Schweizer US-Botschafter Martin Dahinden muss die Amis überzeugen, dass wir mehr sind als Heidi und Schoggi
«Wir sind viel wichtiger als Deutschland»

Unser Botschafter in den USA, Martin Dahinden, erklärt, wie sich seine Arbeit seit der Amtseinsetzung Donald Trumps verändert hat, dass der US-Präsident bilaterale Freihandelsabkommen unterstütze und wie zentral der Schweizer Marktzugang zur EU für amerikanische Investoren ist.
Publiziert: 20.01.2018 um 12:56 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:20 Uhr
Martin Dahinden, der Schweizer Botschafter in Washington, muss genauer hinschauen, was tatsächlich vor sich geht, seit Donald Trump US-Präsident ist.
Foto: Peter Gerber
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Pascal Tischhauser und Cinzia Venafro

Er habe eigentlich noch Ferien. Seit Weihnachten weilt unser Mann in Washington, Martin Dahinden (63), in der Schweiz. Er nutzt die Zeit, um seine Mutter im Altersheim zu besuchen, Freunde zu treffen – und natürlich fürs WEF. Wenige Tage bevor US-Präsident Donald Trump (71) in die Air Force One Richtung Europa steigt, trifft BLICK Botschafter Dahinden zum Interview. Mit Rollkoffer, roter Krawatte und sympathisch abgelatschten Schuhen besucht der Spitzendiplomat die BLICK-Bundeshausredaktion. «Oh, Sie haben hier ja einen wahren Kunstschatz», bestaunt Dahinden die Werke an den Wänden. Er selbst wäre gerne Künstler geworden, wollte an die Kunsthochschule, «aber mein Vater, ein Schreiner, sagte, ich müsse etwas Gescheites lernen.» Die Ölmalerei habe er sich später dann doch noch beigebracht, «und wer weiss, vielleicht wird sie nach der Pension zu meiner Passion», so Dahinden. «Aber bis dahin habe ich noch zu tun.»

BLICK: Am 20. Januar jährte sich Trumps Amtseinsetzung. Herr Dahinden , Sie waren damals in Washington dabei. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Martin Dahinden : Das war bei schlechtem Wetter auf der Treppe vor dem Capitol. Wir sassen hinten in einer Reihe, schön geordnet nach dem Datum, seit dem man in den USA als Botschafter tätig ist. Ich beobachtete das Geschehen.

Damals schaute die Welt nach Washington. Dank Trump blickt sie jetzt nach Davos. Wie gut schlafen Sie, seit bekannt ist, dass Trump ans WEF kommt?
Ich schlafe sehr gut. Unabhängig davon, ob Herr Trump kommt oder nicht.

In der Schweiz war die Überraschung über Trumps WEF-Besuch gross. Sie wussten es sicher schon, bevor die «New York Times» das publik machte.
Ja, das ist schon so. ( lächelt ) Aber nur wenige Tage vorher. Ich war froh, dass die Nachricht in den USA rauskam, und nicht in der Schweiz.

Foto: Peter Gerber

In Bern wurde mit «Kill Trump»-Plakaten demonstriert. Müssen Sie den Amerikanern so etwas erklären?
Die Schweiz wie auch die USA sind Länder, in denen die Meinungsfreiheit hochgehalten wird. Ich kenne meine amerikanischen Kollegen in Bern gut genug. Sie verfolgen das, berichten darüber und sind in der Lage, es einzuordnen.

Sie sind seit 2014 Botschafter in Washington. Was hat sich in Ihrem Alltag verändert, seit Donald Trump Präsident ist?
In der früheren Administration konnte man sich darauf verlassen, was in der Öffentlichkeit berichtet wurde. Das hat sich verändert. Jetzt gibts einen Tweet – und darüber wird berichtet. Aber das lässt keinen sicheren Rückschluss darauf zu, was effektiv läuft. Wir müssen deshalb noch genauer hinschauen, was tatsächlich vor sich geht. Sozusagen das Kleingedruckte ganz genau studieren , um korrekt nach Bern zu berichten.

In der Zusammenarbeit mit Amerika hat sich nichts verändert?
Wir haben mit den USA seit vielen Jahren gute Beziehungen. Beziehungen zwischen Staaten überdauern Regierungen. Und zwischendurch gibt es Ups und Downs.

Als Sie Ihr Amt antraten, eskalierte der Steuerstreit mit den USA gerade.
Solche Dinge erschüttern das Fundament nicht. Ausserhalb Europas sind die USA das Land, mit dem wir die engsten Beziehungen haben. Rund eine Million Amerikaner haben zudem Schweizer Wurzeln.

Das ist den Amerikanern bewusst?
Oh ja. Es ist sehr angenehm, Schweizer Botschafter in den USA zu sein. Man ist stets willkommen. Aber es besteht ein veraltetes Bild der Schweiz, man denkt an Heidi, Schoggi , Uhren und Berge. Darum ist es eine unserer Hauptaufgaben, den Amerikanern die Schweiz von heute näherzu bringen. Ein Land der Spitzenforschung und Innovation.

