«Wir gaben den Bäumen sogar Namen»
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Zoff in Weesen wegen Seesicht:«Wir gaben den Bäumen sogar Namen»

Skandal um Luxus-Überbauung in Weesen SG
Fast 30 Bäume illegal abgeholzt!

Die Überbauung Lake Shore sorgt in Weesen derzeit für Zoff: Während des Baus wurden im Kurfürstenpark insgesamt fast 30 Bäume gefällt. Das Problem: Die Bäume waren denkmalgeschützt. Weshalb schaute die Gemeinde dabei zu?
Publiziert: 13.11.2020 um 02:17 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2021 um 16:48 Uhr
Dorothea Vollenweider

Als Walter Baumann (60) letztes Jahr den Kurfürstenpark in Weesen SG besucht, traut er seinen Augen nicht: Der Park, in dem sein Kindheitshaus – eine einst herrschaftliche Villa – steht, ist nicht wiederzuerkennen. Für eine neue, exklusive Überbauung mit dem wohlklingenden Namen Lake Shore wurden mehr als 20 Bäume gerodet. Das, obwohl die Bäume, darunter teilweise 90-jährige Blutbuchen, unter Denkmalschutz standen.

«Der Park wurde regelrecht zerstört», sagt Baumann heute. Die Villa, in der der 60-Jährige bis zu seinem fünften Lebensjahr lebte, wurde vor rund 90 Jahren von seinem Grossvater Hans Oskar Kurfürst (1884–1940) gebaut. Sie steht heute, so wie der Park selbst, unter Denkmalschutz.

Teil des Bundesinventars besonders schützenswerter Orte

Die Villa und der Park wurden zudem in das Bundesinventar besonders schützenswerter Ortsbilder (Isos) aufgenommen und mit der höchstmöglichen Schutzklasse versehen. «Ich habe noch Fotos meiner Mutter, wie sie im schönen Park vor der Villa sitzt, mit mir auf der Schoss», sagt Baumann zu BLICK. Nostalgisch zeigt er weitere Bilder seiner Vorfahren und des ursprünglichen Parks.

«Der Park wurde regelrecht zerstört», sagt Walter Baumann (60).
Foto: STEFAN BOHRER
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«Wir haben diese Bäume als Kinder geliebt», schwärmt Baumann. «Wir gaben ihnen sogar Namen.» Bevor seine Familie den Kurfürstenpark 1991 verkaufte, legte sie einen restriktiven Überbauungsplan fest. Dieser soll dafür sorgen, dass das Vermächtnis des Grossvaters erhalten bleibt. Für die Villa bekam die Familie damals 2 Millionen Franken und für den Park 4 Millionen.

Hat die Gemeinde bei der Rodung zugeschaut?

«Mit dem Überbauungsplan haben wir den damaligen Verkaufserlös um rund 6 Millionen Franken geschmälert», sagt Baumann. Ein Preis, den die Familie zu zahlen bereit war, um den Park und die Villa zu schützen. «Der Überbauungsplan wurde als öffentlich-rechtliches Papier ausgestaltet, sodass die Gemeinde Weesen darüber zu wachen hatte.»

Doch tat die Gemeinde das auch? Das Gemeindehaus von Weesen steht 130 Meter von der Baustelle entfernt, wo die denkmalgeschützten Bäume abgeholzt wurden. Die Büroräume der Verwaltung haben ein Fenster in Richtung Park mit freiem Blick auf die Baumgruppe. Das wirft die Frage auf: Warum hat die Gemeinde nichts von der Rodung mitbekommen? Und warum hat sie nichts unternommen, als die Bäume gefällt wurden?

Der Kurfürstenpark hat eine bewegte Vergangenheit. Über das Leben des einstigen Erbauers Hans Oskar Kurfürst, bevor er in die Schweiz kam, ist kaum etwas bekannt.
Foto: zVg
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Die Gemeinde kann BLICK darauf keine befriedigende Antwort liefern. Klar ist: «Unsere Baubewilligung war nur für die Fällung dreier Bäume erteilt worden», sagt Marcel Benz (59), Gemeindepräsident von Weesen. Und zwar nur unter der Bedingung einer Ersatzpflanzung zulasten der Bauherrschaft.

Lake Shore steht, die Bäume sind weg

Was dann geschah, bleibt ein Rätsel. Während mehrerer Tage wurden statt drei mehr als 20 Bäume gefällt. Die Gemeinde will davon nichts mitbekommen haben. «Wir sind davon ausgegangen, dass die erfahrene Bauherrschaft unsere Auflagen der Baubewilligung einhält», sagt Benz heute.

