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Star-Ökonom Ernst Fehr kritisiert Landesregierung
«Der Bundesrat geht amateurhaft vor»

Die Schonfrist für den Bundesrat ist vorbei. Der bekannteste Ökonom der Schweiz spricht Klartext. Und sagt, wie wir einen zweiten Lockdown verhindern.
Publiziert: 23.05.2020 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2020 um 08:01 Uhr
Ernst Fehr warnt vor einem Schiffbruch bei der Corona-Bekämpfung.
Foto: Mirko Ries
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Interview: Danny Schlumpf

Ernst Fehrs Stimme hat Gewicht. Dementsprechend umsichtig äussert sich der Wirtschaftsprofessor der Uni Zürich in der Öffentlichkeit. Doch jetzt legt er seine Zurück­haltung ab. Im Gespräch mit SonntagsBlick kritisiert Fehr das Vor­gehen des Bundesrats als ama­teurhaft und fordert repräsentative Corona-Tests in der Schweiz.

SonntagsBlick: Die Schweiz ist aus dem Lockdown ausge­stiegen. Kamen die Lockerungen zur richtigen Zeit?
Ernst Fehr: Die perfekte Antwort kennen wir nicht. Aber jetzt sind die Ansteckungszahlen so niedrig, dass sich die Frage stellt: Wann, wenn nicht jetzt?

Die niedrigen Fallzahlen wirken sich auf unser Verhalten aus. Die Bilder aus dem überfüllten Ausgangsviertel in Basel sprechen Bände.
Die grosse Kooperationsbereitschaft der Leute in den letzten ­Wochen kam auch daher, dass sie eine ge­wisse Angst hatten, an­gesteckt zu werden. Aber je geringer sie die ­eigene Gefährdung einstufen, desto unvorsichtiger werden sie. Doch es kann unglaublich schnell gehen. Südkorea hatte fast keine Ansteckungen mehr. Dann steckte eine einzige Person in einer Partynacht rund 100 Leute an. Das ist eine Gefahr – nicht nur an Samstagabenden, sondern auch zu den Stoss­zeiten im öffentlichen Verkehr.

Bloss will fast niemand mit Schutzmaske reisen.
Deshalb braucht es eine Schutzmaskenpflicht zu Stosszeiten. Denn es gibt keine Freiheit, den ande­ ren anzustecken. Im Gegenteil, das ist eine strafwürdige Tat. Heute kommt man sich als Aussenseiter vor, wenn man eine Maske trägt. Würde man Masken hingegen vorschreiben, wären diejenigen die Aussenseiter, die im Tram morgens um acht keine Maske tragen.

Es gibt immer noch Diskussionen darüber, ob Schutzmasken überhaupt nützen.
Sie nützen, das ist wissenschaftlich belegt. Aber der Bundesrat hat beim Thema Masken unglücklich agiert. Am Anfang wurde ihre Wirksamkeit heruntergespielt. Dabei hätte man ehrlich sagen ­sollen: Wir haben momentan zu wenige Masken, aber sie nützen. Es wäre gut, wenn der Bundesrat jetzt eine Führungsfunktion übernehmen und die Bedeutung der Schutzmasken klar kommunizieren würde.

Zu Beginn der Krise sprach alle Welt vom Testen. Jetzt ist es merkwürdig ruhig darum geworden. Warum?
Es hat wohl mit den sinkenden Fallzahlen zu tun. Aber es wäre gerade in dieser Phase zentral, dass der Bundesrat regelmässige Tests vornimmt. Es braucht repräsentative Zufallsstichproben in der Bevölkerung. Nur so können wir die Situation in den unterschiedlich betroffenen Regionen der Schweiz richtig einschätzen. Alles andere ist nicht professionell.

Aber es wird doch getestet.
Nicht repräsentativ, und das ist das Problem. Wenn eine Zeitung eine Meinungsumfrage über die kommenden Wahlen ­publiziert, die nicht repräsentativ ist, heisst es zu Recht: Das sind Amateure. Im Falle des Testens aber geht es um Leben und Tod, und der Bundesrat geht trotzdem amateurhaft vor. Denn es werden nur Menschen getestet, die mit Symptomen kommen. Aber das gleicht dem Navigieren eines Schiffes durch die Nordsee mit grossen Eisbergen unter Wasser. Wenn man nur da­rauf schaut, was über dem Wasser ist, erleidet man Schiffbruch.

