Virtuelle Fische füttern für Geld
So bindet Temu mit Gamifizierung Schweizer Kunden an sich

Auf der Website des chinesischen Onlineshops Temu kann man Fische füttern. Dafür erhält man dann Guthaben. Experten erklären, wie sich der Onlineshop die Gamifizierung zunutze macht.
Publiziert: 17.03.2024 um 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2024 um 15:02 Uhr
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Milena KälinRedaktorin Wirtschaft

Durchforstet man die Shoppingapp Temu, dauert es nicht lange, bis ein Glücksrad aufploppt, das hohe Gewinne verspricht. Einmal drehen, und zack hat man einen 100-Franken-Gutschein. Hergeben muss man dafür aber seine Handynummer. Sonst ist der Gutschein wieder weg.

Das ist nur eines von vielen Beispielen, die die chinesische Shoppingapp Temu im Bereich Gamifizierung nutzt. User können auch im Fischland Fische füttern oder mit Ackerland einen digitalen Bauernhof betreiben, um regelmässig Guthaben für den Onlineshop zu bekommen. Je öfter man die Fische füttert, desto mehr Belohnung gibt es. Die Spiele funktionieren jeweils nur auf der App. Auch bei Shein – dem chinesischen Fast-Fashion-Riesen – können Käuferinnen und Käufer mit Spielen Treuepunkte sammeln. Hierzulande sind noch nicht alle verfügbar.

Umsatz von 350 Millionen Franken

Unter anderem dank dieser Spiele hat gerade Temu in der Schweiz sehr schnell Fuss gefasst. Hinzu kommen viel Werbung in den sozialen Medien sowie ultrabillige Preise. Der Unternehmensberater Carpathia schätzt, dass Temu 2023 bereits 350 Millionen Umsatz erzielt hat – allein in der Schweiz. Täglich landen ein bis zwei Millionen Temu-Pakete in Europa, schätzen Experten – Tendenz steigend.

In der Temu-App kann man mit verschiedenen Spielen Guthaben für Produkte gewinnen.
Foto: IMAGO
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«Im Grund genommen geht es bei der Gamifizierung darum, das innere Kind der Kundinnen und Kunden anzusprechen», erklärt Roy Bernheim (35). Er ist Mitgründer von Decommerce – die Firma hilft Webshops bei der Gamifizierung. Für Firmen sieht er darin entscheidende Vorteile: Seine Kunden zahlen dadurch niedrigere Kosten für die Konsumentenakquise, haben eine dreimal höhere Kundenbindung sowie eine zweieinhalbfach längere Verweildauer pro Besucher.

Daten aus den USA zeigen, dass Temu-Kunden mehr Zeit auf der App verbringen als auf anderen Shoppingapps. Die Strategie der Gamifizierung ziele klar auf Spontankäufe ab, erklärt Christoph Tripp (49), Professor für Distributions- und Handelslogistik an der Technischen Hochschule Nürnberg (D). «Die Amazon-App öffnet man, wenn man etwas Bestimmtes braucht. Die Temu-App öffnet man, ohne zu wissen, was man gleich kaufen wird», so Tripp. Denn Temu befriedige grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Kommunikation, Neugier und Belohnung.

Kundinnen und Kunden aufgepasst!

Die Gamifizierung kann für Kunden auch Nachteile bringen. «Es kann zu Reizüberflutungen oder unbedachten Kaufentscheidungen durch zeitlich limitierte Angebote kommen», so Tripp weiter.

Trotzdem hat die Masche auch in der Schweiz Erfolg: «Temu und Shein sind keine typischen Shoppingapps und keine reinen Social-Media-Anwendungen, sondern eine Kombination aus beidem», so der Professor.

Auch Bernhard Egger (57), Geschäftsführer beim Handelsverband, hat eine derartige Entwicklung wie die von Temu noch nie gesehen: «Temu konzentriert sich mit viel Detailliebe auf den Schweizer Markt. Es ist für mich eine komplett neue Dimension, dass sich eine asiatische Plattform so für einen Neun-Millionen-Markt interessiert.»

Aber nicht nur die chinesischen Webshops machen sich Gamifizierung zunutze. Auch die Sprachlern-App Duolingo setzt darauf, genau wie Migros und Coop – beispielsweise mit Glücksrädern.

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