Unmittelbar habe man deshalb erst nach Bekanntwerden der Fällung von weiteren Bäumen reagieren können. «Ein Baustopp hätte aber keine Wirkung mehr erzielt, da die Fällung der Bäume schon vollzogen war», gesteht er ein.

Die Überbauung Lake Shore ist inzwischen fertig. Verantwortlich dafür sind der Immobilienunternehmer Josef Büeler und seine Frau Najia Büeler. Unter dem Namen ihrer gemeinsamen Firma Palme d'Or liessen sie zwei Mehrfamilienhäuser mit Platz für je sechs Eigentumswohnungen erbauen.

Weshalb dafür so viele Bäume gerodet werden mussten, erklärt Josef Büeler wie folgt: «Ohne die Bäume zu fällen, hätten wir die Baugrube nicht erstellen können.» Man habe deshalb in Absprache mit der Denkmalpflege und mit einer schriftlichen Vereinbarung einer entsprechenden Ersatzpflanzung insgesamt 23 Bäume gefällt. Dokumente, die BLICK vorliegen, zeigen jedoch: Die Bäume wurden gefällt, bevor es dafür eine Genehmigung gab.

Denkmalschutz St. Gallen greift ein

Baumann glaubt, dass deutlich mehr als 23 Bäume gefällt wurden. Und versteht nicht, weshalb es dort überhaupt eine Baugrube brauchte. Er vermutet, dass die Bäume nicht wegen der Baugrube, sondern für eine freie See- und Parksicht verschwinden mussten. Klar ist: Im Verkaufskatalog der Familie Büeler wird die Weitsicht der Eigentumswohnungen angepriesen. Die Preise sind stattlich für diese Region: Die Wohnungen kosten zwischen 520'000 Franken für eine 2,5-Zimmer-Wohnung und 1,5 Millionen Franken für eine 4,5-Zimmer-Attikawohnung.

Die Denkmalschützerin Irene Hochreutener bestätigt gegenüber BLICK, dass die kantonale Denkmalpflege in den Fall involviert sei. «Unter Beizug der kantonalen Denkmalpflege hat die Gemeinde Massnahmen zur Wiederherstellung eingeleitet», sagt Hochreutener auf Anfrage. Weiteren Angaben dürfe der kantonale Denkmalschutz nicht machen, heisst es.

Laut Bauherr Büeler sind die Ersatzpflanzungen bereits in Arbeit. Den Park aus seiner Kindheit, umgeben von gross gewachsenen Blutbuchen, wird Baumann so nie wieder sehen. «Doch ich kämpfe dafür, dass zumindest die Generationen nach uns diesen verschandelten Fleck wieder in seiner ursprünglichen Pracht erleben dürfen», sagt der 60-Jährige.

Der Kurfürstenpark gehörte zuletzt dem Schmidheiny-Clan

Der Kurfürstenpark hat eine bewegte Vergangenheit. Über das Leben des einstigen Erbauers Hans Oskar Kurfürst (1882–1940), bevor er in die Schweiz kam, ist kaum etwas bekannt. Kurfürst war Österreicher und wuchs laut den Nachkommen irgendwo an der Donau auf. Er studierte Medizin in München. Seine Familie muss dem Adel angehört haben und sehr vermögend gewesen sein. Woher der Reichtum kam, bleibt ein Rätsel.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs kam Kurfürst in die Schweiz. Wahrscheinlich ist, dass er fliehen musste. Seine Frau stammte aus einer norditalienischen Künstlerfamilie. Nach seiner Ankunft in der Schweiz praktizierte Kurfürst in Herisau AR als Arzt. Auf seinem Grabstein stand, dass er einer der ersten Homöopathen gewesen sei.

Kurfürst liess Frau und acht Kinder zurück

Als die Familie nach Weesen SG kam, kaufte Kurfürst die Dependance des Hotels Schwert und das rund 30'000 Quadratmeter grosse Ried daneben. Über 13 Jahre lang liess der Arzt das bewachsene, moorige Gebiet mit Ochsenkarren aufschütten und die Villa im deutschen Bauhausstil erbauen.

Kurfürst starb 1940 mit 58 Jahren und liess eine Frau und acht Kinder zurück. In den letzten Kriegsjahren wurde das Vermögen der Kurfürsts, zu dem der Familie zufolge ganze Strassenzüge in München gehört hatten, zerstört, und es kam zur Enteignung. Während dieser Zeit bot Kurfürsts Witwe jüdischen Kindern aus Deutschland im Kurfürstenpark Unterkunft. Das soll in der Gemeinde Weesen für Unmut gesorgt haben.

