«Mit dem Essen wollen wir unsere Dankbarkeit ausdrücken»
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Ukrainische Köchinnen:«Mit dem Essen wollen wir unsere Dankbarkeit ausdrücken»

Ukrainische Catering-Unternehmerinnen Oksana Smozhenkova (45) und Tetyana Doktorova (46) in der Schweiz
«Beim Kochen denken wir nicht so viel über den Krieg nach»

Menschen mit Migrationshintergrund gründen häufiger eigene Firmen. Früher waren es vor allem Italiener, später Einwanderer aus dem Balkan. Folgen nun die Ukrainer? Blick hat zwei Ukrainerinnen besucht, die in Uster ZH ein Catering-Start-up gegründet haben.
Publiziert: 05.08.2022 um 01:36 Uhr
Sarah Frattaroli

«Smakolik» ist Ukrainisch und bedeutet so viel wie «lecker». Smakolik ist aber auch ein Start-up aus dem Kanton Zürich. Oksana Smozhenkova (45) und Tetyana Doktorova (46) haben es vor einem Monat gegründet. Die beiden Ukrainerinnen liefern mit Smakolik ukrainisches Essen aus: die weltbekannte Randensuppe Borschtsch etwa. Oder Teigtaschen, gefüllt wahlweise mit Fleisch, Kartoffeln oder Pilzen.

Doktorova und Smozhenkova empfangen Blick in einer professionellen Küche in Effretikon ZH. Sie gehört einer Bekannten, die hier selber ein Catering- und Foodtruck-Business betreibt und die beiden ukrainischen Frauen ihre Küche gratis nutzen lässt. Oksana Smozhenkova hat in der Ukraine in einer Bäckerei gearbeitet. «Aber hier ist es schwierig, Arbeit zu finden. Ich spreche noch kein Deutsch.»

Also haben sie und ihre Freundin Tetyana Doktorova kurzerhand entschieden, ein eigenes Catering-Unternehmen aus dem Boden zu stampfen. «Mit dem Kochen können wir unsere Kultur auch ohne Worte zeigen», erklärt Smozhenkova, während sie in einem grossen Topf voller Borschtsch rührt. «Wenn ich koche, denke ich nicht so viel über den Krieg nach», ergänzt Doktorova. Dann erzählt sie unter Tränen, wie ihr Ehemann vor wenigen Wochen an der Front gefallen ist.

Tetyana Doktorova (46, links) und Oksana Smozhenkova (45) haben ein Catering-Unternehmen für ukrainisches Essen gegründet.
Foto: Matthias Kempf
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Migranten sind gründungsfreudiger

Dass die beiden Ukrainerinnen Unternehmensgründerinnen sind, ist typisch: Menschen mit Migrationshintergrund machen sich anteilsmässig häufiger selbständig als Schweizerinnen und Schweizer. Rund 5 Prozent aller Neugründungen in der Schweiz gingen letztes Jahr laut Zahlen von Startups.ch zum Beispiel auf Italienerinnen und Italiener zurück – obwohl sie weniger als 4 Prozent der Bevölkerung stellen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei Kosovaren, Portugiesen oder Türken, aber auch bei Einwanderern aus Ländern wie Deutschland und Frankreich.

«Als Angestellte haben Migranten schlechtere Chancen als Schweizer», erklärt Michele Blasucci (48). Er ist CEO von Startups.ch, das jedes Jahr mehreren Tausend Jungunternehmen bei der Firmengründung hilft. Mangelnde Sprachkenntnisse, nicht anerkannte Ausbildungen und fehlende Kenntnisse über den Schweizer Arbeitsmarkt erschweren die Jobsuche. Firmengründungen sind da oft der naheliegende Weg. Typisch sind etwa türkische Kebab-Läden, italienische Pizzerien oder albanische Baufirmen.

