Velos für 15'000 Franken und mehr
Im Markt der Luxus-E-Bikes mischt die Schweiz ganz vorne mit

Nirgends sind die Velos teurer, die Radler schicker und die Mountainbike-Racingteams erfolgreicher als hierzulande.
Publiziert: 22.09.2024 um 10:45 Uhr

Auf einen Blick

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Bendicht Luginbühl
Bilanz

Die internationale Fachwelt war baff, im Juni 2024. 100 Velos, verkauft für fünf Millionen Schweizer Franken. Ein weltweit einmaliger Marketingcoup. 100 Fahrräder der neuen Marke Twinner zu je 50'000 Franken gehen an Early Adopters, an Unternehmer, Politiker, Influencer, Profipendler. Der Berner Fahrradunternehmer Thomas «Thömu» Binggeli rollt seine nächste Innovation an die Startrampe: Twinner, ein Speed-Pedelec, wie schnelle Alltags-Elektrobikes im Jargon genannt werden. Ein Velo der nächsten Generation: futuristisch, Karbon-leicht, digital so umfassend integriert wie bisher kaum ein Fahrrad. Gut 45 km/h schnell.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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50 Riesen für ein Elektrovelo mit Anhänger? Dafür gibts auch drei Dacia Sandero oder einen gebrauchten Porsche. Immerhin kommen zum Bike auch Allwetterkleidung, ein Bluetooth-fähiger, lichtabstrahlender Helm, eine ABS-Bremse vorn, beheizbare Lenkergriffe und eine Blick-zurück-Kamera, die im Lenker integriert ist. Vor allem aber ist es zugleich ein Crowdfunding für die «Schweizer Mobilitätsrevolution», wie Binggeli es formuliert. 20'000 Franken kosten Velo und Zubehör, 30'000 fliessen in Aktien der Twinner AG. Die Kunden werden zu Teilhabern.

Schnell mit Stil: Ein sogenanntes Speed-Pedelec vom Schweizer Hersteller Twinner. Diese Kategorie erreicht Geschwindigkeiten von weit über 40 km/h.
Foto: PR

Das Beispiel zeigt, wie sich der seit Jahren wachsende Trend zum schicken und teuren Velo allmählich zum Hype auswächst.

Einer der bekanntesten Schweizer Manager, die diesen Strukturwandel beobachten: Morten Hannesbo, ehemaliger CEO des Autoriesen Amag. Der einst als «Automobilkönig» bezeichnete Manager ist genauso bekannt für seine Autofaszination wie für seine breit gefächerte Rennradleidenschaft, seinen Fokus auf Alpenpässe und Ausdauer-Radsportprüfungen wie die legendäre Schweizer Ausdauerprüfung Tortour. Hannesbo, der auch als Verwaltungsrat des in Turbulenzen geratenen Veloherstellers Scott tätig ist, sieht für das Elektrofahrrad ein Riesenpotenzial. Wobei der Multi-Verwaltungsrat – versteht sich – nach wie vor mit sogenannten Bio-Rennrädern, also ausschliesslich mit Muskelkraft, seine Pässe bewältigt.

Ob Profis oder Amateure: Mit elektrischem Support ist man schneller und einfacher auf dem Gipfel, im Bild ein E-Bike von Scott.
Foto: Skyshot / Markus Greber

Frauen auf dem Vormarsch

Hannesbo gehört zu jener Performance-Elite, die den Fahrradkult in der Schweiz in höchste Höhen hieven hilft. Er, der viele topmoderne E-Autos für seinen Videoblog «Mobility Insider» auf YouTube testet, erliegt wie viele andere Topshots der Erotik und der Dynamik des modernen Rennrads. Die Zweirad-Beauties, aerodynamisch getunt und mit elektronischen Schaltungen und Scheibenbremsen schnell wie nie zuvor, sind für Hannesbo Leidenschaft und Faszination – eine Tech-Love-Affair. Die auch der frühere Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand teilt: Auch der Blackrock-Vize hat seine Hightechräder an diversen Domizilen stets einsatzbereit. 

