Nobelpreisträger Joseph Stiglitz (74) im WEF-Interview
«Die Eliten haben versagt, links wie rechts»

Zum Auftakt des WEF erklärt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz (74) die grossen Themen, die die Welt beschäftigen: Was läuft schief – und wie kann es doch gut kommen?
Publiziert: 22.01.2018 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:15 Uhr
Interview: Konrad Staehelin und Christian Kolbe

Donald Trump

BLICK: Herr Stiglitz, wie geht es der Welt?
Joseph Stiglitz: Nicht gut. Wir haben in den USA seit einem Jahr einen Präsidenten, mit dem unsere Politik komplett degeneriert ist. Zudem nimmt die Ungleichheit massiv zu. Und wir stehen vor einem Klimakollaps, wenn wir nicht sofort handeln.

Der Reihe nach: Präsident Donald Trump dominiert alles, auch das WEF. Sie scheinen ihn nicht zu mögen.
Das ist richtig. Unter ihm streiten wir über die lächerliche Frage, ob der Präsident afrikanische Länder als «Shithole» (dt. Drecksloch) beschimpft hat. Er will nicht, dass wir über die wichtigen Themen sprechen, sondern davon ablenken. Denn die grosse Mehrheit ist gegen das, was Trump wirklich will.

Sein Wort hat Gewicht

Joseph Stiglitz (74) ist einer der bedeutendsten Ökonomen der Gegenwart. Der Amerikaner forscht vor allem zur Ungleichheit in der Gesellschaft und zur Globalisierung. Aktuell ist er Professor an der Elite-Universität Columbia in New York. 2001 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis. Er war zwischen 1997 und 2000 Chefökonom der Weltbank und Berater des damaligen Präsidenten Bill Clinton (71).

Joseph Stiglitz (74) ist einer der bedeutendsten Ökonomen der Gegenwart. Der Amerikaner forscht vor allem zur Ungleichheit in der Gesellschaft und zur Globalisierung. Aktuell ist er Professor an der Elite-Universität Columbia in New York. 2001 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis. Er war zwischen 1997 und 2000 Chefökonom der Weltbank und Berater des damaligen Präsidenten Bill Clinton (71).

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Konkret?Er will die sogenannten Dreamers (dt. Träumer) ausschaffen. Jene Hunderttausende, die als Baby illegal in die USA gekommen sind. Das will die Bevölkerung nicht. Und die Steuerreform wurde Ende 2017 innerhalb von zwei Wochen durchgedrückt, ohne dass eine echte Diskussion dazu stattgefunden hätte. Der Grossteil des Mittelstandes wird nicht weniger, sondern mehr Steuern bezahlen müssen.

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz am vergangenen Donnerstag an der Uni Zürich.
Foto: Anja Wurm
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Warum wählten die Amerikaner Trump?
Sehr vielen von ihnen geht es immer schlechter. Sie sind wütend. Der durchschnittliche Reallohn eines männlichen Vollzeitangestellten ist gleich hoch wie vor 42 Jahren. Dabei muss er noch glücklich sein, weil er überhaupt einen Vollzeitjob hat. Gleichzeitig heisst es überall, die Wirtschaft boomt. Diese Menschen schalten den Fernseher ein und sehen Wohlstand. Wenn sie aus dem Fenster schauen, sehen sie Tristesse. Unsere Gesellschaft funktioniert nicht mehr.

Und die Antworten darauf gibt ihnen ein Milliardär?
Solche Gruppen finden oft ihre Anführer, die Ausländer und der Globalisierung die Schuld für die Situation geben. Obwohl es haufenweise andere Möglichkeiten gäbe, die Lage der Leute zu verbessern.

Stiglitz (M.) mit den BLICK-Wirtschaftsredaktoren Christian Kolbe (l.) und Konrad Staehelin.
Foto: Anja Wurm

Globalisierung

Den Leuten in den Bergbau-Gegenden oder im Mittleren Westen der USA ging es schon vor Trump schlecht.  Warum ist er plötzlich der Schuldige?
Sowohl in den USA als auch in Europa haben die Eliten links wie rechts der Mitte versagt. Sie haben versprochen, dass alle Bürger von der Liberalisierung der Finanzmärkte und der Globalisierung profitieren würden. Die Folge sind nicht nur starke Rechtspopulisten, sondern auch soziale Krisen: Die Lebenserwartung in den USA ist in den letzten zwei Jahren gesunken – vor allem unter Männern ohne Hochschulausbildung. 

