Rolex kauft Bucherer
Dieser Deal verändert die Luxusuhrenbranche fundamental

Was sind die Folgen der Übernahme des wichtigsten Uhrenhändlers durch den Schweizer Uhren-Marktführer? Die grosse Analyse.
Publiziert: 25.08.2023 um 19:47 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 12:13 Uhr
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Marcel Speiser
Handelszeitung

Die Rückschau lässt die Ernennung von Nicolas Brunschwig zum Präsidenten von Rolex vor rund einem Jahr wie ein Fanal wirken. Brunschwig ist von Haus aus Detailhändler, seiner Familie gehört das Unternehmen Bongénie, das unter der Marke Grieder in der ganzen Schweiz edle Mode verkauft. Und kaum ist Brunschwig im Amt, wird auch die Uhrenmarke Rolex zur Retailerin: Sie übernimmt das Luzerner Familienunternehmen Bucherer und damit einen der grössten Uhrenhändler der Welt.

Der Deal verändert die Luxusuhrenbranche fundamental. Und zwar entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Künftig gehören die mit Abstand grösste Schweizer Uhrenmarke mit einem Umsatz von 9,3 Milliarden Franken und einem Marktanteil von fast 31 Prozent sowie der wichtigste Rolex-Händler Europas und der USA unter das gleiche Dach. Die Rolex Holding in Genf wird zu einem Multi-Marken-Powerhouse mit einem Umsatz von über 12 Milliarden Franken. Das ist mehr, als der globale Luxusgigant LVMH mit Uhren und Schmuck erwirtschaftet – und fast das Doppelte der Swatch Group.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Das allein schon zeigt die herausragende Relevanz der Übernahme. Was aber bedeutet der Deal für Rolex? Für Bucherer? Für andere Uhrenmarken, andere Uhrenhändler? Und: Was bedeutet er für die Kundinnen und Uhrenfans? Wir ordnen ein, analysieren die Folgen und beantworten die wichtigsten Fragen.

Im Fokus der Uhrenbranche: Rolex-Chef Jean-Frédéric Dufour ist jetzt auch ein grosser Uhrenhändler.
Foto: Getty Images
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Hahn im Korb: Patron Jörg Bucherer an einer Ladeneröffnung in Zürich.
Foto: ZVG

Warum wurde Bucherer überhaupt verkauft?

Geld braucht Jörg Bucherer, der Patron des gleichnamigen Luzerner Unternehmens, längst keines mehr. Sein Vermögen wird von der «Bilanz» auf gut 2,2 Milliarden Franken geschätzt. Doch der 87-jährige Unternehmer hat keine Kinder. Immer wieder hat er betont, für seine Nachfolge sei alles geregelt, man müsse sich um die Zukunft von Bucherer keine Sorgen machen.

Solche Aussagen wurden jeweils so interpretiert, dass er sein Handelsimperium in eine Stiftung einbringen wird, die es dann weiterführen wird. Ganz nach dem Vorbild von Rolex-Gründer Hans Wilsdorf – Jörg Bucherer gehört zu den wenigen in der Branche, die noch direkt mit ihm zusammengearbeitet haben. Wilsdorf hat Rolex einer gemeinnützigen Stiftung vermacht, die nun über das Unternehmen wacht und dessen Erträge verteilt.

Und warum kauft Rolex Bucherer?

Vor 99 Jahren wurde erstmals eine Rolex in einem Laden von Bucherer zum Verkauf ausgestellt. Die beiden Unternehmen wirtschaften seither in einer nahezu symbiotischen Partnerschaft. Ohne Bucherer hätte sich Rolex nicht zur dominierenden Marke entwickelt. Und ohne Rolex hätte Bucherer niemals die Grösse erreicht, die der Händler heute hat. Schätzungen gehen davon aus, dass Bucherer zwischen 1,8 und 2 Milliarden Franken umsetzt.

Die enge, bereits fast ein Jahrhundert dauernde Partnerschaft zwischen den beiden Unternehmen gipfelte kürzlich darin, dass Rolex Bucherer als Lancierungspartner für seinen Einstieg ins Geschäft mit Secondhand-Uhren auserkoren hat.

Wichtiger aber als die Tradition sind ganz handfeste Interessen: Rolex-Chef Jean-Frédéric Dufour musste um jeden Preis sicherstellen, dass er im Vertrieb auf strategische Kontinuität setzen kann. Auch für die Zeit nach Jörg Bucherer. Schliesslich verkauft Bucherer seine Uhren an gut 100 Verkaufsstellen in der ganzen Welt. 53 davon sind Rolex-Händler, 48 davon Tudor-Händler. Ohne Bucherer hätte Rolex ein Vertriebsproblem in den USA und in Europa. Insgesamt, schätzen die Analysten von Vontobel, macht Rolex rund fünf Prozent des Umsatzes mit Bucherer. In Europa und den USA sind es zweifellos mehr.

