Firma baut neues Zentrum für Elektromobilität
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Neues Zeitalter für Autos:Firma baut neues Zentrum für Elektromobilität

Wie sich Autohändler, Tankstellen und Recyclingfirmen darauf vorbereiten
Das Ende der Benziner

Ab 2035 sollen in der EU keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden. Das Elektroauto wird die Schweiz aber schon vorher erobern.
Publiziert: 17.10.2021 um 13:53 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2021 um 14:34 Uhr
Thomas Schlittler

Das Papieri-Areal in Biberist SO hat schon bessere Zeiten gesehen. Bis 2011 verdienten hier mehr als 500 Büezer ihr Geld mit der Papierherstellung. Dann musste die 1860 gegründete Fabrik schliessen. Nun bröckeln die Wände, Bahngleise enden im Unkraut.

Bei Jodok Reinhardt (48) löst der Anblick trotzdem Begeisterung aus: «Die Papieri Biberist ist der ideale Ort, um das Zentrum der Schweizer Elektromobilität zu werden», sagt der Unternehmer.

90 Prozent der Rohstoffe zurückgewinnen

Hier, direkt an der A1, sollen in Zukunft sämtliche Batterien gesammelt, recycelt und wiederverwendet werden, die in Schweizer Elektroautos ihren Dienst getan haben. Mit seiner Librec AG will Reinhardt dazu beitragen, dass die Ära der Elektroautos tatsächlich nachhaltiger wird als jene der Benziner. «Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem über 90 Prozent aller Rohstoffe einer Elektroauto-Batterie zurückgewonnen und in neuen Batterien eingesetzt werden können.»

Mehr als 3000 Tankstellen gibt es heute in der Schweiz. In Zukunft werden es deutlich weniger sein.
Foto: Thomas Meier
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Losgehen soll es Ende 2023. Die Elektroauto-Zukunft wird greifbar. Wie Biberist sieht es auch Brüssel: Die EU-Kommission hat kürzlich Pläne präsentiert, wonach ab 2035 keine Verbrenner mehr verkauft werden dürfen.

Anthony Patt (56), Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich, begrüsst diesen Schritt, will ihn aber nicht überbewerten: «Unsere Forschung zeigt, dass der Übergang zu Elektroautos mit oder ohne EU-Vorschriften stattfinden wird.»

Immer mehr Elektroautos

Der steigende Marktanteil von E-Fahrzeugen in den letzten Jahren entspreche ziemlich genau den Trends bei anderen Technologien, die den Durchbruch längst geschafft hätten, zum Beispiel dem Smartphone. «Wir gehen deshalb davon aus, dass der Marktanteil von Elektroautos die 50-Prozent-Marke vor 2025 überschreitet und bis 2030 nahezu 100 Prozent erreicht.»

Die ersten Elektrofahrzeuge gab es bereits im 19. Jahrhundert, solche mit Lithium-basierten Akkus seit den frühen 2000er-Jahren. Wieso kommt der grosse Wandel erst jetzt?

Autofahren soll billiger werden

Patt dazu: «Der Grund ist, dass die Batterien nie gut genug waren.» Das habe sich erst mit der Smartphone-Industrie geändert, für die Lithium-Ionen-Batterien entwickelt werden mussten. «Diese eine Technologie wird also nicht nur die Art und Weise verändern, wie wir kommunizieren, sondern auch die Autos, die wir fahren.» Patt prophezeit eine rosige Zukunft: «Unsere Städte werden leiser und die Luft sauberer. Zudem wird Autofahren billiger sein als heute.»

So euphorisch wie der ETH-Professor sind nicht alle. Vor allem die Pläne der EU-Kommission stossen vielfach auf Kritik. Auto Schweiz hält nichts von einem gesetzlichen Technologieverbot. «Dies verhindert Innovationen und Weiterentwicklungen bei Verbrennungsmotoren», sagt Christoph Wolnik (39), Verbandssprecher der Automobilimporteure.

