Widersprüche beim Personalmangel in Restaurants und Hotels
Hat die Gastro-Branche nur Käse erzählt?

Auf der Sonnenterrasse gilt Selbstbedienung, die Speisekarte wurde verkleinert: In den Berggebieten schlägt der Fachkräftemangel in der Gastronomie diesen Winter wieder voll zu. Das, obwohl die Statistik eigentlich in eine andere Richtung weist.
Publiziert: 29.11.2022 um 19:36 Uhr
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Franz Sepp Caluori (62) ist gerade auf dem Weg nach Schaffhausen. Der Präsident von Gastrograubünden trifft sich dort mit den anderen Regionalverbänden. Auf der Agenda: der Fachkräftemangel.

Caluori betreibt ein Café in Chur GR. Momentan hat er alle Stellen besetzt. «Aber besonders bei den grossen Betrieben in den Skiregionen gibt es noch Lücken», sagt der Gastronom. Es wird kommen wie letztes Jahr: Restaurants müssen wegen der Personalnot die Speisekarte zusammenstreichen oder die Öffnungszeiten einschränken. Aus dem Wallis heisst es gar, dass einige Hotels weniger Zimmer anbieten werden – und das zur einträglichsten Zeit des Jahres.

Gemäss einer Berechnung von Hotelleriesuisse hat der Fachkräftemangel die Branche im letzten Jahr 650 Millionen Franken an Umsatz gekostet, etwa weil Restaurantterrassen nicht bedient werden konnten.

Gastronomie und Hotellerie klagen über akuten Personalmangel. Blick in eine Hotelküche in Interlaken BE.
Foto: Philippe Rossier
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Hohe Arbeitslosigkeit im Gastgewerbe

Ob der lauten Klagerufe über die Personalnot überrascht es, dass die Beizen im neuen Fachkräftemangel-Index des Personalvermittlers Adecco nur auf einem hinteren Platz zu finden sind. Die Studie stellt einen «nie dagewesenen Fachkräftemangel» in der Schweiz fest – und sieht dabei vor allem Gesundheitsberufe, IT und das Ingenieurwesen im Fokus.

Servicekräfte, Köchinnen und Rezeptionisten werden in der Kategorie «personenbezogene Dienstleistungen» geführt und stehen gerade einmal auf Rang 27 des Indexes. Prädikat: deutliches Fachkräfteüberangebot! Einen ähnlichen Widerspruch fördert auch die offizielle Arbeitslosenstatistik zutage: Die Arbeitslosigkeit liegt schweizweit bei rekordtiefen 1,9 Prozent. Aufgeschlüsselt nach Branchen zeigt sich aber: Im Gastgewerbe liegt sie mit 4,3 Prozent deutlich höher.

Es fehlt die Ausbildung

Haben die Gastro-Verbände auf Vorrat Alarm geschlagen, wie es ihnen auch in der Pandemie immer wieder vorgeworfen wurde? Die Verbände halten dagegen. «Ein arbeitsloser Koch schnippt einmal mit dem Finger und hat einen neuen Job», sagt etwa Marc Tischhauser (44), Geschäftsführer von Gastrograubünden. Dass es gemäss Statistik dennoch arbeitslose Köche gibt, liege daran, dass einige die Branche wechseln wollen. In der Statistik wird ihre letzte Arbeitsstelle erfasst, dies erscheint dann in der Arbeitslosenquote im Gastgewerbe – und verfälscht diese Zahl, da diese wechselwilligen Arbeitnehmenden an keiner neuen Stelle in der Branche interessiert sind.

Kommt hinzu, dass viele Arbeitslose im Gastgewerbe nicht über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen. Auch beim Personalvermittler Adecco, Urheber des jährlichen Indexes, heisst es, dass die Qualifikation des Personals ausschlaggebend sei. «Es fehlt besonders an Fachkräften, wie beispielsweise gelernten Köchen oder ausgebildetem Servicepersonal. Wenig oder tief qualifiziertes Personal gibt es hingegen genug», sagt Adecco-Sprecherin Jessica Jocham.

Diesen Eindruck bestätigt auch der Präsident von Gastrograubünden Caluori: «Bei einfachen Arbeitskräften können wir eine Schnellbleiche durchführen.» Einen ausgebildeten Koch für ein Edelrestaurant in St. Moritz GR aus dem Hut zu zaubern, fällt hingegen schwerer.

Dank Inflation kommen wieder Gastarbeiter

Die Hoffnungen der Gastronomen für die Wintersaison ruhen nun auf den Saisonniers. Während der vergangenen Corona-Jahre blieben viele von ihnen weg. Jetzt, wo die Inflation im Euroraum immer neue Rekorde erreicht, wird die Schweiz wieder attraktiver. Davon profitieren besonders Grenzregionen, etwa das Engadin, das viele Arbeitnehmende aus Italien anlockt. Auch Deutsche oder Portugiesen werden wieder vermehrt in den Schweizer Bergbeizen arbeiten, um den Lohn in stabilen Schweizer Franken statt kriselnden Euro zu erhalten.

Fachkräftemangel hin oder her, die Branche blickt optimistisch auf den anstehenden Winter: Skihotels, Pistenrestaurants und Co. erwarten Rekordumsätze. «Die Betriebe haben aus den vergangenen Saisons gelernt und werden den Ansturm auch mit weniger Personal stemmen können», versichert der Churer Beizer Caluori.

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