Foto: Peter Gerber

Viele wissen wohl nicht, dass die Schweiz ein grosser Investor in den USA ist.
Wir sind sogar bedeutender als Deutschland! Wir sind der sechstgrösste Investor in der weltweit grössten Volkswirtschaft, den USA. Präsident Trump ist sich unserer Bedeutung aber sehr wohl bewusst. Er weiss, dass wir einen grossen Finanzsektor haben und führend sind im Pharma- und Technologiebereich.

Versteht Trump die wirtschaftliche Schweiz besser als Obama?
Das ist schwierig zu sagen. Von meiner Begegnung mit Barack Obama im Oval Office 2014, als ich ihm mein Beglaubigungsschreiben überreichte, sind mir vor allem zwei Dinge in Erinnerung geblieben: Er kannte die Namen aller meiner Familienmitglieder und er interessierte sich besonders für Themen der Entwicklungszusammenarbeit. Er wusste, dass ich vorher bei der Deza war.

Wie eng ist denn Ihr Austausch mit Herrn Trump?
Ihn habe ich bisher zweimal nur sehr kurz getroffen.

Vor wenigen Monaten hielt die Welt den Atem an, als Kim Jong Un Raketentests durchführte und Trump über den Atomknopf twitterte. Was geht da in Ihnen vor?
Sehen Sie: Genau in solch wichtigen Fragen verlassen wir uns für unsere Beurteilungen eben nicht allein auf Twitter, sondern wir sammeln umfassende Informationen.

Wenn Trump twittert, lenkt er also von etwas anderem ab?
Das sage ich nicht. Aber man kann die Welt nicht auf 140 Zeichen reduzieren. Man kann mit Tweets aber Themen setzen, wie es Herrn Trump im Wahlkampf gelungen ist.

Die Schweiz möchte mit den USA ein Freihandelsabkommen. Präsident Trump ist aber nun wirklich kein Freund davon.
Das stimmt so nicht. Herr Trump hat eine Abneigung gegen multilaterale Freihandelsabkommen wie das transpazifische Abkommen, das gekündigt wurde. Er ist aber nicht gegen bilaterale Freihandelsabkommen. Denn in diesen sieht man in den Augen der Amerikaner klarer , in welchen Punkten man zu den Gewinnern und wo zu den Verlierern gehört.

Edward McMullen , der US-Botschafter in Bern, will Schweizer Firmen Investitionsmöglichkeiten in den USA zeigen. Machen auch Sie für US-Firmen Touren durch die Schweiz?
Schon, aber US-Unternehmen kennen unsere Wirtschaft recht gut. Interessiert sind sie eher an politischen Kontakten. Zweimal haben wir mögliche Investoren zu einem Programm in die Schweiz eingeladen, bei denen es zu Treffen mit Bundesräten kam. Dabei stellen sie immer die gleichen drei Fragen: Nach unserem Verhältnis zur EU, sie wollen wissen, ob sie mit einem Sitz in der Schweiz auch Marktzugang zur Europäischen Union haben. Ob sie kurzfristig ausländische Spezialisten in die Schweiz holen könnten. Und wie unsere Steuervorlage 2017 vorankommt .

Auch in diesem Gespräch merken wir, dass Sie diplomatisch zurückhaltend sind. Lernt man das in der Ausbildung oder muss man einfach der Typ dazu sein?
Wer den Diplomatenjob beherrscht, weiss stets, ob er sich in einem formellen Rahmen oder in einem informellen befindet. Bei formellen Treffen, die vielleicht noch protokolliert werden, habe ich die offiziellen Standpunkte der Schweiz darzulegen. Bei informellen kann ich vielleicht noch Erklärungen dazu liefern. Ich würde unsere Partner verwirren, würde ich im State Department private Einschätzungen abgeben. Bei einem Essen ist das etwas anderes.

Apropos Essen: Sie machen sich ja besonders Gedanken darüber, was Sie Gästen in der Botschaft vorsetzen.
Das Essen hat in der Diplomatie zwei verschiedene Funktionen: Es kann erstens den angesprochenen informelleren Rahmen schaffen und zweitens kann es selber eine Form der Kommunikation sein. Was ich auf dem Teller präsentiere, sagt etwas aus. Das ist in jedem Land so. Ich hab mir darum überlegt, was der Beitrag der Schweiz zur kulinarischen Weltgeschichte war.

Schoggi , Rösti und Käse?
Jein, es sind eben nicht nur die Speisen. Sondern es waren grosse Gastronomen, vor allem Köche, die die Kulinarik geprägt haben. Hotelier César Ritz beispielsweise, Napoleons Koch Dunand , Maestro Martino, der für zwei grosse Päpste gekocht und die Renaissance-Küche in Italien etabliert hat.

