Swiss Ski und Bund arbeiten an Masterplan
Bald sollen Secondos Medaillen holen

Nationale Schneesporttage sollen Kinder mit Migrationshintergrund fürs Skifahren begeistern. Das Ziel: Noch mehr Erfolge bei den Profis.
Publiziert: 13.02.2022 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2022 um 07:39 Uhr
Thomas Schlittler

Bezim* (34) steht in Wildhaus SG auf der Piste – in Vollmontur mit Skibrille und Helm. Das Bild, das er vor ein paar Monaten auf Facebook postete, erzählt ein Stück Schweizer Integrationsgeschichte.

Bezim, der in den 90er-Jahren aus Mazedonien in die Schweiz kam, hat sich in der neuen Welt leichter zurechtgefunden als viele Schicksalsgenossen. Seine Leidenschaft ist der Fussball. Doch auch in der Schule holte er den umzugsbedingten Rückstand so schnell auf, dass er bald nur noch mit Gähwilers, Schmidlins und Schlittlers im Klassenzimmer sass.

Doch seine albanische Herkunft ist ihm wichtig – bis zum heutigen Tag. Gerne drückt er sich in den sozialen Medien auf Albanisch aus, auch der Doppeladler taucht immer mal wieder auf. Kurz: Bezim war immer ein Vollblut-Shipi (Shipi ist eine Abkürzung für das albanische Wort «Shqiptar» und bedeutet auf Deutsch so viel wie Albaner).

2013 engagierte Schweiz Tourismus Xherdan Shaqiri (30) als Werbeträger. Der Natistar mit kosovarischen Wurzeln vergnügte sich in Arosa beim Schlitteln, Curling und Langlauf – und sollte so dazu beitragen, vermehrt Secondos in die Berge zu locken.
Foto: ADRIAN BRETSCHER
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Und nun das: Bezim mit Ski und Stöcken auf dem Chäserrugg – schweizerischer gehts kaum! Kürzlich die Steigerung: Der Sohn geht in die Skischule.

Mehr Skifahrer unter Ausländern

SonntagsBlick spricht Bezim online darauf an. Er antwortet mit einem Smiley: «Wir Shipis haben eben das Skifahren entdeckt. Also eigentlich nicht nur wir Shipis, sondern ganz grundsätzlich die Balkan-Secondos. Es gibt immer mehr, die auf die Piste gehen.»

Bezims Wahrnehmung mit Zahlen zu untermauern, ist nicht ganz einfach. Das Problem beginnt schon mit dem Begriff: Was sind Secondos? Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht.

Sozialforscher Markus Lamprecht untersucht seit vielen Jahren die Sportaktivität der Schweizer Bevölkerung. Er sagt: «Wir haben keine detaillierten Zahlen zum Skifahren bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Wir können aber sagen, dass der Anteil an Skifahrern bei in der Schweiz lebenden Ausländern gestiegen ist.» 2008 fuhren demnach weniger als jeder fünfte Ausländer in der Schweiz Ski, 2020 frönte bereits jeder vierte dem eidgenössischen Nationalsport.

Berno Stoffel, Direktor des Verbands Seilbahnen Schweiz, kann dies empirisch bestätigen: «Wir sehen mittlerweile viele Ausländer auf den Pisten, Tendenz steigend.» Die Bemühungen, Gäste und Schweizer aus Ländern ohne Wintersporttradition auf die Pisten zu bringen, hätten sich bewährt.

Positiv-Trend stockt

Die Initiativen, von denen Stoffel spricht, gab es von mehreren Seiten. 2013 etwa engagierte Schweiz Tourismus Xherdan Shaqiri (30) als Werbeträger. Der Nati-Star mit kosovarischen Wurzeln vergnügte sich in Arosa GR beim Schlitteln, Curling und Langlauf. Das Ziel: mehr Secondos in die Berge zu locken.

2014 wurde die Schneesportinitiative Schweiz ins Leben gerufen, besser bekannt als «Go Snow». Der gleichnamige Verein will Kinder und Jugendliche für den Schneesport gewinnen. Zu diesem Zweck bieten Schulen und Lehrpersonen fixfertig organisierte Skilager und Schneesporttage an. «Im Visier haben wir dabei vor allem Kinder im Mittelland und in den Agglomerationen, die oft Migrationshintergrund und kaum Bezug zum Wintersport haben», sagt Ole Rauch, Direktor des Vereins.

