SNB-Chefwechsel birgt Risiken
Wie viel Macht Thomas Jordan wirklich hatte

Auf dem Papier ist der SNB-Chef nur ein hoher Beamter einer Kollegialbehörde. Warum Jordan trotzdem so mächtig war, und was Schlegel erwartet.
Publiziert: 27.06.2024 um 12:04 Uhr
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Aktualisiert: 27.06.2024 um 12:12 Uhr
Peter Rohner
Peter Rohner
Handelszeitung

Die Spatzen pfiffen es schon länger von den Dächern, doch nun ist es offiziell. SNB-Vize Martin Schlegel beerbt Präsident Thomas Jordan. So hat es der Bundesrat entschieden, der die obersten Währungshüter auf Vorschlag des Bankrats zu wählen hat. Jordans Stellvertreterin Petra Tschudin rückt als drittes Mitglied ins Direktorium nach.

Jordan hatte seinen Rücktritt im März per Ende September angekündigt. Der Bundesrat hat sich bei Nachfolgewahl viel Zeit gelassen, handelt es sich doch um den wichtigsten Job der Schweiz. Denn die SNB-Spitze bestimmt über den Wert des Geldes.

Gleicher als die anderen zwei

Auf dem Papier steht der Präsident zwar nicht über den anderen Mitgliedern des Direktoriums. Gemäss Organisationsreglement handelt es sich beim Direktorium um eine Kollegialbehörde mit gleichberechtigten Mitgliedern, bei der die Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip getroffen werden.

Grosse Aufgabe: Martin Schlegel (links) folgt im Oktober auf SNB-Chef Thomas Jordan.
Foto: Keystone
Artikel aus der «Handelszeitung»

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Doch weil der Präsident immer auch das I. Departement führt, ist er automatisch an den wichtigen Schalthebeln. Denn dort ist neben dem Generalsekretariat, dem HR und der Rechtsabteilung alles angesiedelt, was für die Geld- und Währungspolitik zentral ist: Statistik, ökonomische Analyse und Prognosen sowie die internationale Währungskooperation. Es ist das Herzstück der SNB. Das verleiht dem Präsidium den entscheidenden Wissensvorsprung. Und Wissen bedeutet bekanntlich Macht.

Ein Geldpolitik-Nerd mit natürlicher Autorität

Dass «Big Thomas» dominanter als frühere Präsidenten wahrgenommen wurde und es dem Vernehmen nach auch war, hat vor allem mit seiner Fachkompetenz und seiner Persönlichkeit zu tun. In geldpolitischen Belangen konnte dem promovierten Volkswirt, der seine Habilitation über Zentralbanken und Inflation schrieb, niemand ernsthaft Paroli bieten.

Doch auch bei Fragen zur Finanzmarktstabilität und Grossbankenregulierung war und ist Jordan eine Kapazität. Denn er war es, der in der Finanzkrise 2008 den Stabilitätsfonds aufsetzte, um der taumelnden UBS die Schrottpapiere abzunehmen. Als Leiter des II. Departements setzte er sich danach für mehr Macht bei der Bankenregulierung ein.

Die CS-Krise hätte eigentlich Martin Schlegels grosser Auftritt sein können, dem aktuellen Leiter des II. Departements, das für die Finanzstabilität zuständig ist. Doch als sich die Lage im März 2023 zuspitzte, machte Jordan den Fall CS zur Chefsache. Nicht nur, weil er die Kontrolle haben wollte, sondern auch, weil er auf seine grosse Erfahrung im Umgang mit Bankenkrisen und in der Zusammenarbeit mit Finma und Finanzdepartement zurückgreifen konnte. 

Allerdings brachte ihm das einen Auftritt vor der Parlamentarischen Untersuchungskommision (PUK) ein. Diese untersucht, wie die Zusammenarbeit zwischen SNB, Finanzdepartement und Finma im Falle der CS-Krise ablief. Ein wichtiger Teil der Untersuchung dürfte sein, ob die Notenbank nicht hätte mehr machen können, um die CS-Krise zu entschärfen – was Jordan und Schlegel mit Nachdruck in Abrede stellen, mit Verweis auf ihr vom Gesetz festgelegtes Mandat. 

«Big Thomas», der ehemalige Wasserballspieler, verfügt mit einer Körpergrösse von 1,90 Metern, den breiten Schultern und seiner behäbigen Art über eine natürliche Autorität. Dies, gepaart mit seiner analytischen und fachlichen Kompetenz, macht ihn fast unangreifbar.

Auch Fritz Zurbrügg, Jordans langjähriger Vize und fachlich durchaus auf Augenhöhe, hatte ihm wenig entgegenzusetzen. Er sah unter König Jordan, der einen Hang zum Mikromanagement hatte und sich in viele Bereiche einmischte, keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr, worauf er 2022 die SNB verliess.

Schlegels Führungsstil ist partizipativer

Auch Schlegel, sollte er denn gewählt werden, wird zwecks seines Amtes zu einer der mächtigsten Personen im Lande. Dass er von Anfang an überall die Fäden zieht, ist aber unwahrscheinlich. Inhaltlich ist er zwar auf Jordans Linie, doch sein Führungsstil soll sich stark unterscheiden, heisst es. Schlegel ist weniger formell, weniger an Hierarchien interessiert und wohl auch zugänglicher. Das Direktorium könnte unter ihm wieder mehr wie ein Kollegium funktionieren.