Wie sähe eine repräsentative Stichprobe konkret aus?
Sie benötigen 10'000 Teilnehmer. Entweder ziehen Sie die Stich­probe jedes Mal neu, oder Sie testen dieselben Teilnehmer alle zehn Tage. Wichtig ist die zufällige Auswahl. So kommen Sie an präzise Infor­mationen und erhalten einen aussagekräftigen Überblick über die Verbreitung der Erkrankung in der Bevölkerung.

Sie haben die internationale Initiative «Test the World» unterschrieben.
Ja, weil sie sich darum bemüht, dass weltweit mehr und syste­-­ma­tischer getestet wird. Ich ver­stehe nicht, warum die Behörden das ­immer noch nicht tun. Jetzt braucht es politischen Druck, damit sie ­endlich aktiv werden, nicht nur in der Schweiz. Wir müssen jetzt ­repräsentativ testen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Natürlich spielt daneben auch ­Contact Tracing eine wich­tige Rolle.

Da ist die Tracing-App das entscheidende Instrument, sie soll im Juni in der Schweiz eingeführt werden. Werden die Leute sie auch benutzen?
Ich bin skeptisch.

Sollte man sie für obligatorisch erklären?
Angesichts der Gefahren, die das Virus für die Wirtschaft und die ­Gesundheit darstellt, halte ich eine kurzfristige Einschränkung des Schutzes privater Information für vertretbar. Kommt hinzu: Die ­Menschen geben jeden Tag frei­willig viele solche Informationen ab, wenn sie sich im Internet bewegen. Jetzt befinden wir uns mitten in einer Pandemie. Deshalb finde ich, man sollte starke Anreize zur Verwendung der App schaffen. Und wenn das nichts nützt, sollte man die App zumindest temporär obligatorisch machen.

Immerhin: Das Wettrennen um einen Impfstoff ist in vollem Gange.
Und das ist gut so. Wer als Erster ­einen Impfstoff herausbringt, geht in die Geschichte ein. Aber in der Regel braucht die Entwicklung eines Impfstoffs zehn Jahre. Auch wenn das jetzt schneller gehen ­sollte, müssen wir noch längere Zeit ohne ihn auskommen.

Und doch sind die Länder schon mitten im Verteilungskampf. US-Präsident Donald Trump ­unterstützt Firmen, die an der Entwicklung eines Impfstoffs ­beteiligt sind, mit Hunderten Millionen Dollar – und reklamiert im Erfolgsfall die Impfungen für die amerikanische Bevölkerung.
Man kann von Trump halten, was man will. Aber die EU könnte genau dasselbe tun. Sie könnte sagen: Wir garantieren die Abnahme eines erfolgreichen Impfstoffs zu einem Preis, der für die Firmen profitabel ist. Aber er muss tatsächlich profitabel sein. Es geht nicht an, Firmen zuerst riesige Investitionen tätigen zu lassen und anschliessend per Gesetz einen Preis festzulegen, bei dem sie Verlust machen.

Wäre das auch eine Idee für die Schweiz?
Auf jeden Fall, aber nicht im Alleingang. Dafür ist die Schweiz zu klein. Doch sie könnte sich grösseren Ländern oder der EU anschliessen. Eine Beteiligung wäre ein wichtiger Schritt, um die Versorgung des Landes zu sichern. Der Bundesrat muss sicherstellen, dass er die nötigen Kapazitäten beschafft. Er war sehr stark darin, der Bevölkerung während des Lockdowns Vorschriften zu machen. Aber er muss jetzt auch in dieser Frage aktiv werden.

Persönlich

Ernst Fehr (63) zählt zu den einflussreichsten Vertretern ­seines Fachs. Er hat wesentliche ­Beiträge zu psychologischen Motiven in der Ökonomie geleistet und untersucht, wie Menschen Fairness beurteilen und wie das ihr wirtschaft liches Verhalten beeinflusst. Er wurde bereits mehrmals als Nobelpreis-Kandidat gehandelt. Der gebürtige Vorarlberger ist seit 1994 Volkswirtschafts­professor an der Universität Zürich. Fehr ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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Ernst Fehr (63) zählt zu den einflussreichsten Vertretern ­seines Fachs. Er hat wesentliche ­Beiträge zu psychologischen Motiven in der Ökonomie geleistet und untersucht, wie Menschen Fairness beurteilen und wie das ihr wirtschaft liches Verhalten beeinflusst. Er wurde bereits mehrmals als Nobelpreis-Kandidat gehandelt. Der gebürtige Vorarlberger ist seit 1994 Volkswirtschafts­professor an der Universität Zürich. Fehr ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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