Schweizer Bauern haben wegen Katastrophen-Sommer kein Gemüse mehr
«Das Lager müsste noch zu zwei Drittel voll sein, jetzt ist es praktisch leer»

Schweizer Gemüse ist rar. Etliches Bio-Gemüse geht in den nächsten Wochen aus. Bis im Sommer ist die Schweiz auf Importe angewiesen. Die Bauern stehen vor einem ungemütlichen Halbjahr.
Publiziert: 08.02.2022 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2022 um 22:00 Uhr
Fabio Giger

Vor dem Gemüselager in Steinmaur ZH stapeln sich grosse Plastikkisten. Sie sind leer. Eigentlich sollten sie in den gekühlten Hallen stehen. Zu Hunderten. Und alle bis oben gefüllt.

Nur 15 grüne Kisten mit Rüebli stehen in der Ecke der Kühlhalle von Bio-Bauer Stephan Müller (64). «In Normaljahren wären es Ende Januar mindestens 150», sagt er und schüttelt den Kopf. «Die Halle müsste zu zwei Drittel voll sein. Und jetzt ist sie praktisch leer.»

Müller führt einen der grössten Bio-Betriebe im Kanton Zürich. In den Hallen seiner Schweizer Kollegen lagert ähnlich viel Ware: So gut wie gar nichts mehr.

Die Lagerhalle von Bio-Bauer Stephan Müller (64) ist praktisch leer, obwohl sie eigentlich zu zwei Drittel voll sein sollte.
Foto: Nathalie Taiana
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«Gemüse ist einfach versoffen»

Der Schweiz geht das Bio-Gemüse aus! Heimische Bio-Ziebeln gibt es heute vielerorts gar keine mehr. Laut Bio Suisse ist Mitte Februar Schluss mit Bio-Kartoffeln. Die Rüebli-Vorräte halten vielleicht noch einen Monat länger. Auch anderes Schweizer Gemüse ist schon «nahezu aufgebraucht».

«Es ist sehr viel Ware einfach versoffen», sagt Bio-Bauer Müller. Letztes Jahr spielte das Wetter verrückt. Der Frühling war kalt und nass. Im Sommer überschwemmten Unwetter ganze Äcker. Etliche Hagelzüge haben Gemüsefelder dem Boden gleichgemacht.

Die Schweiz ist auf Importe angewiesen

Das Resultat: Die beliebtesten Bio-Gemüsesorten der Schweiz müssen jetzt aus dem Ausland importiert werden. An sich nichts Aussergewöhnliches. Nur ist die Schweiz dieses Jahr so früh darauf angewiesen wie noch nie! Kommt hinzu: Auch die Ware aus der konventionellen Produktion ist bald Mangelware.

«Mitte April haben wir voraussichtlich keine Schweizer Rüebli mehr», prognostiziert Alexander Zogg (45) von der Gemüseanbauorganisation Müller Azmoos AG. Er vertreibt das Gemüse von 120 Ostschweizer Produzenten.

Die ersten Schweizer Rüebli der neuen Ernte können die Bauern erst Anfang Juni aus dem Boden zupfen. Die vielen Wochen dazwischen muss die Schweiz importieren – wohl aus Italien oder Spanien.

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Trotzdem wartet der Gemüseverband noch ab, Importgesuche zu stellen. Anders Swisspatat: Der Kartoffelverband hat bereits ein Importgesuch für 20’000 Tonnen Speisekartoffeln eingereicht.

Das ist dringend nötig. Die Knollen fehlen schweizweit. «Wir fuhren auf unserem Hof nur 10 Prozent der normalen Kartoffelernte ein», sagt Bio-Bauer Müller. Schweizweit ernteten Bio-Bauern nur halb so viele Kartoffeln wie in den Vorjahren.

Die landwirtschaftliche Versicherung Schweizer Hagel schätzt die versicherten Schäden an Ackerkulturen im letzten Jahr auf über 110 Millionen Franken. Das ist Rekord. Der entgangene Verkaufsertrag dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Wie viel Geld der Frustsommer die Bio-Branche gekostet hat, will Bio Suisse nicht verraten.

Verzweifelte Bauern, tolerantere Konsumenten

«Ich versuche zu retten, was noch irgendwie zu retten ist», sagt Bauer Müller und kniet in eine Reihe mit Rotkabis. Den hätte er vergangenen Herbst ernten sollen. Müller liess ihn stehen. «Halb aus Verzweiflung, halb aus Hoffnung», so der Bio-Bauer.

Im Sommer stand sein Kabis teils komplett unter Wasser. Die Wurzeln sind abgestorben, die Kabisköpfe winzig. Nur dank akribischer Pflege überlebten die Pflanzen, bildeten neue Wurzeln und können weiterwachsen.

Nur: Das gewünschte Gewicht und die genormte Qualität werden die Kabisköpfe kaum mehr auf die Waage bringen. «Die Abnehmer und Konsumenten sind aber toleranter geworden», beobachtet Müller, unter anderem auch in seinem Hofladen. Der Markt habe sich zwangsläufig an «weniger perfekte Ware» anpassen müssen.

Preiserhöhungen lohnen sich nicht mehr

Trotz knapper Lagermengen hat sich die Branche am vergangenen Montag gegen eine Preiserhöhung entschieden. «Es würde sich gar nicht mehr lohnen, höhere Preise zu verlangen. Wir haben ja gar keine Ware zum Ausliefern mehr!», sagt Müller. Das habe er in seinem ganzen Landwirte-Leben noch nie erlebt.

Auf dem Feld stünde gerade die Radieschen-Saat an. Aber der Boden ist gefroren. Mal wieder spielt das Wetter nicht mit. Müller zuckt mit den Schultern: «Wenn es nur nicht so schlimm wie letztes Jahr wird.»

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