Ausserdem musste Dufour sicherstellen, dass kein Konkurrent die Chance bekommt, das einzigartige Vertriebsnetz von Bucherer zu kaufen. Wenn etwa LVMH oder Richemont die Läden von Bucherer übernommen hätten, wäre die Distribution viel aufwendiger und schwieriger geworden.

Was weiss man über den Deal? Wie viel hat Rolex bezahlt?

Weder Rolex noch Bucherer reden über Zahlen. Bei beiden Unternehmen herrscht gegen aussen betriebswirtschaftliche Total-Omertà. Bezüglich Umsatz und Gewinn gibt es einzig Schätzungen. Ergo haben die beiden Unternehmen auch kein Wort zum Übernahmepreis verloren.

In der Branche kursiert aber eine Zahl: 4 bis 5 Milliarden Franken sollen geflossen sein. Die Summe ist durchaus realistisch. Vontobel veranschlagt den Firmenwert von Bucherer auf 4 Milliarden Franken.

Klar ist: Rolex hätte auch mehr bezahlen können. Wie Branchenkenner Oliver Müller hier vorrechnet, «verzichtete» Rolex als Unternehmen, das bislang zu 100 Prozent auf Wholesale – also den Vertrieb über Fachhändler wie Bucherer – setzte, auf eine milliardenhohe Händlermarge. Allein letztes Jahr hätte Rolex gut 4,6 Milliarden Franken zusätzlichen Umsatz schreiben können, hätte das Unternehmen alle seine Uhren selbst in eigenen Läden verkauft.

In anderen Worten: Rolex hat den Übernahmepreis für Bucherer in wenigen Jahren wieder eingespielt.

Rolex-Boutique von Bucherer in Genf: Neu gehört sie zu Rolex selbst. Wie hundert andere Uhrenläden auch.
Foto: ZVG

Was bedeutet die Bucherer-Übernahme für Rolex?

Rolex vollzieht eine Strategiewende um 180 Grad. Bislang führte Rolex nur eine Uhrenboutique selbst: Chrono-Time in Genf. Neu wird der Uhrenhersteller zu einem der weltweit grössten Uhrenhändler. Erstens für die eigenen Marken Rolex und Tudor. Aber auch für Dutzende Marken anderer Unternehmen, von LVMH über Richemont bis Swatch Group.

Neu wird Rolex zu einem voll integrierten Uhrenkonzern, der den grössten Teil der Herstellung inhouse macht und einen wesentlichen Teil des Vertriebs nun ebenfalls selbst macht. Das zementiert die einzigartige Stellung des Unternehmens in der Schweizer Uhrenindustrie nachhaltig. Das Königreich der Krone ist nochmals grösser und wichtiger geworden.

Ausserdem: Bislang gehörten zwei Uhrenmarken zur Rolex Holding: Rolex und Tudor. Neu kommt eine dritte Marke hinzu: Carl F. Bucherer, bislang Teil von Bucherer. Im Vergleich zu den beiden Rolex-Marken ist sie klein (und hatte zuletzt mit strategischen Kehrtwendungen und Chefwechseln zu kämpfen), dürfte aber stark profitieren. Denn: Niemand verkauft Uhren besser als Rolex.

Und schliesslich: Neu ist Rolex auch eine Schmuckherstellerin und -händlerin. Denn Bucherer verkauft nicht nur Uhren, sondern auch Schmuck. Und führt unter der Marke «Bucherer Fine Jewellry» eine eigene Schmucklinie.

Was bedeutet die Übernahme durch Rolex für Bucherer?

Die Zukunft des Unternehmens dürfte nach der Übernahme durch Rolex nahezu für die Ewigkeit gesichert sein. Das erlaubt es dem aktuellen Management um Chef Guido Zumbühl, langfristig und nachhaltig zu arbeiten. Rolex und Bucherer beteuern, dass Bucherer als Retail-Marke bestehen bleiben wird. Es seien auch keine Rochaden in der Führung vorgesehen. Auch die Marke Bucherer bleibt bestehen.

Zumbühl kann damit auf eine ähnliche Situation zählen wie unter der Ägide von Patron Jörg Bucherer. Dieser war zwar auch im hohen Alter noch präsent. Er liess aber sein Management an der langen Leine. «Wir geniessen viele Freiheiten, solange wir keinen Blödsinn machen», sagte Zumbühl einst zum «Handelblatt». Ein Job bei einem Familienunternehmen, so Zumbühl damals weiter, sei ein Privileg. Investitionen müssten nicht sofort profitabel sein, stattdessen verfolge man eine langfristige Perspektive.

Diesbezüglich wird sich unter dem Dach von Rolex kaum etwas ändern. Rolex ist zwar kein Familienunternehmen, stellt aber Langfristigkeit ebenfalls über alles. Und solange Zumbühl seinen Job so gut macht wie im letzten Jahrzehnt, dürften ihn seinen neuen Chefs Dufour und Brunschwig ebenfalls viele Freiheiten lassen.

