Schweizer Pharma sucht verzweifelt Anschluss an Megatrend
Erfolg der Fett-Weg-Spritzen überrascht selbst Produzentin

Europäer zahlen für die Abnehmmedikamente oft aus eigener Tasche. Das überrascht das dänische Pharmaunternehmen Novo Nordisk. Derweil suchen Roche und Novartis verzweifelt den Anschluss.
Publiziert: 05.02.2024 um 15:47 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2024 um 17:48 Uhr

Normalerweise sind Schweizer Pharmaunternehmen Vorreiter, wenn es um die Einführung von neuen Medikamenten geht. Bei der Bekämpfung von Übergewicht und der Lancierung der Fett-Weg-Spritzen haben die heimischen Gesundheitskonzerne den Start aber verschlafen. Nun suchen Roche und Novartis verzweifelt Anschluss im Abnehm-Geschäft.

Die Anführerrollen nehmen im Moment die Pharmaunternehmen Eli Lilly aus den USA und die dänische Firma Novo Nordisk ein. Mit der Übernahme des US-Unternehmens Carmot hat Roche seinen Einstieg in das Wettrennen der Fett-Weg-Spritzen angekündigt.

Zusätzliche Investitionen geplant

Weitere Übernahmen auf diesem Gebiet könnten folgen, kündigte James Sabry von Roche an. Er ist für Partnerschaften und Kooperationen zuständig. Man sei auf der Jagd nach Partnern, um das Duopol von Eli Lilly und Novo Nordisk herauszufordern, wird der Manager in einem Medienbericht zitiert.

Schätzungen zufolge dürfte sich die Zahl der übergewichtigen Menschen bis 2035 auf vier Milliarden verdoppeln.
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Auch Konzernlenker Thomas Schinecker (48) machte unlängst im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP klar, dass er grosses Potenzial in dem Markt sehe. Dabei könnte Roche schon viel weiter sein. Der Konzern hat 2018 die Rechte an einem Fett-Weg-Kandidaten für ursprünglich 50 Millionen US-Dollar an Eli Lilly abgetreten. 

Novartis geht anderen Weg

Anders als Roche fokussiert sich Konkurrent Novartis eher auf die Begleiterscheinungen von Fettleibigkeit wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Cholesterin. «Wir schauen uns die derzeitigen Entwicklungen sehr genau an und überlegen, wie wir letztendlich partizipieren könnten», sagte Novartis-CEO Vas Narasimhan (47) im Interview mit AWP. «Nichtsdestotrotz: Unser Ansatz ist es, Therapien zu entwickeln, mit denen wir Patienten einen neuartigen oder auch verbesserten Ansatz liefern können. Der Herde einfach folgen, wollen wir nicht.»

So einfach dürften die Kassen aber nicht klingeln. Zwar ist die Nachfrage extrem hoch, die Konzerne können sie aber mit ihren aktuellen Kapazitäten nicht bedienen. Zudem sind die Mittel nicht günstig. Das heisst, dass sich in manchen Ländern nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht die Abnehmmittel leisten kann. Bis es erste kostengünstigere Generika gibt, dürften noch Jahre vergehen. Allerdings arbeiten erste Konzerne bereits daran.

Der Markt ist riesig

Trotzdem, die Bekämpfung von Übergewicht und Fettleibigkeit ist ein Milliardenmarkt. Schätzungen zufolge dürfte sich die Zahl der übergewichtigen Menschen bis 2035 auf vier Milliarden verdoppelt haben. Das heisst: Die halbe Menschheit leidet dann unter Adipositas. Und so schätzen Experten das Marktpotenzial denn auch auf exorbitante 150 Milliarden US-Dollar.

Zudem wurde Novo Nordisk von der Bereitschaft europäischer Konsumenten, aus eigener Tasche zu zahlen, «überrascht». Das Abnehmmedikament Wegovy führte zu Rekordumsätzen im Jahr 2023. In der Schweiz, wo Wegovy von der Krankenkassen-Grundversicherung (noch) nicht übernommen wird, ist vor allem das geringer dosierte Ozempic berühmt. Das eigentliche Diabetes-Medikament hilft ebenfalls beim Abnehmen.

Durch die hohe Wirksamkeit von Wegovy – Teilnehmer verloren im Durchschnitt 15 Prozent ihres Körpergewichts in einer mehr als einjährigen Studie – und eine Reihe von Prominenten-Unterstützungen ist das Medikament aber auch in Europa sehr gefragt.

Aus eigenem Portemonnaie zu zahlen ist nicht gewöhnlich

Der Vorstandsvorsitzende Lars Fruergaard Jørgensen sagte, das Unternehmen habe «eine sehr hohe Bereitschaft» unter Europäern gesehen, persönlich für Abnehmmedikamente zu zahlen. Das, obwohl solche Medikamente oftmals von Versicherungen übernommen werden.

«Die Akzeptanz, die wir sehen, hat uns anfangs überrascht. Wir fragten uns, ob das nur ein Phänomen in den USA war? Wir haben es in Dänemark und Norwegen ausprobiert, wir haben mehr oder weniger dasselbe gesehen», sagte er der «Financial Times». «Es ist vielleicht das erste Mal, dass man eine grosse Bevölkerungsgruppe sieht, die bereit ist, aus eigener Tasche für ein Medikament zu zahlen.»

In Europa, wo Wegovy noch nicht allgemein im öffentlichen Gesundheitssystemen verfügbar ist, werden 80 Prozent der Verkäufe von Verbrauchern persönlich bezahlt. In den USA werden laut dem Unternehmen mehr als 90 Prozent der Verkäufe ganz oder teilweise von Krankenversicherungen abgedeckt.

In Anbetracht des grossen Marktpotenzials und des unternehmerischen Erfolgs mit den Fett-Weg-Spritzen ist anzunehmen, dass Roche und auch Novartis noch tiefer in dieses Geschäft einsteigen wollen. (SDA/wgr)

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