In den Anfangszeiten brachte Go Snow mit dem Programm Swisscom SnowDays jährlich etwa 3000 Kinder auf die Piste. Mittlerweile sind es rund 8000. Nun aber stockt der Trend. Wegen der Logistik – und der Kosten. Rauch: «Wir können einen Skitag, der normalerweise 160 Franken pro Kind kosten würde, den Schulen zwar für rund 60 Franken anbieten. Das ist aber immer noch zu viel und schreckt viele ab.»

Auch bei Bezim war das Geld lange etwas, was gegen den Skisport sprach. «Meine Eltern waren damit beschäftigt, unsere Familie über die Runden zu bringen, teilweise mit mehreren Jobs gleichzeitig. Fürs Skifahren hatten sie weder die nötige Zeit noch die finanziellen Möglichkeiten.»

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«Bei den Secondos schlummert riesiges Potenzial»

Dass Kinder des Geldes wegen nicht zum Wintersport finden, soll bald der Vergangenheit angehören. Zumindest den Erstkontakt mit dem Spass im Schnee will man flächendeckend sicherstellen. Auch Swiss-Ski, die Dachorganisation des Schweizer Schneesports, hat grosses Interesse daran, dass dies gelingt. Gary Furrer (61), Chef Breitensport, zu SonntagsBlick: «Bei den Secondos schlummert riesiges Potenzial für den Schweizer Skisport. Das zeigt alleine der Blick in andere Sportarten wie Fussball oder Leichtathletik. Dieses Potenzial wollen wir in Zukunft abrufen.»

Swiss-Ski plant deshalb gemeinsam mit Go Snow eine nationale Kampagne für Ski- und Snowboardtage. Im Juni soll ein Gipfeltreffen stattfinden, bei dem alle wichtigen Player dabei sind. Neben den beiden Vereinen sind das die Bergbahnen, der öffentliche Verkehr, Sportartikelhändler, Schneesportlehrer – und natürlich der Bund. «Wenn alle am gleichen Strick ziehen, ist es möglich, Zehntausende Kinder mit Skimaterial auszurüsten und in die Berge zu bringen – mit Kosten, die für Schule und Kinder tragbar sind», so Furrer.

Denkbar sei etwa, dass mehrere Tage im Januar als offizielle Schneesporttage deklariert werden. «Das Ziel ist, dass wir 20 000 Schulkinder pro Jahr auf die Piste bringen. Langfristig soll es zudem Standard sein, dass während der Primarschule jedes Kind zumindest einmal auf den Ski steht.» Furrer ist überzeugt, dass davon alle involvierten Akteure profitieren: «Wenn nur ein kleiner Teil der Kinder dem Schneesport treu bleibt, werden die Kosten eines Schneesporttags locker wieder reingeholt.»

In zehn Jahren an den Olympischen Winterspielen

Knackpunkt bei diesen Plänen dürfte das Bundesamt für Sport sein. Denn zurzeit fehlen die rechtlichen Grundlagen für die Förderung von Schneesporttagen. Das Sportförderungsprogramm Jugend+Sport fokussiert auf nachhaltige Engagements – also auf Projekte, die regelmässige Sportaktivitäten in einem Verein fördern. Furrer fordert ein Umdenken: «Im Schneesport sind die Hürden für den wichtigen Erstkontakt deutlich höher als in anderen Sportarten. Deshalb benötigen wir auch andere Formen der Unterstützung.»

Swiss-Ski ist optimistisch, dass sich dafür eine breite Allianz bilden lässt. Die Rückmeldungen seien positiv, so Furrer. Er glaubt an seine Vision: «In zehn, fünfzehn Jahren gehen an Olympischen Winterspielen auch Schweizer mit Migrationshintergrund auf Medaillenjagd.»

Bei Bezim wird es wegen des Alters nicht mehr reichen für eine Olympiamedaille. Immerhin ist er mittlerweile regelmässiger Gast auf der Skipiste.

Und auf Förderbeiträge des Bundes ist er schon seit geraumer Zeit nicht mehr angewiesen. Er hat seinen Weg in der Finanzbranche gemacht.

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