Wie werden andere Uhrenmarken auf die Übernahme von Bucherer durch Rolex reagieren?

Dass Rolex und Bucherer sich unter einem Dach befinden, dürfte einige Schockwellen durch die Branche jagen. Zwar beteuert Jörg Bucherer in einem Brief an die «geschätzten Partner», es werde sich für sie nichts ändern. Das Schreiben liegt der «Handelszeitung» vor. Auch Rolex stimmt in einer Mitteilung in diese Schalmeienklänge ein. «Die Rolex-Gruppe ist überzeugt, dass diese Übernahme die beste Lösung nicht nur für ihre eigenen Marken, sondern auch für alle Uhren- und Schmuckpartnermarken ist.»

Klar aber ist: Das Duo Bucherer/Rolex wird in den kommenden Jahren andere Marken verlieren. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die starken Marken der Swatch Group, Richemont oder LVMH dabei zusehen werden, wie der Verkauf ihrer Zeitmesser die Schatullen ihres ärgsten Konkurrenten Rolex füllen wird. Sie dürfte ergo ihre bereits etablierte Strategie, insbesondere in eigenen Läden zu verkaufen, forcieren. Und vermehrt neue Retail-Partnerschaften knüpfen.

Anders bei den schwächeren und kleineren Marken, die Bucherer vertreibt: Sie werden gute Miene zum bösen Spiel machen. Und darauf vertrauen (müssen), dass die Beteuerungen von Rolex und Bucherer, weiterhin Multi-Marken-Retail zu machen, auch in fünf oder zehn Jahren noch Gültigkeit haben werden.

Wie werden andere Uhrenhändler auf die Verbandelung von Rolex und Bucherer reagieren?

Rolex-Händler in Südamerika, dem Mittleren Osten oder in Asien können locker darauf vertrauen, dass die «fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Rolex und den anderen offiziellen Einzelhändlern des Vertriebsnetzes» wie in der Mitteilung versprochen «unverändert fortgesetzt» wird.

Dagegen dürften Rolex-Händler in der Schweiz, Europa und in den USA, als dort, wo Bucherer stark ist, ab sofort unruhig schlafen. Sie leben vom Umsatz mit Rolex-Uhren, erwirtschaften in der Regel 30 bis 50 Prozent des Absatzes mit den heiss begehrten Modellen mit der Krone. Wenn sie nun künftig, was durchaus realistisch ist, kleinere Kontingente an Uhren bekommen als Bucherer, dürften sie Umsatz und Kunden verlieren. Schon kleine Nuancen in der Zuteilung der Uhren machen da einen grossen Unterschied. Zumal die Nachfrage nach Rolex-Zeitmessern nach wie vor deutlich höher ist als das Angebot.

Diese Rolex-Händler werden sich nach Alternativen zu Rolex umsehen müssen, die es allerdings kaum gibt. Prestige-Marken wie Richard Mille oder Audemars Piguet verkaufen praktisch nur in eigenen Läden. Und auch Patek Philippe will das Ladennetz ausdünnen. Hinzu kommt: Die Volumen sind bei all diesen Marken weit tiefer als bei Rolex.

Kurz: Der Bucherer-Deal von Rolex ist für Dritt-Retailer eine grosse strategische Herausforderung.

Heisse Ware: Eine Rolex Submariner ohne Datum.
Foto: ZVG

Was bedeutet der Deal für Kunden und Uhren-Fans?

Rolex-Kunden können neu erstmals überhaupt direkt mit der Marke in Kontakt treten. Denn mit Bucherer wird Rolex zu einer Direct-to-Consumer-Marke.

Ausserdem ist es für Neukundinnen und Neukunden nun klar, wo sie sich für ihre Traum-Daytona oder Submariner auf die Warteliste setzen müssen: bei Bucherer. Jedenfalls in Märkten wie der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien oder den USA, wo Bucherer dominiert. Denn wo ist die Chance am grössten, die Traumuhr auch wirklich zu bekommen? Natürlich beim Hersteller selbst!

Wie geht es nun weiter?

Wie immer bei Rolex wird es nun langsam, schrittweise und behutsam weitergehen. Strategische oder personelle Schnellschüsse sind nicht zu erwarten. Rolex wird die Übernahme von den Wettbewerbsbehörden in den diversen betroffenen Märkten absegnen lassen. Das wird dauern, aber keine Überraschungen zu Tage fördern. Denn es gibt genug andere Uhrenmarken und starke andere Uhrenhändler, so dass der Deal kaum wettbewerbsrechtliche Bedenken auslösen dürfte.

Klar ist: Mit der Übernahme von Bucherer hat sich Rolex neben grossen strategischen Chancen auch eine grosse Verantwortung eingekauft. Die Verantwortung, als absolut dominierende Marke der Schweizer Uhrenindustrie für die ganze Branche ein Leuchtturm und Anwalt zu sein.

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