Geschadet hat Jordans Machtfülle der Schweiz nicht. Sie ist wie kaum ein anderes Land unversehrt durch die Finanzkrise, die Pandemie und die anschliessende globale Inflationskrise gekommen. Die SNB, und damit Thomas Jordan, hatte mit ihrer Geld- und Währungspolitik ihren Anteil daran.

Sein Abgang schafft nun aber Platz – nicht nur im physischen Sinne, sondern im Sinne von Platz für Reformen innerhalb und um die SNB, die Beobachterinnen und Beobachter für überfällig halten. Denn solche Reformen müssten von innen angestossen werden. Zu den schärfsten Kritikern der SNB in der heutigen Form gehören der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm sowie die Ökonomen Yvan Lengwiler (Uni Basel), Charles Wyplosz (Uni Genf) und Stefan Gerlach (EFG), die sich unter dem Namen «SNB-Observatory» regelmässig zu Nationabankthemen äussern.

Kritiker fordern mehr Transparenz und eine breitere Spitze

Sie stören sich mit Blick auf die Jordan-Nachfolge an der Praxis der internen Beförderung. Bei den meisten anderen Zentralbanken würde das höhere Management in der Regel von ausserhalb der Zentralbank rekrutiert. Die SNB-Kritiker finden auch die seit Gründung im Jahr 1907 unveränderte Zahl von drei Direktoriumsmitgliedern nicht mehr zeitgemäss.

Strahm fordert eine Aufstockung auf fünf oder sieben Personen, um einen internen Pluralismus an Sichtweisen zu ermöglichen. Lengwiler und Co. könnten sich auch einen geldpolitischen Ausschuss vorstellen, dem auch externe Mitglieder angehören, wie bei anderen Zentralbanken. Denn es sei unwahrscheinlich, dass der nächste Präsident bei der Festlegung der Geldpolitik ebenso geschickt sein werde wie Jordan.

Man müsse auch über eine Änderung der Regeln der Gewinnverteilung reden können, ohne gleich als Gegner der Notenbank-Unabhängigkeit abgestempelt zu werden. Die Unabhängigkeit der SNB gelte nur für die Gestaltung der Geld- und Währungspolitik, nicht aber für Fragen der Corporate Governance oder der Kapitalhaltung, findet auch Strahm mit Verweis auf die Bundesverfassung.

Dort steht: «Die Schweizerische Nationalbank wird unter Mitwirkung und Aufsicht des Bundes verwaltet.» Als solche sollte sie sich bemühen, transparent zu sein, findet das Observatory. Aber die SNB ist bisher für Aussenstehende eine Blackbox: Wie werden Entscheide gefällt? Gab es abweichende Meinungen? Andere Notenbanken führen dazu öffentlich zugängliche Protokolle. 

Der Bankrat ist ein schwaches Aufsichtsgremium

Eigentlich sollte der Bankrat mehr Transparenz einfordern und die SNB überwachen, «aber er ist selbst noch undurchschaubarer als die SNB», schreiben die Ökonomen des SNB-Observatory. Zudem sei das oberste Aufsichtsgremium zu schwach und nicht mit dem Verwaltungsrat eines normalen kotierten Unternehmens vergleichbar, so die Kritik. Als «ein Abnickergremium» bezeichnete ein ehemaliges Bankratmitglied den Bankrat gar letztes Jahr in der «Bilanz».

Der Grund: Der Bankrat wird nicht nur nach fachlichen Kriterien zusammengestellt, sondern auch nach den schweizerischen Regeln des Proporz. Das heisst, die Landesteile und Sprachregionen müssen angemessen vertreten sein. Sechs der elf Mitglieder werden vom Bundesrat gewählt, fünf von der Generalversammlung, in welcher die Kantone mit den Kantonalbanken die Mehrheit haben. So ist das ganze Land vertreten: Regierungsräte, die Sozialpartner, Akademikerinnen und mehr oder weniger bekannte Grössen aus der Finanzbranche.

Seit 2019 ist die ehemalige Graubündner Regierungsrätin Barbara Janom Steiner Präsidentin. Sie ist aber nicht vom Fach, sondern Juristin, und sie tritt praktisch nur an der GV öffentlich in Erscheinung. Vize ist Julius-Bär-Präsident Romeo Lacher, der zurzeit andere Sorgen hat als die SNB-Nachfolge.

Der Bankrat soll gestärkt werden

Lengwiler fordert daher einen stärkeren Bankrat mit einem Präsident oder einer Präsidentin, der oder die «dem Direktorium Paroli bieten kann, wenn es nötig ist». Im Bankrat müssten Leute sein, die das Zentralbankensystem verstehen, findet er.

Eine der wichtigsten Aufgabe des Bankrats ist die Ernennung des obersten Führungspersonals. Ein dreiköpfiger Ausschuss erarbeitet Wahlvorschläge für Mitglieder des SNB-Direktoriums und deren Stellvertreter sowie für die fünf Mitglieder des Bankrates, die von der GV zu wählen sind. Der Ernennungsausschuss setzt sich zusammen aus dem Präsidenten oder der Präsidentin und zwei weiteren Bankratmitgliedern: Aktuell sind dies Lacher und der HSG-Professor Angelo Ranaldo.

Insgesamt geht es jetzt bei der SNB nicht nur um die Besetzung von Spitzenposten. Mit den neuen Köpfen wird die alte Debatte um interne Reformen sicher neuen Schwung erfahren. 

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