Trend erreicht Teppichetage
Teilzeit-Chefs gefragt wie nie

Immer mehr Firmen schreiben Führungspositionen im reduzierten Pensum aus. Das zeigt die Auswertung von Daten eines Jobportals.
Publiziert: 09.04.2023 um 10:45 Uhr
|
Aktualisiert: 09.04.2023 um 15:47 Uhr
Blick_Portrait_1253.JPG
Camilla AlaborRedaktorin

Zwei Frauen an der Spitze, beide in Teilzeit – das geht, wie die Guetzli-Firma Hug beweist: Seit Sommer 2022 leiten Anna Hug (49) und Marianne Wüthrich (55) die Geschicke des Luzerner Familienunternehmens gemeinsam. Beide arbeiten je 70 Prozent und haben ihre Aufgaben geteilt: Hug leitet den Bereich Märkte, Wüthrich die Produktion.

Die Co-Chefinnen sind damit in guter Gesellschaft. Die Quote von Beschäftigten in Teilzeitjobs nimmt seit Jahren zu. Und zwar auch in der Chefetage.

Das zeigt eine Auswertung von x28. Das Schweizer Personalunternehmen hat analysiert, wie viele Stellenanzeigen für Führungspositionen in Teilzeit ausgeschrieben sind – und wie sich dieser Wert über die Jahre verändert hat.

Anna Hug (l.) und Marianne Wüthrich sind seit letztem Sommer Co-Chefinnen der Guetzli-Firma Hug.
Foto: Philippe Rossier
1/5

Resultat: Fast ein Drittel aller Chef-Jobs, die 2022 online ausgeschrieben waren, kann in Teilzeit ausgeübt werden. Zehn Jahre zuvor waren es 7,6 Prozent.

Teilzeit ist nicht immer Teilzeit

Doch arbeitet tatsächlich ein Drittel aller neu rekrutierten Führungspersonen Teilzeit? Dazu Daniel Kopp (37) von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich: «Nur weil die Positionen in Teilzeit ausgeschrieben werden, heisst das nicht automatisch, dass sie in Teilzeit besetzt werden.» Aber, so Kopp weiter: «Die Tendenz dürfte stimmen.»

Gemäss dem Arbeitsmarktexperten sind Firmen heute flexibler. «Der Trend zu mehr Teilzeitarbeit bestand schon vorher, durch den Fachkräftemangel hat er sich noch verstärkt.» Der Grund: Die Angestellten sitzen in vielen Branchen am längeren Hebel. Zudem zeige die Statistik, dass viele Führungspositionen in Teilzeit ausgeübt werden können. «Da scheint langsam ein Umdenken stattzufinden.»

Für die Unternehmen habe dieser Trend ebenfalls Vorteile, so Kopp. «Sie müssen weniger lange suchen und können aus einem grösseren Pool an Kandidatinnen schöpfen.» Eine neue KOF-Studie bestätigt: Ausgeschriebene Stellen bleiben weniger lange unbesetzt, wenn ein Teilzeitpensum vorgesehen ist.

Ines Hartmann (40) weiss aus Erfahrung, dass Firmen Führungspositionen vermehrt in Teilzeit ausschreiben. Die Co-Leiterin des Kompetenzzentrums für Diversität und Inklusion an der Universität St. Gallen sagt aber auch: «Entscheidend ist nicht, wie viele Stellen die Firmen in Teilzeit ausschreiben, sondern wie sie die Stellen besetzen.» Und hier sprechen die Zahlen eine andere Sprache. «Viele Jobs, die mit 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben sind, werden in Vollzeit besetzt.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Besonders auf den beiden obersten Hierarchiestufen sind Teilzeitjobs weiterhin selten. Hartmann: «In solchen Positionen arbeiten 91 Prozent der Männer Vollzeit, bei den Frauen sind es 78 Prozent.» Das zeigen Zahlen des Gender Intelligence Report der Uni St. Gallen, den Hartmann mitverantwortet.

Auf den obersten vier Hierarchiestufen arbeiten laut dem Report immer noch 88 Prozent der Männer und 71 Prozent der Frauen Vollzeit. «Am ehesten gibt es Teilzeit auf den unteren Führungsstufen, beispielsweise bei der Position als Teamleiterin», sagt Hartmann.

Kulturelle Probleme

Doch wie erklärt sich die Lücke zwischen dem, was Unternehmen inserieren, und der Vollzeit-Realität?

Hartmann nennt zum einen «kulturelle Gründe»: «Wo vorher 100 Prozent gearbeitet wurde, besetzt man die Stelle oft erneut in diesem Pensum.» Zudem denke man kaum darüber nach, welche Aufgaben wegfallen würden, wenn jemand 80 statt 100 Prozent arbeitet.

Es gebe aber auch strukturelle Gründe, so Hartmann: «Wenn eine Firma das Budget anhand der Stellenprozente berechnet, gibt es keinen Anreiz, eine Stelle zu 80 Prozent auszuschreiben – weil man die eingesparten 20 Prozent nicht mehr zurückkriegt.»

Bei der Guetzli-Firma Hug stellen sich solche Fragen nicht. Im Januar konnten Anna Hug und Marianne Wüthrich ein kräftiges Umsatzwachstum bekannt geben – von den Vorteilen einer Co-Leitung in Teilzeit bleiben sie überzeugt. Sie seien zwar nicht immer gleicher Meinung, sagte Hug kürzlich in der «Schweizer Illustrierten». «Aber wir denken miteinander und entwickeln zusammen bessere Lösungen.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.