«Selbständigkeit ist kein Ersatz für Arbeitsplatz»

Kommt hinzu, dass Einwanderer risikofreudiger sind. «Diese Menschen haben ihr Land verlassen, das braucht Mut. Sie haben auch den Mut, ein Unternehmen selber zu gründen», sagt Blasucci. Schweizer hingegen fürchten sich eher davor, mit der eigenen Firma zu scheitern.

Dass nun eine Gründungswelle von ukrainischen Flüchtlingen einsetzt, glaubt Blasucci trotzdem nicht. Schliesslich will ein Grossteil der mittlerweile 60'000 ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz so schnell wie möglich zurück in die Heimat. «Aber je länger der Konflikt dauert, desto mehr Gründungen wird es geben», prognostiziert Blasucci. Besonders, weil den Ukrainerinnen die Arbeitssuche offensichtlich schwerfällt: 3000 haben laut Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) bisher eine Arbeitsstelle gefunden.

«Aber die Selbständigkeit ist kein Ersatz für einen Arbeitsplatz», warnt der Arbeitsmarktexperte Tino Senoner (63). «Die Selbständigkeit ist schwieriger, härter, gefährlicher.» Das bestätigen auch die Zahlen von Startups.ch: Migrantinnen und Migranten gehen bei der Firmengründung häufiger pleite. «Ihnen fehlen oft das Netzwerk, die Erfahrung und das Startkapital», sagt dazu Blasucci.

Perfekter Zeitpunkt für Gründung

Zurück in die Industrieküche in Effretikon, wo Oksana Smozhenkova gerade Omeletten mit einer krümeligen Masse aus Trutenfleisch und Zwiebeln füllt und gekonnt zu kleinen Päckchen faltet. Ihre Geschäftspartnerin Tetyana Doktorova hat im Gegensatz zu Smozhenkova keinerlei Gastro-Erfahrung. «Aber das macht nichts, alle ukrainischen Frauen lieben das Kochen!», meint Doktorova gelassen.

Ohne Erfahrung ist die erfolgreiche Unternehmensgründung zwar ungleich schwieriger. Doch auch Tino Senoner will die Ukrainerinnen nicht entmutigen. «Wenn man gründen will, ist jetzt der perfekte Zeitpunkt.» Die Wirtschaft brummt und lechzt nach Fachkräften. Besonders vielversprechend seien Neugründungen in der Baubranche: als Elektrikerin, Plattenleger, Malerin oder Sanitär etwa.

Aber auch für das ukrainische Catering-Business sieht er Zukunft, haben die beiden Frauen doch keinerlei Fixkosten. Ihr Start-up ist als Einzelfirma angemeldet. Bei der Gründung halfen Schweizer Bekannte mit dem Papierkram. Der Umsatz ist derzeit noch derart tief, dass Smozhenkova und Doktorova nicht einmal Mehrwertsteuer bezahlen müssen.

Wird ukrainisches Essen trendy?

Das Unternehmen ist denn auch nicht als Big Business gedacht. Es gibt nicht einmal eine eigene Webseite: Die Bestellungen laufen via Instagram. Ziel des Start-ups ist viel eher der kulturelle Austausch, die Integration und das Networking für die beiden Gründerinnen. Anders als etwa japanisches Sushi oder mexikanische Tacos sind ukrainische Kohlrouladen, Fleischkoteletts und geräucherter Fisch auch keine Trend-Gerichte. Ob das ukrainische Catering noch Aufträge erhält, wenn die Solidarität mit den Flüchtlingen einmal abflacht, ist fraglich.

«Wir beliefern momentan vor allem kleine Treffen von Familien oder Freunden», erzählt Smozhenkova. Es kommt selten mehr als ein Auftrag pro Woche rein, über den Sommer sind es nun sogar noch weniger. «Aber wir träumen von einem grossen Auftrag!» Sie könnten problemlos auch 100 hungrige Mäuler stopfen, versichern die beiden Frauen und servieren dabei den fertig gekochten Borschtsch, die gefüllten Omeletten und Co. Na dann: Smachnoho! (Guten Appetit!)

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