Werner Vontobel ordnet ein
Warum Ökonom Keynes nicht mit einem Fachkräftemangel rechnete

Keynes – einer der berühmtesten Ökonomen – hat sich in einigen Annahmen geirrt und darum nie mit einem potenziellen Fachkräftemangel gerechnet, schreibt Wirtschaftsexperte Werner Vontobel.
Publiziert: 10.02.2024 um 10:41 Uhr
Werner Vontobel

1930 hat John Maynard Keynes (1883–1946), der damals berühmteste Ökonom, prophezeit, dass seine Enkel pro Woche nur noch 15 Stunden arbeiten müssen. Seither beklagen sich seine Urenkel darüber, dass ihre Kinder nur noch 30 Stunden arbeiten wollen, wo wir doch dringend mehr Arbeitskräfte brauchen. Worin genau hat sich Keynes geirrt?

An der Produktivität kann es nicht liegen. Die ist seit damals in der Schweiz um den Faktor 5, in Grossbritannien und den Faktor 8 und in Deutschland gar um das 11-fache gestiegen. Auch die längere Lebenserwartung ist kein Argument, denn bei einer 15-Stundenwoche brauchen nicht einmal Bauarbeiter ein frühes Pensionierungsalter. Doch Keynes konnte nicht ahnen, wie sehr seine Enkel damit beschäftigt sind, die zunehmende Komplexität einer globalen Marktwirtschaft zu bewältigen.

Das Hausschwein holt auf

Nehmen wir unser Grundbedürfnis, die Nahrung. Nestlé wendet nur gut 50 Prozent seines Umsatzes für die eigentliche Herstellung von Nahrungsmitteln auf. Der Rest ist Werbung, Vertrieb, Transport und Profitmarge. Bis die Produkte dann auf dem Tisch sind, kommen noch einmal mindestens 20 Prozent Detailhandelsmarge und 10 Prozent Foodwaste dazu. Das ist zwar immer noch effizienter als ein Hausschwein und ein Schrebergarten, aber die Differenz schrumpft.

John Maynard Keynes war in den 30er-Jahren der berühmteste Ökonom.
Foto: Bettmann Archive
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Dann ist da noch etwas anderes: Mit ihren hoch verarbeiteten Lebensmitteln sorgen Nestlé und Co. dafür, dass unser Sättigungsgefühl unterbunden wird, und wir pro Kopf und Tag rund 500 Kalorien zu viel essen – und bezahlen. Mit der Abnehmspritze Ozempic gibt uns Big Pharma die Sättigung wieder zurück. In Deutschland für 300 Euro pro Kopf und Monat. Das ist rund doppelt so viel, wie Deutschlands Unterschicht für Lebensmittel ausgeben kann. Dazu kommen viele teure Nebenwirkungen. Das Grunzen des Hausschweins klingt nun schon sehr verführerisch.

Die Arbeit ist mobil geworden

Nehmen wir ein weiteres Grundbedürfnis: Mit dem Bau von Wohnungen wird heute in der Schweiz weniger Geld verdient, als mit dem Kauf- und Verkauf von Immobilien und allen damit zusammenhängen Dienstleistungen. Auch dafür müssen die Mieter arbeiten. Ferner hat Keynes wohl auch nicht bedacht, dass wir heute etwa 10 Prozent unserer Arbeitskraft dafür verwenden, die ständig steigende Masse von Vermögen beziehungsweise Guthaben und Schulden zu verwalten oder damit zu spekulieren. Die heutige Jugend will Day-Trader oder Finanz-Influencer werden.

Zu Keynes' Zeiten war der Arbeitsmarkt vorwiegend lokal. Arbeit war dort, wo die Menschen und ihre Bedürfnisse waren. Heute ziehen die Arbeitskräfte dahin, wohin die Multis ihre Jobs verlagern. Die Arbeit und damit die ganze Gesellschaft sind mobil geworden. Mit der Folge, dass die Kinder nicht mehr von den Nachbarn und Grosseltern gehütet, die Pizza nicht mehr selber gebacken, sondern vom Kurierdienst geliefert wird und wir uns nicht mehr im lokalen Turnverein, sondern im kommerziellen Studio fit halten. Und daran hängt noch ein ganzer Rattenschwanz von Bewerbung, Werbung, Personalvermittlung, Arbeitsmarktbürokratie, Arbeitswegen, Staus und so weiter.

Was Keynes noch unterschätzt hat

Die Globalisierung der Märkte bewirkt auch, dass immer mehr Länder am eigenen Bedarf vorbeiarbeiten. Die Schweiz etwa erzielt zwar chronisch hohe Exportüberschüsse und arbeitet somit per saldo zu viel, leidet aber unter Fachkräftemangel, vor allem in der Exportindustrie. Deren Personalabteilungen rekrutieren gerne global und ihre starke Lobby sorgt dafür, dass der freie Personenverkehr als «Grundfreiheit der EU» unangetastet bleibt.

Doch auch hier ist mit langen Rattenschwänzen zu rechnen: Die Expats und deren Angehörige müssen erst einmal installiert werden. Allein in der Wohnung und deren Baukosten von gut 500'000 Franken stecken etwa 6 Mannjahre Arbeit. Dazu kommt der laufende Lebensunterhalt. Über den Daumen gepeilt beansprucht eine Arbeitskraft aus der Oberklasse deren zwei aus der Unterklasse – Nannys, Kitamitarbeiter, Kuriere, Gastronomiepersonal und so weiter. Und da auch dieses Personal überwiegend importiert wird und öfter mal in die Heimat zurückreist und lange Arbeitswege hat, kommt noch sehr viel Transportaufwand dazu. Auch das hat Keynes wohl unterschätzt.

PS: Die Rückkehr des Hausschweins wäre auch der Anfang vom Ende
der Massentierhaltung.

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