Verschwiegener Familienkonzern
Was beim Schweizer Lift-Hersteller Schindler hinter den Kulissen passiert

Nur wenige Firmen in der Schweiz sind so verschlossen wie der Luzerner Liftkonzern Schindler. Ein Blick ins Innere.
Publiziert: 25.05.2024 um 18:01 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2024 um 18:39 Uhr
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Dirk Ruschmann
Bilanz

Die Zukunft des globalen Fahrstuhlwesens soll sich in einem Luzerner Vorort aufhalten. Auf dem «Campus» in Ebikon demonstrieren ein «Port Innovation Lab» sowie ein System namens Metacore, wie sich Personenströme in Hochhäusern steuern lassen, wie geschäftlich Anwesende und Bewohner eines Gebäudes getrennt befördert werden können, wie dank einer App auf dem Mobiltelefon eine Software schon vorab einen passenden Lift bereitstellt, was Digitalisierung ganz grundsätzlich zur Beschleunigung und Bereicherung der hausinternen Reisetätigkeit beizutragen vermag. So erzählen es jedenfalls frühere Besucher.

Ebikon LU ist die Heimat der Schindler-Aufzüge und -Fahrtreppen, auch wenn sich die übergeordnete Holding in ein Glaspalästli am Ufer des Vierwaldstättersees verzogen hat. Den Showroom konnten wir nicht persönlich in Augenschein nehmen – einen bereits fixierten Termin sagte der Konzern kurzfristig wieder ab, weil man nichts beitragen wolle zu einem womöglich kritischen, gar «unfairen» Artikel. Und zu Themen abseits technischer Innovationen könne man schon gar nichts sagen.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Dabei wäre die Zeit reif für eine stolze Kommunikationsoffensive. Nach einer tiefen Krise, ausgelöst durch Lieferengpässe, Covid-Wirren und interne Managementfehler, die den Kurs der Partizipationsscheine innert Jahresfrist von 300 Franken bis Herbst 2022 auf einen Tiefstwert von 150 Franken einbrechen liess, haben sich alle relevanten Kennzahlen erstaunlich schnell erholt. 2023 erzielte Schindler neben steigenden Umsätzen wieder eine Gewinnmarge auf Stufe Ebit, die sich den magischen Wert von zehn Prozent von oben anschauen darf, der Aktienkurs ist inzwischen wieder auf 220 Franken geklettert. Schindlers Aufzüge fahren wieder himmelwärts.

Schindler gibt sich gerne sehr verschlossen.
Foto: keystone-sda.ch
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Die Lifte und Fahrtreppen von Schindler sind Metall gewordene Antithese zu Otto von Bismarcks beliebtem Bonmot: «Die erste Unternehmer-Generation verdient das Geld, die zweite verwaltet das Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends», hatte Deutschlands legendärer Reichskanzler gespöttelt. Doch bei Schindlers geht es anders zu, ganz anders. Hier war es ausgerechnet die vierte Generation, die das Unternehmen erst in die Weltspitze geführt hat.

Viererbande dominiert Lift-Markt

Den Markt für Lifte und Fahrtreppen beherrscht eine Viererbande: Neben Schindler die amerikanische Otis, börsenkotierte Abspaltung des Mischkonzerns United Technologies, dann Norwegens Kone, die punkto Eigentümerschaft und Governance frappierende Ähnlichkeiten mit Schindler aufweist, und ThyssenKrupp Elevator (TKE), aus dem gleichnamigen Stahlmulti herausgelöst und aktuell im Besitz zweier Private-Equity-Firmen sowie der deutschen RAG-Stiftung, ein Rudiment der Steinkohle-Industrie; diese vier teilten sich auch 2007 die knappe Milliarde Euro an Geldbussen der EU-Kommission für Preisabsprachen im sogenannten Lift-Kartell. Kleinere Marktanteile halten einige Japaner wie Hitachi oder Mitsubishi.

Der Torre Reforma in Mexico City, 246 Meter hoch. Darin verkehren nicht weniger als 14 Lifte von Schindler.
Foto: Alamy

Die vierte Generation, dafür steht Alfred Niklaus Schindler, den viele «Nik» nennen, Nahestehende oft auch «Niki». Heute eine Legende, genau wie sein übergrosses braun kariertes Sakko, trat der hochgewachsene Unternehmer 1977 in den Verwaltungsrat ein, war von 1985 bis 2011 CEO, ab 1995 im Doppelmandat auch Verwaltungsratspräsident, und amtet schliesslich seit 2017 als Chairman Emeritus und einfaches Mitglied des Verwaltungsrats. Vor einem Monat 75 geworden, ist er als Vormann des Pools der Familienaktionäre nach wie vor zentraler Machthaber der gesamten Gruppe.

