So wetterte Christian Levrat früher gegen Abbaupläne
«Die Post will uns für dumm verkaufen»

Der Präsident des gelben Riesen ermunterte das Personal einst zum Streik, jetzt streicht er Filialen und Arbeitsplätze. Wie rechtfertigt der Ex-Gewerkschafter seinen Wandel?
Publiziert: 02.06.2024 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2024 um 08:39 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Es klang nach Good News. «Die Post blickt in die Zukunft: Kundenbedürfnisse und Digitalisierung geben Entwicklungsschritte vor», verkündete das Unternehmen diese Woche. Die Wahrheit dahinter: Der Staatskonzern baut weitere 170 Poststellen ab und wird 2028 nur noch 600 eigene Filialen führen.

Vor 20 Jahren zählte die Post fast 3000 Filialen. Als die Verantwortlichen damals ankündigten, das Netz ausdünnen zu wollen, stiessen sie jedoch auf deutlich stärkeren Widerstand als heute. Allen voran ein junger Gewerkschafter aus dem Kanton Freiburg machte der Konzernspitze das Leben schwer: Christian Levrat (53).

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Volksinitiativen und Warnstreiks

Heute steht Levrat auf der anderen Seite. Er ist seit 2021 Verwaltungsratspräsident der Post und trägt nun mit, was er als Gewerkschafter und später als SP-Präsident stets bekämpft hatte: Umstrukturierung und Stellenabbau beim gelben Riesen.

Die Volksinitiative «Postdienste für alle», die das Stimmvolk 2004 verwarf, hatte Levrat mitinitiiert. 2010 versuchte er es mit der Initiative «Für eine starke Post» erneut. Diese forderte abermals «ein flächendeckendes Poststellennetz» – und wollte in der Verfassung verankern, dass dieses Netz mit Personal betrieben wird, das in einem Anstellungsverhältnis zur Post steht.

Als Gewerkschafter schreckte Levrat selbst vor Kampfmassnahmen nicht zurück. Als die Post-Führung 2002 ankündigte, die Zahl der Briefzentren drastisch zu reduzieren, organisierte Levrat in der ganzen Schweiz Warnstreiks. Den betroffenen Angestellten rief er zu: «Ihr müsst heute entscheiden, ob ihr bereit seid zu streiken. Die Gewerkschaft wird euch in jedem Fall unterstützen.»

Ist Abbau ohne Entlassungen möglich?

Dem Versprechen der Konzernspitze, wonach es trotz Stellenabbau keine Entlassungen geben soll, schenkte Levrat keinen Glauben: «Die Post will uns für dumm verkaufen, wenn sie uns weismachen will, dass bei einem Stellenabbau von 8500 Einheiten keine Entlassungen vorgesehen sind.»

Jetzt verspricht Levrat das Gleiche, was er seinen Vorgängern nicht abgenommen hatte: keine Entlassungen trotz Wegfall von fast 700 Vollzeitstellen. Wieso soll dieses Versprechen heute glaubwürdiger sein?

Die Antwort von Levrat: «Weil wir kurz und mittelfristig mit einem höheren Rekrutierungsbedarf rechnen. Bei der Post als Ganzes und auch im Netz.» Aufgrund von Pensionierungen und sonstigen Abgängen müsse die Post bis 2028 im ganzen Netz ungefähr 1380 Stellen neu besetzen, sagt der Post-Präsident gegenüber Blick. «Unter dem Strich suchen wir also immer noch 700 neue Mitarbeitende.»

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Gewerkschaften sind enttäuscht vom früheren Kollegen

Bei den Gewerkschaften verfängt Levrats Argumentation nicht. «Das Versprechen der Post-Spitze, dass es keine Entlassungen geben wird, ist scheinheilig», sagt David Roth (39), SP-Nationalrat und Gewerkschafter bei Syndicom. Die Situation sei gleich wie vor 20 Jahren: «Viele der Betroffenen werden von sich aus kündigen müssen, weil der neue Arbeitsplatz zu weit entfernt ist.»

Die Vertreter der Arbeitnehmer sind enttäuscht von ihrem früheren Mitstreiter. «Wir hatten uns erhofft, dass sich die Post mit Christian Levrat an der Spitze stärker für den Erhalt von Arbeitsplätzen und einen starken Service public einsetzen wird», sagt Roth.

Die Antwort auf rückläufige Einzahlungen könne nicht das Einstampfen der dezentralen Präsenz sein. Roth fordert stattdessen, dass in den Poststellen neue Dienstleistungen angeboten werden, wie das schon an vielen Orten der Fall sei: «Die Öffnung der Poststellen für private und öffentliche Dienstleistungen hat endlich begonnen, ist ein Erfolg und hat noch grosses Potenzial.» Mit der «Abbruchmentalität» stehe das Postmanagement dem im Weg.

Levrat sieht keinen Widerspruch

Levrat hält dagegen. Von «Abbruch» will er nichts wissen, von einem Verrat früherer Überzeugungen erst recht nicht. Seine Grundhaltung sei dieselbe geblieben, sagt er: «Ich setze mich für eine starke Post und einen starken Service public ein. Vor 20 Jahren war das in der Rolle als Gewerkschafter, vor zehn Jahren als Parteipräsident der SP und heute als Verwaltungsratspräsident der Post.»

Gerade wegen seines langen Einsatzes für die Mitarbeitenden und für die Bevölkerung der Randregionen habe er bei den Umstrukturierungen ganz besonders auf diese Themen geachtet. Mit eigenen Filialen, Filialen mit Partnern, My-Post-24-Automaten, KMU-Schaltern und dem Hausservice bleibe die Post nahe bei den Menschen. «Alles in allem werden sich die Dienstleistungen für die Kunden damit gar noch einmal verbessern», ist Levrat überzeugt.

«Wollen langfristig relevant bleiben»

Es bringe nichts, die Augen vor dem «unumkehrbaren Strukturwandel» zu verschliessen, sagt der Post-Präsident. 2004 sei 154 Millionen Mal eine Poststelle aufgesucht worden, 2023 nicht einmal 90 Millionen Mal. Für Levrat ist deshalb klar: «Die Kundinnen und Kunden haben heute andere Bedürfnisse als noch vor 20 Jahren.»

Die Post müsse sich anpassen, um langfristig im Alltag der Menschen relevant zu bleiben, um attraktive Arbeitsplätze und einen erstklassigen Service public anzubieten. «Das ist voll und ganz im Sinne meines früheren Engagements und meiner Überzeugung.»

Überzeugung hin oder her, eines ist klar: Post-Präsident Levrat kann froh sein, dass der wichtigste Gewerkschafter im Land heute nicht mehr Levrat heisst. Sonst müsste er sich auf ungemütliche Tage und Wochen einstellen.

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