Wo Eleganz, Chic und Hightech warten, lassen sich auch immer mehr Ladies ansprechen, motivieren und verführen. Inzwischen kaufen Frauen vier von zehn Zweirad-Sportgeräten. Egal ob Rennräder, Gravel- oder Mountainbikes: Frauen auf Velos sind in der Schweiz inzwischen stärker vertreten als jemals zuvor, auch dank selbstbewussten Velostars wie Marlen Reusser, Alessandra Keller oder Olympiasiegerin Jolanda Neff. Deren Look und Ausstrahlung, ergänzt durch attraktives Bildmaterial in sozialen Medien, hat der Frauenpower auf zwei Rädern Vorschub geleistet.

Ein Profi auf dem Velo: Mountainbike-Olympiasiegerin Jolanda Neff.
Foto: Freshfocus

Das Wetter bleibt ein Risiko

Hannesbos Zukunftsvision für Elektrovelos: «Speed-Pedelecs, schnelle Elektrofahrräder, lassen Distanzen von 5 bis 50 Kilometern im Alltag schrumpfen. Unbestritten ist, dass in Ballungszentren E-Fahrräder eine immer grössere Rolle spielen werden, ob gemietet oder im Eigentum. Ihre Schnelligkeit, ihre Wendigkeit, die Möglichkeit, E-Velos praktisch überall parken zu können, und natürlich die günstigen Betriebskosten sind schlagende Argumente für die Zukunft der Velo-Elektromobilität.» Hannesbo rückt aber auch die Nachteile des Elektrovelos in den Fokus: etwa den Einfluss der schlechten Witterung auf die Motivation der Velonutzer. Oder generell die Einsatzfähigkeit der Elektrofahrräder bei schlechter Witterung.

«Cycling is the new golf» – die Ansage kommt aus dem Erfinderland des Mountainbikes, aus Kalifornien, wo mehr und mehr Firmen dazu übergegangen sind, gemeinsame Trainingsausfahrten zu institutionalisieren. Corporate Motion sozusagen, mit dem Firmenlogo auf Jerseys und Socken. Und einer klaren Message: Wir fordern uns. Wir sind dynamisch. Wir bewegen Dinge. Drehte sich Managertalk früher häufig um Golfhandicaps und -destinationen, reden die engagierten Manager-Rennradler, Chefbiker und Boss-Gravelisten nun bevorzugt über ihre Velo-Eskapaden und ihre neuen Liaisons – die fantastischen Fahrräder im hauseigenen Man Cave.

Velo-Thrill: Zwei Biker, die es ernst meinen, quälen sich nach oben auf das Stilfser Joch, auch bekannt als Stelvio – nur mit Muskelkraft.
Foto: Skyshot GmbH / Markus Greber

Den signifikanten Wertewandel hin zum Velo in der Schweizer Managerszene beschreibt Stefan Linder, der Co-Gründer und langjährige CEO des Swiss Economic Forum, der 19 Jahre lang über 2000 Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Politik in Interlaken zum jährlichen Leadermeeting einlud: «Die rasante technologische Aufwertung des Velos hat zu einem Mindset-Change bei vielen Topmanagern geführt. Fahrradfahren ist für sie heute sehr attraktiv geworden, weil man auf dem Hightechprodukt Velo fit bleibt, sein Image pflegt und Netzwerke weiterbringen kann.»

Anleihen aus der Formel 1

Dank der Design-Adaptionen aus dem Autorennsport ist der Imagetransfer zum Sportgerät der Spitzenklasse gelungen. Velos sind zu Werbeträgern erster Güte geworden: Freiheit, Dynamik, Abenteuer, Racespirit. Der frühere Designchef des Schweizer Herstellers Scott Sports Group, Peter Naegeli, kommentiert den atemberaubenden Imagetransfer wie folgt: «Ursprünglich liessen wir uns von den auf Fernsehübertragungen ausgerichteten Designs der US-Rennserie Nascar und vom Formel-1-Rennsport beeinflussen. Diese farbige, oft schrille Designpower-Sprache war fürs Fahrrad völlig neu. Sie verhalf dem Mountainbike und später dem Rennrad zu einem anderen, zu einem progressiven Tech-Image. «Erst später», so Naegeli, «wurden wir wieder diskreter im ‹Look and Feel›, ordneten uns dem eigentlichen Produktdesign unter.»