Alfred N. Schindler, Jurist mit zusätzlichem MBA-Abschluss der renommierten US-Businessschule Wharton, der zu seinem Mittelinitial eine innige Liebe pflegt, fand zur Zeit seiner CEO-Werdung einen Umsatz von 1,8 Milliarden Franken vor, erarbeitet durch 22 000 Mitarbeiter. Unter seiner Führung wuchs das Geschäft auf heute 11,5 Milliarden und mehr als 70 000 Beschäftigte, den Börsenwert hat er seit seinem Firmeneintritt mehr als verzehnfacht. Ehemalige Topkader sprechen von einem «erdrückend grossen Leistungsausweis»; der Respekt vor seiner Lebensleistung ist bei allen Gesprächspartnern genauso greifbar wie die Furcht vor Schindlers Bannstrahl – mit Namen will sich daher niemand outen.

Schindler gilt als Architekt des Konzerns und Dealmaker – Wharton verbreitete in einem Porträt, nach dem MBA habe ihn durchaus auch das Investmentbanking gereizt. Zurück beim Familienkonzern, verkaufte er konsequent Nebengeschäfte wie den Bau von Werkzeugen, Kranen oder Banksafes, 15 sollen es insgesamt gewesen sein, zuletzt, in den 2010er Jahren, hatte er noch die Beteiligung am Logistiker Also abgebaut. Im Gegenzug begann er früh und weltweit, Wettbewerber im Business mit Liften und Rolltreppen zu übernehmen.

Oft geht allerdings sein kongenialer Nebenmann vergessen: Cousin Luc Bonnard, drei Jahre älter, ist weit mehr als der Statthalter des zweiten Familienzweigs im Verwaltungsrat. ETH-Elektroingenieur Bonnard war viele Jahre das technische Gewissen bei Schindler, leitete selbst das Kerngeschäft und gilt als der Einzige, der Nik in geschäftlichen Dingen beeinflussen konnte. Der soll ansonsten allenfalls noch Alt-Verwaltungsrat Pius Baschera, langjähriger Hilti-Boss, sein Ohr geliehen haben.

Auch charakterlich ergänzen sich die beiden. Alfred Schindler könne staubig werden, wenn es Widerspruch im Verwaltungsrat gebe oder dort unerwünschte Einschätzungen geäussert würden, erinnert sich einer, der Zugang zum Gremium hat. Nach Verwaltungsratssitzungen und dem folgenden Nachtessen habe er sich meist schnell verabschiedet, Bonnard hingegen, «ein sehr sozialer Typ und null einschüchternd», mit gutem Humor ausgestattet, sei gern noch an der Bar verweilt. Zwar hätten sich die familienfremden Verwaltungsräte gut verstanden, generell aber habe Teamgeist gefehlt: Von rund 20 Personen aus VR und Konzernleitung seien an der Bar schnell nur sechs oder sieben übrig geblieben.

Patron: Alfred Niklaus «Nik» Schindler hat die Firma an die Weltspitze geführt. Er ist heute mindestens so legendär wie sein braun kariertes Sakko.
Foto: Keystone

Schindler wie Bonnard haben die Alterslimite im Verwaltungsrat längst überschritten, jährlich lassen sie sich neue Ausnahmegenehmigungen erteilen. Vor Jahren hatte Schindler seinen Rückzug auf 2022 angekündigt, später auf 2024 verlängert, weil in diesem Jahr der Konzern sein 150-Jahr-Jubiläum feiert – und Unternehmerfamilien tendieren dazu, die Symbolkraft solcher Daten zur Überhöhung interner Umbauten zu nutzen.

Die fünfte Generation übernimmt

Doch Beobachter haben Zweifel, ob der lang erwartete Rückzug der beiden Granden dieses Jahr tatsächlich erfolgt und die nachfolgende fünfte Generation zu den obersten Vertretern der Familienstämme avancieren wird. Wie weit der begleitende Transfer der Aktien an die jüngere Generation gediehen ist, wissen aktuell nur die Beteiligten selbst; angekündigt wurde er zu Beginn des Jahres 2020. Im Aktionärspool der Familien, der rund 30 Personen umfasst, galt Alfred Schindler stets als jene Person mit dem weitaus grössten Aktienpaket. Dass etwas passiert, zeigt sich am aktuellen Anteil des Pools an den Stimmrechten; er liegt bei 68,6 Prozent. Vor einigen Jahren waren es bereits über 71 Prozent.

