Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Es ist genug Geld da – leider!

Rund 60 Milliarden Franken wird der Staat aufwenden, um den Kreislauf des Geldes wieder in Gang zu bringen. Was kostet uns das wirklich?
Publiziert: 26.05.2020 um 18:24 Uhr
|
Aktualisiert: 16.10.2020 um 19:34 Uhr

Bis vor der Corona-Krise war unsere Wirtschaft einigermassen im Gleichgewicht und im Gleichfluss. Was reinkam, floss auch wieder raus. Der Lockdown hat den Kreislauf des Geldes stellenweise gestaut.

Wir alle haben Geld gespart – im Restaurant, beim Reisebüro, Coiffeur, Fitnesscenter etc. Im Schnitt haben wir unsere Haushaltsausgaben um etwa 20 Prozent reduziert – was unser Leben nicht übermässig beeinträchtigt hat.

Doch die Betroffenen, die Coiffeure, Wirte, Putzfrauen etc. haben 100 Prozent ihrer Einnahmen verloren. Sie hätten ihre Geschäfte schliessen und die Angestellten und Lieferanten nicht mehr bezahlen können. Diese hätten ihren Konsum noch viel weiter einschränken müssen.

In der Coronakrise und während des Lockdowns war der Kreislauf des Geldes unterbrochen, ...
Foto: Keystone
1/8

Staat baut Geldstau ab

Es drohte ein Teufelskreis – wenn der Staat diese Nachfragelücke nicht geschlossen, den Stau sozusagen aufgelöst, hätte. Letztlich hat er laufende Einnahmen mit Krediten ersetzt und so den Kreislauf des Geldes wieder geschlossen.

Wenn dieser «Stau-Abbau» gelingt, könnte die Bilanz am Ende des Jahres so aussehen: Wir konsumieren wieder normal und haben auf das ganze Jahr hochgerechnet nur etwa auf 5 Prozent Konsum verzichtet. (Und damit die Umwelt ein wenig geschont.) Der Staat hat zwar 60 Milliarden mehr Schulden, aber die Guthaben der Bürger gegenüber dem Staat sind entsprechend gestiegen.

Per Saldo wird uns diese Rettungsaktion – bis auf ein paar Millionen für die technische Abwicklung – nichts kosten. Wir wären noch einmal davon gekommen – wenn es gelingt. Die Chance, dass es gelingt, ist umso höher, je mehr sich der Staat (bei uns) verschuldet – und damit mehr Geld in Umlauf bringt.

Geld fliesst in Aktien und Immobilien

Doch ist das wirklich bloss ein Nullsummenspiel, bei dem niemand verliert? Leider nein. Zwar wird die zunehmende Geldmenge nicht – wie viele Ökonomen befürchten – zu einer galoppierenden Inflation führen. Der überwiegende Teil der zusätzlichen 60 Milliarden ist in Besitz von Leuten, die eh von allem genug haben. Sie werden das Geld nicht verkonsumieren, sondern überwiegend in noch mehr Aktien, noch mehr Obligationen und in noch teurere Immobilien investieren. Und genau das ist ein gröberes Problem.

Bereits vor der Corona-Krise beliefen sich die weltweiten nominellen Schulden und Guthaben auf 295'000 Milliarden Franken – mehr als das Dreifache des weltweiten BIP. Durch die Krise wird dieses BIP sinken. Die nominellen Guthaben hingegen werden steigen – und sich damit weiter entwerten.

Doch gerade die Wertlosigkeit ihrer Guthaben macht die Herren der Finanzmärkte umso mächtiger. Ihre latente Drohung, Unternehmen und ganze Länder Pleite gehen zu lassen, hat umso mehr Gewicht, je näher wir am Abgrund stehen. Alle wissen: Die Lage ist prekär. Bisher sind diese Drohungen per Saldo immer zulasten der Löhne und der Staatskassen gegangen.

Schuldenkreislauf ohne Ende

Das hat die allgemeine Kaufkraft weiter geschwächt und den Staat gezwungen, die Lücke mit neuen Schulden zu schliessen, was wiederum die Macht der Finanzmärkte gestärkt hat. (In der Schweiz hat sich bisher nicht der Staat, sondern das Ausland verschuldet.) Dieser Teufelskreis dreht sich weiter.

Das heisst nicht, dass wir auf die staatliche Rettungsaktion verzichten sollen. Das könnte das ganze Kartenhaus der Kredite hier und weltweit sehr schnell zum Einsturz bringen. Aber es heisst, dass wir auf Dauer nicht gewinnen können, wenn wir jede durch Corona oder wie auch immer bedingte Nachfrage-Krise immer nur mit stetig steigenden Staatsschulden bekämpfen. Diese sind nämlich bloss die Folge einer viel zu schiefen globalen Einkommensverteilung.

Die Einkommen sind so verteilt, dass sich – vereinfacht formuliert – die ärmere Hälfte ihren zum Leben und zur Stabilisierung der Beschäftigung nötigen Konsum nur leisten kann, wenn sie beim reichsten Prozent anschreiben kann. Das wiederum setzt voraus, dass die Staaten, bzw. die Zentralbanken, die entsprechenden Guthaben der Oberstschicht garantieren. Das weit verbreitete Jammern über die steigenden Staatsschulden ist somit bloss eine Nebelwand, hinter dem man das eigentliche Problem versteckt und verschweigt. Und das heisst: Umverteilung von unten nach oben!

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.