So will die Wirtschaft das Milizsystem retten
Banker dürfen einen Tag pro Woche politisieren

Warum krankt das Schweizer Milizsystem? Die Gründe sind vielfältig. Immerhin zeigen viele Grosskonzerne neuerdings sehr flexibel, was Mitarbeiter mit Amtswürden angeht.
Publiziert: 24.04.2018 um 14:52 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2022 um 16:48 Uhr
Konrad Staehelin

In jedem 20. Schweizer Dorf wird eine Person in den Gemeinderat gewählt, welche gar nie für das Amt kandidiert hat. Das hat BLICK gestern, basierend auf Umfragedaten der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), publik gemacht. Demokratie skurril.

Ist dieses jahrhundertealte Miliz-System überhaupt noch zu retten? Und wenn ja, wie?

Der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. «Wir machen uns grosse Sorgen», sagt Projektleiter Adrian Michel (36). «Dabei braucht es diese Praxisnähe in der Politik dringend. Politiker sollten aus eigener Erfahrung wissen, welchen Aufwand Vorschriften verursachen können. Im Gegenzug sollen Unternehmer auch die politischen Prozesse kennen. Und nachvollziehen können, warum eine Bewilligung nicht von heute auf morgen ausgesprochen werden kann.»

Ein Banker am Paradeplatz in Zürich: Mehrere Schweizer Banken geben ihren Angestellten einen Teil der Arbeitszeit frei, um ein Amt auszuüben.
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Total 15 Wochen nicht am Arbeitsort

Darum weibelt Economiesuisse seit rund drei Jahren bei Firmen dafür, mehr Flexibilität für politisierende Mitarbeiter zu zeigen. Teilweise sogar sehr erfolgreich. Der Versicherer Swiss Life erlaubt seinen Mitarbeitern, bis zu 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für ein politisches Mandat aufzuwenden, also einen Tag pro Woche. Das sind umgerechnet zehn Wochen, welche die Angestellten nicht am Arbeitsplatz sind. Und die Ferien, welche diese Mitarbeiter nehmen, sind da noch nicht eingerechnet!

Auch die Credit Suisse gibt ihren Angestellten bis zu einem Fünftel der Arbeitszeit frei. Bei der Zürcher Kantonalbank sind es 22 Tage, ein Sprecher spricht von einem Aufwand von 1,4 Millionen Franken pro Jahr. Immerhin noch 15 Tage pro Jahr sind es bei SBB, Post und Swisscom. Raiffeisen, Coop und Migros dagegen haben keine klaren Regelungen, betonen aber, dass sie politisch engagierten Mitarbeitern entgegenkämen. Bei vielen der angefragten Konzerne heisst es, dass es sich jeweils ein paar hundert Mitarbeiter von diesen Möglichkeiten Gebrauch machten.

Image hat massiv gelitten

Die Wirtschaft – oder immerhin die grossen Konzerne – scheint ihren Job also zu machen. Doch für Economiesuisse-Mann Michel langt das nicht. Es gebe noch andere Gründe für die Krise des Miliz-Systems, an denen die Schweiz arbeiten müsse. «Die wachsende Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort zum Beispiel. Oder, dass das Image von öffentlichen Ämtern massiv gelitten hat: Früher hatte man ein gewisses Renommee, heute ist man zu oft im Zentrum der Kritik.» Aber er nimmt auch die Gemeinden in die Pflicht: «Die Mandatsträger müssen zu viele administrative Aufgaben übernehmen, dabei gehören diese in die Verwaltung.»

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