So funktioniert der Tod in der Kapsel
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«An den Füssen wird es kühl»:So funktioniert der Tod in der Kapsel

Todeskapsel wirft ethische und rechtliche Fragen auf
«Wissen Sie, was passiert, wenn Sie den Knopf drücken?»

Die neue Schweizer Sterbehilfeorganisation «The Last Resort» gibt mit ihrer umstrittenen Suizidkapsel «Sarco» zu reden. Trotz ihrer Behauptung, keine Genehmigung zu benötigen, bleiben viele Fragen offen. Kommt die Kapsel in der Schweiz trotzdem bald zu ihrer Premiere?
Publiziert: 17.07.2024 um 20:13 Uhr
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Aktualisiert: 18.07.2024 um 14:05 Uhr
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Die neue Schweizer Sterbehilfeorganisation «The Last Resort» ist am Mittwochvormittag vor die Medien getreten, um «Unklarheiten» hinsichtlich der Nutzung der Suizidkapsel «Sarco» aus dem Weg zu räumen. Doch es bleiben grosse Fragen.

Die beiden Initianten von The Last Resort – der Deutsche Florian Willet (47) und die Australierin Fiona Stewart (58), die Lebenspartnerin von Sarco-Erfinder Philip Nitschke (76) ist – reagierten auf heikle Fragen bei der Präsentation in Zürich zuweilen passiv-aggressiv.

Ihr Standpunkt: Die Nutzung des Sarco in der Schweiz benötigt keine Genehmigung, weder vom Bund noch von den Kantonen. Kontakt zu den Behörden existiere, werde aber nicht gesucht. Dass ausgerechnet das konservative Wallis der erste Kanton sein soll, in dem ein Suizid per Sarco erfolgt, dementieren sie. Allerdings ohne zu sagen, wann und wo der Sarco in der Schweiz erstmals verwendet wird.

Wie aus einem Science-Fiction-Film: Die Suizidkapsel Sarco wird im 3D-Drucker hergestellt und lässt sich leicht transportieren.
Foto: Blick
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Der Sarco soll die Vorgaben respektieren

Offenbar haben sie die Kontroverse in der Schweiz wegen ihrer Todeskapsel unterschätzt. Die Schweiz hat eine liberale Haltung beim Thema Sterbehilfe. Assistierter Suizid ist seit 1942 legal und in der Bevölkerung breit akzeptiert. 2022 beanspruchten 1600 Personen in der Schweiz Sterbehilfe – 2002 waren es noch 123.

Dabei gibt es Regeln. So ist Beihilfe zum Suizid nur legal, wenn keine selbstsüchtigen Motive vorliegen. Für eine rechtmässige Sterbehilfe müssen in der Schweiz Kriterien wie Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen oder dauerhafter Sterbewunsch erfüllt sein. Dazu gilt das Prinzip der «Tatherrschaft»: Der Tod muss selber und freiwillig herbeigeführt werden.

Beim Sarco sei dies gegeben, sagt Nitschke. Die Person, die im Sarco Platz nimmt, muss drei Fragen beantworten: Wer sind Sie? Wo sind Sie? Wissen Sie, was passiert, wenn Sie den Knopf drücken? Wer den Knopf drückt, setzt den Sterbeprozess mittels Stickstoffhypoxie in Gang. Dabei wird im luftdichten Sarco Sauerstoff rasch durch Stickstoff ersetzt, was zuerst zu Bewusstlosigkeit und nach wenigen Minuten zum Tod führt. Die ganze Idee des Sarco beruht darauf, dass es keinen Arzt braucht. 

Gemäss Ethikprofessor Peter Schaber (65) von der Uni Zürich liegt aber genau hier das Problem: «Bei Sterbehilfeorganisationen werden Gutachten durch Fachpersonen erstellt. Das ist nicht ersetzbar durch einen digitalen Fragebogen.» Leute, die eine solche Kapsel zur Verfügung stellen, müssten qualitativ vergleichbare Verfahren einsetzen, fordert er. «Fachpersonen sollten beurteilen, ob ein schweres, langwieriges Leiden ohne Aussicht auf Besserung vorliegt, sei es psychisch oder physisch. Ich sehe nicht ein, inwiefern das jetzt beim Sarco wegfallen sollte, nur weil es ein neues Gerät ist.»

Exit Deutsche Schweiz macht nicht mit

Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit Deutschschweiz, die nichts mit The Last Resort zu tun hat, geht verhalten auf Distanz: «Die ursprüngliche Absicht von Nitschke ist wohl lauter: Ein selbstbestimmtes Sterben ohne ärztlichen Segen und behördliche Hürden», sagt Geschäftsführer Berhard Sutter (56) gegenüber Blick.

Allerdings gebe es für Schweizer Patienten keinen Bedarf für den Sarco. Das den sterbewilligen Exit-Mitgliedern verabreichte Sterbemedikament sei sicher und breit akzeptiert, und die Zusammenarbeit mit den Ärzten, die dafür das Rezept ausstellen, funktioniere gut, so Sutter. Ausserdem habe man festgestellt, dass Angehörige im Sterbemoment dabei sein wollen, die sterbende Person auch festhalten wollen. Das ist beim Sarco nicht möglich.

Hier findest du Hilfe

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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Ein Gerichtsfall wird wohl entscheiden müssen

Stewart und Willet betonen, dass es jedem offen sei, über die Art und Weise des Ablebens zu entscheiden. Doch Antworten auf rechtliche Fragen bleiben vage. Willet und Stewart glauben, gestützt auf Einschätzungen ihrer eigenen Rechtsanwälte, dass sie alle Kriterien erfüllen. Erster Teilerfolg: Der Sarco ist laut Ansicht von Swissmedic kein Medizinprodukt, also nicht zulassungspflichtig.

Bleibt die Frage nach der Legalität. 2011 hat der Bundesrat entschieden, auf eine ausdrückliche Regelung der organisierten Suizidhilfe im Strafrecht zu verzichten. Er geht davon aus, «dass allfällige Missbräuche mit den bestehenden gesetzlichen Mitteln bekämpft werden können.» Wenn der Sarco einmal genutzt wird, könnte es sein, dass dessen rechtmässige Nutzung Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung wird. Dafür scheint man bei The Last Resort gewappnet zu sein.

Der Tod kostet wenig

Finanzielle Motive verfolgt The Last Resort auch nicht. Die Mitgliedschaft ist für allfällige Nutzer freiwillig. Die Kosten für die Sterbehilfe sind bescheiden: 18 Franken für den Flüssigstickstoff, ansonsten ist die Nutzung des Sarco umsonst. Dazu müssen im Voraus Abtransport und Kremierung oder Bestattung der Leiche organisiert sein.

Sterbewillige können den Sarco auf Bergspitzen oder zuhause nutzen – dank geringer Grösse und Gewicht sowie Aussichts-Fenster. Bereits sei ein zweiplätziger Sarco für Paare in Entwicklung. Doch das letzte Wort von Behördenseite ist vermutlich noch nicht gesprochen. 


 

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