Seit Jahren sitzen zwei Mitglieder der fünften Generation im Verwaltungsrat, Schindlers Nichte Carole Vischer und Bonnards Neffe Tobias Staehelin, beide Juristen. Beide hatten schon diverse Funktionen im Konzern, doch nur Tobias, den Nahestehende als «guten Typen» beschreiben, war auch operativ tätig – in Deutschland, China und Macau, zuletzt als konzernweiter HR-Chef. Zudem ist er in Corporate Switzerland gut vernetzt, sitzt im Board des Logistikkonzerns Kühne+Nagel.

Sein Vater Thomas Staehelin, ein Basler Anwalt, war einer der wichtigsten Multi-Verwaltungsräte der Schweiz. Dass Sohn Tobias auf die jüngste Generalversammlung den HR-Posten aufgegeben hat und in den Aufsichts- und Strategieausschuss des Verwaltungsrats einzog, interpretieren diverse Beobachter als Aufwärmübung für das Antreten der Nachfolge Alfred Schindlers – dieser Ausschuss bildet das zentrale Machtgremium im Board. So wandert die interne Finanzberichterstattung direkt in diesen Ausschuss, der das Etikett «Chief Operating Decision Maker» trägt.

Schlüsselfiguren: Die Familienvertreter Luc Bonnard, Tobias Staehelin, Carole Vischer und die Topmanager Silvio Napoli und Paolo Compagna (von links oben im Uhrzeigersinn).
Foto: Keystone

Carole Vischer gilt als weniger prädestiniert, aber auch weniger interessiert an dieser herausragenden Rolle. Allerdings schreiben Interne noch einer weiteren Person die Fähigkeiten zu, die Familien zu führen und zusammenzuhalten; Alfred Schindlers öffentlich erklärtes Ziel ist ja, dass der Konzern für mindestens zehn Generationen in der Hand der beiden Stämme bleibt. Diese Person ist der Ehemann von Schindlers Adoptivtochter Caroline, die es selbst eher mit der Mode hat: Max Linsi. Er führt als CEO die Schweizer Schindler-Konzerntochter AS Aufzüge mit 800 Mitarbeitern, die markenunabhängig Lifte plant und wartet und an der hübschen Internetadresse lift.ch wohnt. Den Verwaltungsrat des Konzerns kennt er jedoch nicht von innen.

Der ewige Nik Schindler

Insofern dürfte der Sprung an die Familienspitze zu gross für Linsi sein. Doch diverse Insider könnten sich ein Tandem mit Staehelin gut vorstellen; Linsi als CEO oder als Verwaltungsrat mit Einsitz in wichtigen Ausschüssen, Staehelin als Präsident. Beide Ämter in der Hand der Familie, zudem auf beide Stämme verteilt – das könnte Lockstoff für Patriarch Schindler sein. Seit er 2011 sein Doppelmandat aufgab, waren die zwei wichtigsten Konzernposten nicht mehr von Verwandten besetzt.

Natürlich hätten wir ihn gern gefragt, ob, wann und wie er seine Nachfolge zu regeln gedenkt. Zumal nicht wenige Insider vermuten, dass er so lange weitermachen wird, «bis er nicht mehr kann». Und wer sich bei Investoren umhört, gewinnt schnell das Stimmungsbild: Die Finanzgemeinde hätte kaum etwas dagegen – der ewige Nik als Erfolgsmodell.

Doch Alfred N. Schindler spricht nicht. Schon die Lokalpresse empfängt er selten; beim Konzern wissen Führungskräfte, dass auf dem Weg nach ganz oben «von Big Nik eine Massage ansteht, wie man mit Medien umgeht»: möglichst wenig. Er traue Journalisten nicht, sagt ein Wegbegleiter, sei ohnehin oft als «Lonely Wolf» unterwegs, verbeisse sich gelegentlich in spezifische Themen, «verliebe» sich in einzelne Manager und sei dann umso enttäuschter, wenn die nicht die gewünschte Performance ablieferten.

Auslöser sei wohl die Welle an Kritik nach dem Lift-Unfall von Tokio 2006 gewesen: Womöglich habe er damals «den Eindruck gewonnen, die Welt sei gegen ihn und er müsse daher mit grossem Selbstvertrauen allein vorwärtsmarschieren».