Die WEF- Highlights

Heute, 22.01

18.00 Uhr: Gründer Klaus Schwab eröffnet das Forum. -Danach erhalten Sänger Elton John und die Schauspieler Cate Blanchett und Shah Rukh Khan den Crystal Award für ihre Beiträge zu einer besseren Welt.

Dienstag, 23.01

11.00 Uhr: Bundespräsident Alain Berset hält seine Ansprache. Dann tritt der indische Premier-minister Narendra Modi auf. 17.30 Uhr: Kanadas Premier -Justin Trudeau im Gespräch mit WEF-ChefBørge Brende.

Mittwoch, 24.01

10.25 Uhr: Brasiliens Präsident -Michel Temer. 14.00 Uhr: Paolo Gentiloni, Italiens Premier. 14.30 Uhr: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. 17.30 Uhr: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Donnerstag, 25.01

11.00 Uhr: EU-Kommissions-präsident Jean-Claude Juncker.

11.20 Uhr: Argentiniens Präsident Mauricio Macri. 14.00 Uhr: -Grossbritanniens PremierministerinTheresa May.

Freitag, 26.01

14.00 Uhr: US-Präsident Donald Trump.

Heute, 22.01

18.00 Uhr: Gründer Klaus Schwab eröffnet das Forum. -Danach erhalten Sänger Elton John und die Schauspieler Cate Blanchett und Shah Rukh Khan den Crystal Award für ihre Beiträge zu einer besseren Welt.

Dienstag, 23.01

11.00 Uhr: Bundespräsident Alain Berset hält seine Ansprache. Dann tritt der indische Premier-minister Narendra Modi auf. 17.30 Uhr: Kanadas Premier -Justin Trudeau im Gespräch mit WEF-ChefBørge Brende.

Mittwoch, 24.01

10.25 Uhr: Brasiliens Präsident -Michel Temer. 14.00 Uhr: Paolo Gentiloni, Italiens Premier. 14.30 Uhr: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. 17.30 Uhr: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Donnerstag, 25.01

11.00 Uhr: EU-Kommissions-präsident Jean-Claude Juncker.

11.20 Uhr: Argentiniens Präsident Mauricio Macri. 14.00 Uhr: -Grossbritanniens PremierministerinTheresa May.

Freitag, 26.01

14.00 Uhr: US-Präsident Donald Trump.

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Sie sprechen die Schmerzmittel-Epidemie an.
Nicht nur. Es gibt viel mehr Suizide, immer mehr Alkoholiker. Viele Leute haben jede Hoffnung verloren. Das ist ein Teufelskreis. Ich habe mit Firmen gesprochen, die sich nicht in betroffenen Gebieten ansiedeln wollen, weil sie keine Arbeiter mit Drogen- oder Alkoholsucht wollen.

Oft schwappen Trends aus den USA erst nach ein paar Jahren nach Europa. Müssen wir Angst haben?
Nein, nicht unmittelbar. Europa hat bessere Sozialwerke. Aber auch hier gibt es eine Attacke auf das System. Die Ursprünge sind dieselben.

Was ist die Lösung?
Auf jeden Fall nicht Trump und die anderen Rechtspopulisten. Die Skandinavier machen es richtig: Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten. Darum sorgen sie dafür, dass die Veränderungen den Arbeitern  nicht schaden. Das erreicht man mit Massnahmen im Arbeitsmarkt. Man muss  die Leute für die neuen Jobs umschulen. Aber für jene, die keinen neuen Job finden, brauchen wir auch ein soziales Auffangnetz.

