuchten die Banken in der Schweiz viele Milliarden an zusätzlichem Kapital. Es ist fraglich, ob es möglich wäre, dieses Geld zu beschaffen. Finde ich dieses Kapital nicht, muss ich die Bilanz reduzieren. Ich müsste meinen Hypothekarkunden also sagen, dass sie ihre Hypothek frühzeitig zurückbezahlen müssen. Das wäre volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Wir müssen deshalb sehr vorsichtig sein mit zusätzlichen Regulierungen. Nicht zuletzt brauchen wir gleich lange Spiesse wie das Ausland.

Apropos gleich lange Spiesse: Raiffeisen zahlt seit 2021 keine Boni mehr. Ist es dadurch schwieriger geworden, Personal zu finden?
Nein, wir finden trotzdem gutes Personal. Es kommen Leute zu uns, die unsere Werte teilen. Unsere Mitarbeitenden wollen keinen Wahnsinnsbonus, sondern lieber einen sicheren Arbeitsplatz.

Waren Boni-Anreize bei der CS Teil des Problems?
Ich kann nicht für andere sprechen. Wir haben den Boni-Verzicht eingeführt, um die Teamarbeit und das Gemeinschaftliche zu fördern. Es soll nicht jeder immer darüber nachdenken, dass er einen grösseren Anteil bekommt, wenn er bessere Zahlen liefert.

Sie erhalten zahlreiche Bewerbungen von CS-Bankern. Passen diese in Ihr System?
Das sehen wir uns jeweils an. Sie müssen sich mit diesem System anfreunden – und wir schauen, ob jemand kulturell kompatibel ist.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.