Schneller Abschied von Oetterli

Wenn punkto Öffentlichkeitsarbeit einmal etwas schiefgeht, zumindest in Schindlers Wahrnehmung, bedenkt er die Urheber gern mit Feedback. So geschehen nach einem Artikel der «Financial Times», die vor gut drei Jahren den damaligen CEO Thomas Oetterli interviewt hatte. Dass Oetterli von «intensiveren» M&A-Bemühungen gesprochen hatte und dass man sich auch grössere Kaufobjekte «definitiv anschauen» werde, kam nicht allzu gut an: Beim CEO wie auch der Kommunikationsabteilung sollen erboste Anrufe von Schindler eingegangen sein. Und im Herbst 2012, als Verwaltungsrat Peter Athanas in einem Interview mit dem Aargauer «Sonntag», das er gemäss Insidern zuvor nicht mit Schindler abgesprochen hatte, gleich mehrere ungeschickte Statements zum Besten gab, war seine Perspektive dahin, den Grossmeister als Konzernpräsident zu beerben. Praktischerweise endete seine dreijährige Amtsperiode zur folgenden Generalversammlung 2013. Athanas schied aus.

Ein besonders rotes Tuch für Nik Schindler ist BILANZ. Die Abneigung soll in einer respektlosen Bemerkung über seine Adoptivkinder in einem alten Artikel begründet sein. Das muss lange zurückliegen, genau zu ermitteln ist der Text nicht mehr. Auch die Autoren haben längst gewechselt, doch Schindler in Person, und mit ihm der gesamte Konzern, hält an seiner breit angelegten Verweigerungshaltung fest. Das kann man «konsequent» nennen. Oder aber «trotzig».

Konsequent pflegt Schindler auch sein Spezialitätenkabinett in der Corporate Governance. Wer die Geschäftsberichte studiert, kann sich über die Saläre einer Gruppe von Verwaltungsräten nur wundern – die Mitglieder des Aufsichts- und Strategieausschusses, die sich zwei, drei Mal im Monat treffen, aber «grundsätzlich vollamtlich arbeiten», beziehen Saläre, von denen viele Topmanager nicht einmal träumen können, und zusätzlich einen Bonus, der vom Cashflow abhängt.

In diesem Ausschuss sitzen zwei Schindler-Veteranen, Erich Ammann und Günter Schäuble, die 2023 jeweils über 2,7 Millionen Franken einstrichen. «Dass ein Teil der Verwaltungsratsmitglieder incentiviert ist wie operative Manager, ist stossend», kritisiert Vincent Kaufmann, Direktor der Schweizer Stimmrechtsberatung Ethos: «Ich kenne kein Unternehmen, in dem Operatives und Aufsichtsfunktion derart gemischt sind», sagt Kaufmann und fügt süffisant hinzu, «als Vergleich fällt mir nur noch das berüchtigte Chairman’s Office von Marcel Ospel bei der UBS ein». Drittes Ausschussmitglied ist Silvio Napoli, seit 2022 im Doppelmandat Chairman und CEO. Sein Präsidentensalär liegt bei 4,3 Millionen, Aufschläge fürs Operative, etwa eine «Funktionszulage», sind nicht offengelegt.

Schindler-Kleinaktionäre sind machtlos

Schon in früheren Jahren musste bei Schindler niemand Hunger leiden, glücklicherweise gilt das auch für Grossmeister Alfred Niklaus selbst. So bezog er etwa 2007 5,7 Millionen, 2010 sogar 7,4 Millionen Franken, Cousin Luc Bonnard jeweils gut die Hälfte dieser Summe – zusätzlich zu den umfangreichen Dividenden, die der Konzern entrichtet. «Die haben sich immer ordentlich bedient», sagt ein Grossanleger. Immerhin spendeten sie auch jährlich einige hunderttausend Franken für wohltätige Zwecke.

Besucherzentrum: So zeigt sich Schindler in Ebikon. Es gibt auch eine «Sky Lounge».
Foto: Keystone

Laut Marc Possa, Manager des wichtigsten Schweizer Nebenwerte-Fonds SaraSelect, sei dem Konzern immer «eine gewisse Demut» wichtig gewesen, «dass man sich bescheiden zeigt, im Gegensatz zur Selbstherrlichkeit einiger Grossbanker». Dass aber die Dichte an Luxusautos, mit denen Verwaltungsräte bei Sitzungen oder Anlässen vorfahren, nicht ganz zu der selbst verordneten Zurückhaltung passt, ist auch Kleinaktionären aufgefallen.