Kastanienallee wurde enteignet

Es begann eine schwierige Zeit für die Familie. Einige Jahre nach dem Tod von Kurfürst wurde die prächtige Kastanienallee, die vom Hotel Schwert zur Kurfürstenvilla führte, enteignet. Dort verläuft nun die neue Hauptstrasse. Die Witwe verkaufte darauf den durch die Allee abgetrennten Teil des Parks der Gemeinde Weesen. Heute steht dort unter anderem das Gemeindehaus.

Weil es sich keiner der Nachkommen leisten konnte, die Villa und den Park zu übernehmen, wurden diese 1991 verkauft. Die Familie liess jedoch einen Überbauungsplan erarbeiten. Dieser sollte dafür sorgen, dass das Vermächtnis von Kurfürst der Nachwelt erhalten bleibt.

Anwesen gehörte zuletzt dem Schmidheiny-Clan

Ursprünglich wurde die Villa an eine EDV-Firma verkauft. Danach erwarb sie Stephan Schmidheiny (72), Spross der Ostschweizer Industriellen-Dynastie. Schmidheiny kaufte die Villa – und später auch den Park –, um eine seiner Stiftungen dort unterzubringen. Dafür stockte er die Villa mit Erlaubnis der Denkmalpflege um einen Stock auf.

Bis 2018 gehörte das Anwesen noch Schmidheinys Immobilienfirma Tanova. Dann verkaufte Tanova die Villa und das Grundstück. Dorothea Vollenweider

Der Kurfürstenpark hat eine bewegte Vergangenheit. Über das Leben des einstigen Erbauers Hans Oskar Kurfürst (1882–1940), bevor er in die Schweiz kam, ist kaum etwas bekannt. Kurfürst war Österreicher und wuchs laut den Nachkommen irgendwo an der Donau auf. Er studierte Medizin in München. Seine Familie muss dem Adel angehört haben und sehr vermögend gewesen sein. Woher der Reichtum kam, bleibt ein Rätsel.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs kam Kurfürst in die Schweiz. Wahrscheinlich ist, dass er fliehen musste. Seine Frau stammte aus einer norditalienischen Künstlerfamilie. Nach seiner Ankunft in der Schweiz praktizierte Kurfürst in Herisau AR als Arzt. Auf seinem Grabstein stand, dass er einer der ersten Homöopathen gewesen sei.

Kurfürst liess Frau und acht Kinder zurück

Als die Familie nach Weesen SG kam, kaufte Kurfürst die Dependance des Hotels Schwert und das rund 30'000 Quadratmeter grosse Ried daneben. Über 13 Jahre lang liess der Arzt das bewachsene, moorige Gebiet mit Ochsenkarren aufschütten und die Villa im deutschen Bauhausstil erbauen.

Kurfürst starb 1940 mit 58 Jahren und liess eine Frau und acht Kinder zurück. In den letzten Kriegsjahren wurde das Vermögen der Kurfürsts, zu dem der Familie zufolge ganze Strassenzüge in München gehört hatten, zerstört, und es kam zur Enteignung. Während dieser Zeit bot Kurfürsts Witwe jüdischen Kindern aus Deutschland im Kurfürstenpark Unterkunft. Das soll in der Gemeinde Weesen für Unmut gesorgt haben.

Kastanienallee wurde enteignet

Es begann eine schwierige Zeit für die Familie. Einige Jahre nach dem Tod von Kurfürst wurde die prächtige Kastanienallee, die vom Hotel Schwert zur Kurfürstenvilla führte, enteignet. Dort verläuft nun die neue Hauptstrasse. Die Witwe verkaufte darauf den durch die Allee abgetrennten Teil des Parks der Gemeinde Weesen. Heute steht dort unter anderem das Gemeindehaus.

Weil es sich keiner der Nachkommen leisten konnte, die Villa und den Park zu übernehmen, wurden diese 1991 verkauft. Die Familie liess jedoch einen Überbauungsplan erarbeiten. Dieser sollte dafür sorgen, dass das Vermächtnis von Kurfürst der Nachwelt erhalten bleibt.

Anwesen gehörte zuletzt dem Schmidheiny-Clan

Ursprünglich wurde die Villa an eine EDV-Firma verkauft. Danach erwarb sie Stephan Schmidheiny (72), Spross der Ostschweizer Industriellen-Dynastie. Schmidheiny kaufte die Villa – und später auch den Park –, um eine seiner Stiftungen dort unterzubringen. Dafür stockte er die Villa mit Erlaubnis der Denkmalpflege um einen Stock auf.

Bis 2018 gehörte das Anwesen noch Schmidheinys Immobilienfirma Tanova. Dann verkaufte Tanova die Villa und das Grundstück. Dorothea Vollenweider

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