Sie präsentieren den Gästen Menüs grosser Köche?
Nicht nur. Ich zeige auf, dass sie in gewissem Sinne typisch schweizerisch waren: Präzisionisten und gute Organisatoren. Ich versuche, Speisen auf den Tisch zu bringen, zu denen ich etwas erzählen kann. Beispielsweise über Küchenmeister Vatel , der ein bedeutendes Essen für Ludwig XIV. organisiert und dabei den Tod gefunden hat. Er ist mit seinem Wirken in die französische Literaturgeschichte eingegangen. Dank solchen Schweizern kann man mit dem Essen wie bei Vorträgen Botschaften vermitteln.

Und wenn Dahindens in Washington mal ausgehen: Wohin geht es da?
Ich habe nicht so viel Zeit, aber weil ich sehr viele offizielle Essen habe, schätze ich die ganz einfachen Gerichte. Ich gehe darum gerne in eine kleine Brasserie. In Washington ist die Vielfalt an ethnischen Küchen ja sehr gross.

Haben Sie einen Favoriten – vielleicht aus ihrer Diplomatenzeit?
Ja, tatsächlich, ich finde die afghanische Küche noch immer besonders spannend. Ich mag die Küche des Nahen Ostens sowieso.

Sie waren in vielen Ländern. Ist das nicht schwierig für die Familie, immer wieder versetzt zu werden?
Ich war vor Washington ja 14 Jahre lang in der Schweiz. Das ging für unsere Familie also sehr gut. Für andere kann die Diplomatenkarriere aber dazu führen, dass sich die Familie für einige Jahren trennen muss, weil es vor Ort nicht die richtigen Schulen gibt oder weil der Partner seine Stelle nicht aufgeben möchte.

«Man kann sich im diplomatischen Dienst zwar bewerben, weiss aber nicht, ob es mit dem Wunschziel klappt. Ich war zu Beginn meiner Tätigkeit in Lagos. Ich war vorher noch nie in Afrika, musste aber per 1. Mai dorthin. Und dann haben meine Frau und ich eben gepackt.»
Foto: Peter Gerber

War es für Sie nie schwierig?
Ja und nein. Man kann sich im diplomatischen Dienst zwar bewerben, weiss aber nicht, ob es mit dem Wunschziel klappt. Ich war zu Beginn meiner Tätigkeit in Lagos, was damals noch die Hauptstadt Nigerias war. Dafür hatte ich mich nie auf die Liste setzen lassen. Ich war vorher noch nie in Afrika, musste aber per 1. Mai dorthin. Und dann haben meine Frau und ich eben gepackt.

Sie meinten «ja und nein», was wäre die andere Seite?
Ich war vor 20 Jahren an einer Klassenzusammenkunft. Da haben mir meine früheren Klassenkameraden gesagt, das sei doch furchtbar. Heute sei ich hier und ich wüsste nicht, ob ich in zwei Jahren in Argentinien, in Vietnam oder in Brüssel sei. Ich aber finde es noch erschreckender, wenn man weiss, in welcher Stadt man die nächsten 30 Jahre verbringt.

Als Diplomat finden Sie in den Botschaften immer wieder die gewohnte Infrastruktur vor. Ausserhalb der Vertretung ist man aber plötzlich in einer anderen Welt. Ist das nicht schwierig?
Doch, das ist so. Mitten in Afrika, in Lagos, hatten wir dieselben Möbel und die gleiche Büroeinrichtung und Arbeitskollegen, die Deutsch sprechen. Aber die Dinge des täglichen Bedarfs musste man im Ausland besorgen. Meine Frau und Leute von Botschaften anderer Länder haben sich dann organisiert. Sie sind einmal die Woche über die Grenze nach Togo gefahren, um das Auto mit Reis und Speiseöl vollzuladen, an denen es in Nigeria mangelte. Und meine Frau hat mitbekommen, wann es was zu kaufen gab und wie man dorthin kommt, bevor die Ware vergriffen ist. Da müssen Sie lernen, wie man aus Rahm Butter macht.

Das können Sie?
Nein, aber meine Frau.

Von der Deza zum USA-Botschafter

Martin Dahinden (63) ist seit Oktober 2014 Schweizer Botschafter in Washington. Zuvor war er Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Der zweifache Familienvater und Betriebswirt ist 1987 in den diplomatischen Dienst eingestiegen. Er war Mitglied der Delegation beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt, Direktor des Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf und auf der Schweizer Botschaft in Frankreich und Nigeria sowie bei der Uno-Mission der Schweiz in New York und als stellvertretender Leiter der Mission bei der Nato in Brüssel tätig.

Martin Dahinden (63) ist seit Oktober 2014 Schweizer Botschafter in Washington. Zuvor war er Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Der zweifache Familienvater und Betriebswirt ist 1987 in den diplomatischen Dienst eingestiegen. Er war Mitglied der Delegation beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt, Direktor des Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf und auf der Schweizer Botschaft in Frankreich und Nigeria sowie bei der Uno-Mission der Schweiz in New York und als stellvertretender Leiter der Mission bei der Nato in Brüssel tätig.

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