Wohl auch deshalb demonstrieren sie bei Generalversammlungen oft ihr Missfallen. Zwar können sie nichts ausrichten, weil die Erben gut 68 Prozent der Stimmen halten, aber es bleibe nicht unbemerkt, sagt Kaufmann, dass «ein grosser Teil der Minderheit der Aktionäre gegen die Wiederwahl der Familienvertreter stimmt». Die grösste Zustimmung verbucht noch Tobias Staehelin.

Alfred N. Schindler und Silvio Napoli kommen auf fast identische Zustimmungsraten: 51 Prozent der Kleinanleger votierten an der letzten GV jeweils für sie. Diese zwei, das passt: Napoli diente Nik einst als Executive Assistant, und nicht wenige im Konzern sagen, so ähnlich sei das Verhältnis heute noch. Schindler gilt als Liebhaber des Porsche-Sportwagens 911 und Verfechter des Mottos «Grips im Kopf, Benzin im Blut»; auch Napoli soll sich einen 911 zugelegt haben, die Motorisierung jedoch eine Nummer kleiner.

Als Napoli 2017, nach kaum mehr als zwei Jahren als CEO, Schindler auf dem Chairman-Sessel nachrückte, folgte ihm selbst ein gewisser Thomas Oetterli, zuvor Chef des China-Geschäfts; wer in Ebikon nach oben kommen will, muss Asien-Erfahrung gesammelt haben. Den Aufsichtsausschuss, von dem sich Konzernleiter oft etwas drangsaliert fühlten, leitete Napoli nun selbst. Doch laut Insidern wähnte sich der agile Italiener damit nicht ausgelastet, wollte sich weiter operativ entfalten – und so kam es bald zu Scharmützeln mit Oetterli. 2019 soll Nik Schindler den beiden gar eine Art persönliche Mediation verabreicht haben. Es brachte wohl nicht viel.

Die heraufziehenden Krisen sorgten dann für weitere Fliehkräfte in der Führungsetage. Covid und Chipmangel rissen an den Lieferketten, der Materialeinkauf wurde teurer, soll viel Marge gefressen haben, die sich in den Jahren 2020 und 2021 zwar bei elf Prozent hielt. Dennoch erfolgte Anfang 2022 der Abgang von Oetterli – allerdings, wie Insider berichten, nicht aus den kolportierten Gründen: dass er bei der Ostschweizer SFS Group das Präsidium anstrebte oder dass die sogenannte Customization-Strategie bei Schindler gescheitert war. Er selbst sagte später in einem Interview, «ich bin nicht entlassen worden».

Es fehlt an Preisbewusstsein

Der Verdacht, er habe am Schindler-Verwaltungsrat vorbei nach einem externen Chairman-Job gegriffen, war von vornherein absurd. Und die Strategie, Bauherren zahlreiche Wahlmöglichkeiten bei der Bestellung ihrer Lifte zu lassen, etwa bei Grösse oder Ausstattung, hatte zwar tatsächlich die Zulieferer überlastet und die Kosten hochgetrieben; viele Aufträge mit schlechten Margen, die abzuarbeiten waren, standen daher in der Büchern. Allerdings stammte diese Strategie laut einem Konzernkader noch von Napoli. Er soll sie mit McKinsey ausgetüftelt haben; beide unterschätzten demnach die Komplexität. Zudem war das Programm offenbar für kleinere Wohnhausaufträge in Europa konzipiert.

Doch neben den Problemen in Europas Lieferkette (Supply-Chain-Chefin Sabine Simeon verlor ihren Job und werkt heute für TKE), kriselte es bei Schindler vor allem in den USA und Asien – mit ausgelöst wohl durch viel interne Unruhe und die Abgänge der Länderchefs USA und Indien sowie weiterer Country-Manager.

Analysten kritisieren zudem «fehlendes Preisbewusstsein» bei Schindler. Weder habe man angesichts steigender Inflation seine Preise erhöht noch die Einkaufskosten bei den Lieferanten gesteuert – Schindler, so ein Analyst, sei «ein toller Kunde», das habe ihm ein Zulieferer berichtet. Preisvergleiche oder Beauty Contests bei diversen Anbietern kannte man von Schindler nicht. Und die eigene Verkäufertruppe sei vor allem auf Volumen ausgerichtet gewesen statt auf Marge: In der Krise hätten die Vertriebler schlicht die Discounts an der Front erhöht, die Zentrale habe das erst Monate später realisiert.

