Top-Jobs trotz strategischem Scheitern
Wie die Migros ihre Ex-Industriemanager versorgt

Beim orangen Riesen bleibt kein Stein auf dem anderen. Auch die langjährige Strategie der Industriebetriebe wird Knall auf Fall beerdigt. Die Verantwortlichen hält man jedoch mit attraktiven Posten innerhalb des Konzerns bei Laune.
Publiziert: 23.06.2024 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2024 um 09:40 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Das Filetiermesser hat ausgedient. Spätestens seit dieser Woche ist klar: Der neue Migros-Chef Mario Irminger (59) bearbeitet den Genossenschaftskonzern mit der Axt.

Nach Hotelplan, Melectronics und SportX, deren Verkauf bereits im Februar bekannt gegeben wurde, kündigte die Migros nun die Trennung von Do it + Garden, Bike World und Micasa an.

Damit nicht genug: Auch bei den Industriebetrieben, die seit Duttis Zeiten zur Migros-DNA gehören, lassen Irminger und sein neuer Industriechef Matthias Wunderlin (50) keinen Stein auf dem anderen. Die sollen künftig weitgehend aufs Export- und Markengeschäft verzichten und auf die Belieferung der Supermärkte fokussieren.

Hans-Ruedi Christen, lange Chef von Chocolat Frey.
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Das Mantra gilt nicht mehr

In Deutschland werden etwa Frey International sowie die Marken für Bohnen- und gemahlenen Kaffee aufgegeben. Der Verkauf von Mibelle kommt hinzu: Für die Kosmetik-Tochter mit 1600 Mitarbeitenden, die rund 70 Prozent ihrer Umsätze im Ausland erwirtschaftet, sucht die Migros neue Eigentümer.

Die Kurskorrektur hat einschneidende Folgen: Bei Delica gehen 255 Arbeitsplätze verloren, bei der Milchverarbeiterin Elsa 45, in der Administration der Migros-Industrie 65 Stellen.

Durch die Abkehr vom Auslandsgeschäft erhofft sich das neue Migros-Management, Eigenmarken künftig zu einem besseren Preis zu bekommen – eine Argumentation, die erstaunt: Jahrelang verbreitete der Konzern das Mantra, Exporte dienten nicht zuletzt dazu, die hauseigenen Fabriken besser auszulasten – und den Migros-Supermärkten so zu preiswerteren Produkten zu verhelfen.

Desavouiert, aber nicht abgesägt

Der Um- und Abbau ist auch eine unausgesprochene Kritik am Schaffen früherer Industriemanager. Die Verantwortlichen für die vermeintliche Fehlausrichtung der Industrie betrifft die Kurskorrektur jedoch nicht. Viele von ihnen erhielten innerhalb des Migros-Konzerns wieder hochrangige Jobs, wie Recherchen von Blick zeigen.

Walter Huber (67), von 2008 bis 2019 Chef der Migros-Industrie, prägte die Internationalisierung wie kaum ein anderer. «Wir haben die Kompetenz und die Grösse, auch im Ausland eine Schlüsselrolle zu spielen», sagte er einst. Das hat sich zwar nicht bewahrheitet. Aber geschadet hat es Huber nicht: Er sitzt heute im Stiftungsrat der Gottlieb Duttweiler Stiftung.

Luigi Pedrocchi (65), Mibelle-CEO von 2006 bis 2022, trimmte die Kosmetiktochter auf Export. 2018 übernahm er die südkoreanische Kosmetikfirma Gowoonsesang. Wegen solcher Expansionsbemühungen will der Genossenschaftskonzern Mibelle nun loswerden. Pedrocchis Ansehen hat aber nicht gelitten: Vergangenen Sommer wurde er in den Verwaltungsrat der Migros Tessin berufen.

Hans-Ruedi Christen, langjähriger Chef von Chocolat Frey, übernahm 2014 die US-Firma Sweetworks. In diesem Zusammenhang sagte er dem «Migros-Magazin»: «Allein durch unsere bisherigen Exportgeschäfte konnten wir in der Schweiz Arbeitsplätze sichern.»

Seine Aussage ist nicht erst seit dieser Woche überholt. Dennoch ist Christen bei der Migros noch immer dick im Geschäft: Bis vor kurzem leitete er die neue Tochter Fresh Food & Beverage; erst vor wenigen Wochen wurde ihm die Führung von Micarna übertragen.

«Kein Schwarzer-Peter-Spiel»

Wie kommt es, dass die genannten Industriemanager – trotz fundamentaler Kritik an ihrer Arbeit – neue Top-Jobs innerhalb des Migros-Universums erhalten?

Die Migros erklärt das so: «Es geht hier nicht um ein Schwarzer-Peter-Spiel, sondern um Marktbedingungen, die sich teils drastisch verändert haben.»

Das Auslandsgeschäft werde angesichts von schwachem Euro-Kurs und hoher Inflation immer schwieriger. «Ob Sie für 1.20 Franken oder eben noch für 95 Rappen je Euro exportieren können, macht den Verkauf von margenschwachen Produkten sehr schwierig», sagt ein Sprecher.

Das soll wohl bedeuten: Die früheren Industriemanager haben keinen schlechten Job gemacht. Ihre Arbeit hat sich lediglich im Nachhinein als kontraproduktiv erwiesen.

Ex-Manager warnen vor Rohrkrepierer

Bleibt zu hoffen, dass in ein paar Jahren nicht dasselbe über Irmingers Neuausrichtung gesagt wird. Der geplante Verkauf von Mibelle hat zur Folge, dass die Migros beliebte Eigenmarken wie Candida, Handy und Total in Zukunft extern produzieren lassen muss.

Ein Ex-Manager warnt vor potenziellen Risiken: Dies könne im dümmsten Fall dazu führen, dass die Migros langfristig – je nach Verhandlungsposition – für einzelne Produkte mehr bezahlen müsse als heute.

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