Digitalisierung

Wie sollen wir mit der Digitalisierung umgehen?
Lehrer und Altenpfleger werden wir immer brauchen. Und überhaupt: Die Innovation wird die meisten von uns produktiver machen, nicht ersetzen. Die neuen Technologien machen den Kuchen grösser. Wenn er fair verteilt wird, werden die Leute mehr kaufen. Diese Nachfrage wird Vollbeschäftigung garantieren.

Und wenn der Kuchen nicht fair verteilt wird?
Dann zerstören wir unsere eigene Wirtschaft. Eine wahre Anekdote: Ein Gewerkschafter und ein Manager des Autobauers General Motors besichtigten eine Fabrik, in der Roboter viele Arbeiter  ersetzt haben. Der Manager freut sich: «Diese Roboter werden Sie nie als Mitglieder für Ihre Gewerkschaft gewinnen.» Der Gewerkschafter: «Und Sie werden Ihre Autos nie kaufen.» Ich will damit sagen, dass alle Schichten genug verdienen müssen, um den Motor am Laufen zu halten.

Trotzdem: Es ist möglich, dass es die Arbeit von einigen Menschen bald nicht mehr braucht. Was tun wir, damit sie trotzdem Geld für ein gutes Leben haben?
Einige Leute glauben, dass die Lösung ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre. Die Schweiz hatte ja eine Volksabstimmung dazu. Ich finde das keinen guten Ansatz: Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens. Viele der Jungen sagen zwar, sie können auch ohne Arbeit ein sinnvolles Leben führen. Ich glaube ihnen nicht.

Bitcoin

Der Kanton Zug will sich weltweit als Mekka für Kryptowährungen für Bitcoin positionieren. Ist das schlau?
Nein. Der Dollar und der Franken sind gute Währungen. Sie erfüllen ihre Funktionen als Tauschmedium und als Wertanlage. Es gibt nur eine Motivation für Kryptowährungen: Geheimhaltung. Die Welt versucht seit Jahrzehnten, Bankgeschäfte transparenter zu machen. Die Schweiz stand dabei oft in der Kritik.

Also ist Bitcoin ein Reputationsrisiko für die Schweiz?
Ja, ganz sicher. Viele wollen Bitcoin verbieten, nur die Schweiz macht das Gegenteil. Wir reden hier über Steuerhinterziehung, Terrorismus, Geldwäsche. Dinge, womit man nicht in Verbindung stehen will. Zudem ist es kein nachhaltiges Geschäftsmodell: Sobald Kryptowährungen gewichtig genug sind, machen die grossen Länder den Laden dicht.

Also ist es ein Fehler der Schweizer Regierung, die Blockchain-Technologie zu fördern, auf denen Kryptowährungen basieren?
Blockchain ist nicht das Gleiche wie Bitcoin . Bei der Blockchain geht es um Sicherheit. Es ist gut, ein Technologiezentrum zu sein. Ein Geheimhaltungszentrum zu sein, ist dagegen nicht gut.

Teil der Crème de la Crème: Joseph Stiglitz im Gespräch mit der amerikanischen Zentralbank-Präsidentin Janet Yellen.
Foto: Bloomberg

Klima 

Das Wetter spielt verrückt. Wie retten wir das Klima?
Die Welt muss Anreize schaffen, damit private und institutionelle Anleger ihr Geld klimafreundlich investieren. Eine CO2-Steuer ist absolut notwendig, um unseren Planeten zu retten. Sie alleine reicht aber nicht. Zum Beispiel wäre es sinnvoll, mittels eines Loyalitätsbonus treuen Anlegern mehr Gewicht bei Generalversammlungen zu geben. Wenn sich eine Firma an deren langfristigen Interessen ausrichtet, arbeitet sie automatisch nachhaltiger.

Was kann Otto Normalverbraucher tun?
Bewusstsein für das Thema ist wichtig. Ich sehe, wie viele junge Menschen ganz anders über Nachhaltigkeit denken als ältere . Sie entscheiden sich für Arbeitgeber, die ihre Verantwortung wahrnehmen. Und immer mehr ernähren sich vegetarisch – das ist wunderbar.

Sie auch?
Nein. Und ich fühle mich darum jeden Tag schuldig.

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