Wie viel Verantwortung nun bei Thomas Oetterli lag und wie viel bei Silvio Napoli, darüber rätseln auch interne Kader – wie auch über die Frage, ob Oetterlis Abgang erzwungen oder freiwillig geschah. Doch der Bruch muss heftig gewesen sein. Ein Insider sagt, er sei sich «ziemlich sicher, dass sich Oetterli und Schindler nach dem Trennungsbeschluss kein einziges Mal mehr gesehen haben».

Piloten und Chauffeure

Und so kam Silvio Napoli wieder zum Zug. Ein wenig «Kitchen Sinking» mag dabei gewesen sein, dass die Margen pünktlich zum 150-Jährigen schnell wieder auf fast elf Prozent stiegen. Doch Insider sagen, bei Schindler bestehe noch viel Optimierungsbedarf, im Lauf der Jahre habe sich viel Fett angesammelt. Nebenbei könne sich Napoli, den ein Topkader als «fähigen Mikromanager» und «Machtmenschen» charakterisiert, wieder um seine Steckenpferde kümmern: Gern nutze er den Privatjet der Familie Schindler, eine Langstreckenmaschine vom Typ Falcon 7X, lasse sich von einem Chauffeur vom Wohnort Zürich ins Büro kutschieren, und bei Dienstreisen achte er akribisch auf Hotel, Essen und Weinauswahl «und kann auch schon mal ausflippen, wenn ihm was nicht passt». Mitarbeiter witzeln auch gern, dass vor Besuchen des Aufsichtsausschusses in Werken «vorher die Bürowände gestrichen und gelbe Linien nachgezogen werden». Nicht selten ist von «vorauseilendem Gehorsam» und «Angstkultur» die Rede.

Intern hat sich Napoli mehr und mehr mit Gleichgesinnten umgeben: IT-Chef Matteo Attrovio und Technikchef Donato Carparelli gelten als enge Vetraute und sein Stellvertreter und COO Paolo Compagna als gesetzter Nachfolger auf dem CEO-Posten, wenn sich Napoli wieder auf das Präsidium zurückzieht: Compagna präsentierte kürzlich die Jahresergebnisse 2023 gemeinsam mit Napoli und Finanzchefin Carla De Geyseleer. Kein Beobachter erinnert sich, dass bei solchen Anlässen jemals ausser CEO und CFO jemand hätte auftreten dürfen. Ein genervter Topmanager in Ebikon nennt die Napoli-Truppe «Italian Mafia».

Hohes Lob kommt jedoch aus der Finanzgemeinde für «die neue Selbstbescheidung beim Konzern». Erstmals würden Probleme offen kommuniziert, Analysten ernst genommen, seien die Topleute ansprechbar. Das wird zum Teil Napoli zugeschrieben, der die Zeichen der Zeit erkannt und auch operativ die richtigen Schritte eingeleitet habe. Noch grössere Hoffnungen liegen aber auf der neuen Finanzchefin Carla De Geyseleer, die von Volvo kam. Sie gilt als zugänglich und kompetent, und sie soll dem Konzern das Sparen beibringen – Plattformstrategien wie im Autogeschäft statt eines teuren Variantendschungels. Wie ernst es Schindler mit der neuen Gangart sei, werde sich an der Beinfreiheit zeigen, die De Geyseleer von Silvio Napoli und Nik Schindler erhält.

Benchmark Otis

Mit ihr sollen Schindlers Aufzüge wieder himmelwärts fahren – dahin, wo Otis bereits wartet. Bis anhin war der Ehrgeiz in Ebikon gering, die Renditen mit Nachdruck zu polieren. Doch De Geyseleer hat in der Finanzcommunity verlauten lassen, sie erkenne nun wirklich keinen Grund, warum Schindler geringere Margen erzielen solle als Otis.

Der Sprung wäre gewaltig: Otis lag Ende 2023 bei 16 Prozent, Schindler bei knapp 11. Dennoch möglich, dass Alfred Niklaus Schindler den Amerikanern beim Überholen noch aus dem Aufzugsfenster zuwinken möchte – sprich, als amtierender Verwaltungsrat. So könnte er sich für den Rückzug noch etwas Zeit lassen.

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