Das exklusive Image des Hightechvehikels Velo wurde Realität. Und zum Transmissionsriemen für den ganz persönlichen Imagetransfer weiss der Zürcher Topwerber Frank Bodin: «Ein Velo sagt manchmal mehr als tausend Worte. Lifestyle ist immer auch eine Form der nonverbalen Kommunikation. Wenn ein Manager mit einem Rennvelo statt einem Sportwagen bei seiner Firma vorfährt, sendet das eine vielsagende Botschaft an seine Mitarbeitenden: Seht her, ich bin sportlich, ökologisch verantwortungsvoll, ich bin die Zukunft.»

Einer der Highflyer des helvetischen Fahrradenthusiasmus ist der Marketingprofi Joko Vogel, Erfinder der Tortour. Vogel bringt auffällig viele bekannte Wirtschaftsgrössen, Politiker und Manager aufs Rad, inszeniert sie mit Ausdauerprüfungen und lässt sie medienwirksam leiden. Und lässt darüber berichten. Ein Konzept, das aufgeht, kommerziell und Rad-philosophisch: Wer gemeinsam unterwegs ist durch Sturm und Wind, über Pässe und über Distanzen, wer sich der Tortour oder anderen Torturen unterwirft, der kann was erzählen und findet öfters seinen eigenen, runden Tritt – das Mantra jedes Pedaleurs.

Freiluft-Feeling: Mit Elektrobikes wie jenen von Specialized hält man mit dem Vierradverkehr in der Stadt mit und hat erst noch frische Luft.
Foto: PR

Während Manager, Aficionados aus allen Berufsgattungen aus Faszination und Leidenschaft für Rennräder und High-End-Mountainbikes heute öfters bis zu 17'000 Franken hinblättern, geht der Trend für elektrische Alltagsfahrräder in die andere Richtung: E-Fahrräder werden immer leistungsfähiger – und tendenziell günstiger im Preis. Der Technologietransfer mit der globalen Mobilitätsindustrie nimmt Gestalt an, so Christoph Ritzler, langjähriger Europa-Chef des börsennotierten US-Kinematik-Unternehmens Fox Factory: «Künftig können E-Velos und E-Motorräder mit ähnlichen oder gleichen Antriebseinheiten ausgerüstet werden. Das Velo profitiert immer öfter vom enorm breiten und tiefen Know-how der Ingenieure, die im Auto- und Motorradbusiness technische Höchstleistungen erbringen.»

Das E-Velo als globaler Ermöglicher

Den technischen Boost nach vorn bestätigt auch der Designingenieur und Fahrradexperte Martin Schütz, der an der ETH und an der ZHdK Industrial Design lehrt und den Velomarkt auch aus der täglichen Fahrpraxis kennt: «Das Elektrofahrrad wird jetzt, heute und morgen definitiv zu einem globalen Enabler. Die elektrische Fahrunterstützung schafft den einfachen Zugang zum Velo für Millionen von Menschen, welche bisher keinen Fuss auf ein Pedal gesetzt haben.» Ältere Menschen, Pendler, die an einer flüssigen urbanen Fortbewegung interessiert sind, Reisende, denen Velos ohne Tretunterstützung schlicht zu anstrengend wären – sie alle steigen um aufs Elektrorad, weil Tausende von Stunden im automobilen Stau und der immer offensichtlichere Klimawandel die Perspektiven radikaler als auch schon verändern. Schütz prognostiziert dem E-Velo einen Wachstumsschub, wie ihn die bisherige Fahrradrevolution mit Inkubator Mountainbike wohl nie hätte auslösen können: «Das Elektrofahrrad schafft die Grundlage für neue Velokategorien, welche in die urbanen Mobilitätszonen passen und in künftigen Mobilitätsplanungen für Städte und Agglomerationen eine Rolle spielen werden.» Gemeint sind damit flinke, leistungsfähige, in hohem Masse energieeffiziente Pendlervelos, Cargo-Fahrräder und Long-Tail-Bikes, also verlängerte Last- und Personenbeförderungsvelos.

Schnell unterwegs: Das Speed-Pedelec ST5 vom Schweizer Elektropionier Stromer.
Foto: PR

Nischenmarkt Bio-Rad

In Deutschland wurden 2023 erstmals mehr E-Fahrräder als konventionelle Bio-Fahrräder verkauft. Die Elektrovelo-Revolution profitiert von einer physikalischen Dimension, von der Autobauer nur träumen können: Leichtbau, der E-Fahrzeuge erst richtig wettbewerbsfähig machen wird, ist für Velos die Königsdisziplin. Während ein neues Elektro-SUV im Schnitt rund dreissig Mal schwerer ist als sein Fahrer, wiegt ein leistungsfähiges Elektrobike gerade ein Drittel bis ein Viertel seines Nutzers. Krasser und gleichzeitig wertneutraler können die fundamentalen Unterschiede zwischen Elektroautos und -velos nicht aufgezeigt werden.

Die Zukunft des Velos wird zunehmend elektrisch, da sind sich die internationalen Marktbeobachter und die Meinungsführer aus Europas Industrie einig. Es werden für Bio-Velos, also jene ohne Motor, zwar grosse Nischen bleiben, insbesondere in den oberen Preissegmenten, bei Rennrädern, Gravelbikes und beim Innovationstreiber Mountainbike.

Dass in europäischen Märkten die Verkaufszahlen für E-Bikes immer markanter ansteigen, zwingt die Veloindustrie in eine Offensive, denn branchenfremde Herausforderer rücken an. Wie die Zuffenhausener Edelschmiede Porsche, die den etablierten E-Bike-Antriebshersteller Fazua übernommen hat. Oder der weltweit führende Drohnenbauer DJI, ein chinesischer Tech-Gigant, der unter anderem den russischen Aggressionskrieg in der Ukraine mit seinen kampftauglichen Geräten mitbeeinflusst – auch DJI ist prominent in den E-Velo-Motorenbau eingestiegen.

Wenn der Sportwagen geschont werden soll: Porsche steckt hinter diesen Velos, die womöglich so stylish sind wie Autos aus Stuttgart.
Foto: PR

Gut positionierte Schweiz

Gut so, sind sich die Wissenschafter einig: Sparsamer als mit E-Velos geht es bloss noch zu Fuss.

Die träge gewordene Schweiz wittert Morgenluft, hier kommt ein Industriezweig in Fahrt. Eine ganze Phalanx führender Firmen, die sich in hohem Tempo um Elektrofahrräder kümmern. Nebst Scott sind international bekannte Marken wie Flyer, Stromer, Maxon, DT Swiss und neuerdings Twinner mit der Entwicklung neuer E-Bikes und relevanter E-Komponenten im Aufwind. Die Hightech-Affinität des Standorts wird «im kommenden Jahrzehnt eine tragende Rolle spielen», konstatiert Martin Platter, Geschäftsführer des Branchenverbands Velosuisse: «Die Schweiz wird sich zu einem weltweit führenden Hub für die Elektrovelo-Industrie entwickeln.»

Schlagender Beweis für die immer ausgeprägtere Positionierung der Schweiz ist der Entscheid des global einflussreichen US-Veloherstellers Specialized, seine gesamte E-Bike-Entwicklung in der Schweiz zu konzentrieren. In zugerischen Hünenberg entsteht ein Specialized-Hub, dem eine vergleichbare Bedeutung zukommt wie dem Hub Zürich für Google. Und mehrere Schweizer Fahrradanbieter setzen auf die leichten und leisen Antriebe der Maxon Group aus Sachseln, die etwa für die Raumfahrtagenturen NASA und ESA Motoren liefert – weltweit renommierte Spitzentechnik aus Obwalden.

Ein unschätzbarer Vorteil für die Zukunft des E-Velos, sagt Wissenschaftler Schütz, sei, dass es «ökologischen Ansprüchen standhalten wird, weil der Stromverbrauch kompakter und leichter Elektromotoren für Fahrräder extrem tief ausfallen kann». 100 Kilometer Elektrobike-Betrieb dürften dereinst weniger als 50 Rappen Stromkosten verursachen. Kommt die angekündigte Wartungsfreiheit dazu: Die eben lancierten Twinner-Elektrobikes sollen bloss noch alle 25'000 Kilometer gewartet werden müssen. Die Reichweite des Velos soll bei über 130 Kilometern Fahrdistanz liegen, mit einer einzigen Akku-Ladung. 

Die Velozukunft ist Strom, Bio wird zur bedeutenden Nische: Trotz zwischenzeitlichem Durchhänger, der unausweichlich als Folge der Corona-Verkaufs-Euphorie kommen musste, wird die europäische Fahrradindustrie Ende 2024 einen Rekordumsatz von 24 Milliarden Euro einfahren. So bedeutend war die Velobranche noch nie.

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