Auch andere Treibstoffe sind klimaneutral

Unterstützung erhalten sie vom Bundesamt für Strassen (Astra). «Eine auf Bio-Treibstoffen oder synthetischen Treibstoffen basierte Verbrenner-Technologie kann sehr wohl auch klimaneutral sein», so ein Sprecher. «Hier sollten wir die Konkurrenz der Technologien wirken lassen.»

Dass der Siegeszug der Elektroautos nicht mehr aufzuhalten ist, darüber sind sich aber auch Astra und Importeure einig. «Viele Hersteller planen, bereits vor 2035 in Europa keine neuen Modelle mit Benzin- oder Dieselmotor mehr anzubieten», so Auto-Schweiz-Sprecher Wolnik. Wenn keine benzin- und dieselbetriebenen Modelle mehr gebaut würden, könnten die Schweizer Händler auch keine einführen.

Was passiert mit Tankstellen?

Für die Importeure bedeutet das Ende der Benziner nicht den Untergang. Deutlich grösser ist die Herausforderung für Sprithändler und Tankstellenbetreiber. Womit sollen sie ihr Geld verdienen, wenn Autos über Nacht an Steckdosen hängen und keine Zapfsäulen mehr brauchen?

Aber Existenzängste verspürt die Branche nicht. «Wir bauen ein flächendeckendes Netz von Fast-Charging-Anlagen auf», sagt Simon Jossi (56), Bereichsleiter Mobilität bei Migrol. Besonders für den beruflichen Einsatz und den Reiseverkehr müsse es manchmal schnell gehen. «Zudem werden nicht alle zu Hause laden können.»

Im Übrigen gehen die Tankstellenbetreiber davon aus, dass es einen Teil der Zapfsäulen weiter- hin brauchen wird. «Für längere Distanzen und im Schwerverkehr dürften in Zukunft Wasserstofffahrzeuge eingesetzt werden», sagt Thomas Osterwalder (44), Co-CEO der Osterwalder Gruppe, die in der Schweiz rund 100 Avia-Tankstellen betreibt.

Umsatzeinbussen

Und doch: Den Tankstellenbetreibern drohen massive Umsatzeinbussen. «Wir gehen davon aus, dass wir bis 2035 an den Tankstellen rund 50 Prozent weniger Treibstoffe verkaufen werden», sagt Ramon Werner (47), Chef der Oel-Pool AG, die in der Schweiz rund 700 Tankstellen betreibt, darunter BP und Rudi Rüssel.

Aus diesem Grund werde es in der Schweiz auch weniger Tankstellen geben. «Wir rechnen mit einem Rückgang um rund 35 Prozent», so Werner. Vor allem kleinere Automatentankstellen hält er für gefährdet. An geeigneten Standorten werde daher das Shop-Angebot ausgeweitet. Werner: «Vielleicht wird die Tankstelle in Zukunft zu einem kleinen Mobility-Zentrum, wo man E-Roller, E-Bikes und andere Leistungen rund um die Mobilität beziehen kann.»

Eine funktionierende Infrastruktur ist der Knackpunkt für die Elektroauto-Revolution. So sind Mieter darauf angewiesen, dass ihr Vermieter eine Ladestation in der Tiefgarage anbietet. Und was sollen E-Auto-Fahrer tun, deren Fahrzeug über Nacht in der Blauen Zone stehen muss, weil sie keine Garage haben? Dafür gibt es mögliche Lösungen, zum Beispiel das Anzapfen von Strassenlaternen. Doch vieles ist noch in der Schwebe.

Mehr Strom wird nötig sein

Eine weitere Herkulesaufgabe stellt die Deckung des zusätzlichen Strombedarfs dar. Elektrofahrzeuge sind zwar deutlich effizienter als Verbrenner und verbrauchen rund dreimal weniger Energie. Milliarden und Abermilliarden Franken für Erdölimporte, die wir in den vergangenen Jahrzehnten in alle Welt verteilt haben, lassen sich in Zukunft sparen. Doch im Gegenzug brauchen wir mehr Strom.

Je nach Berechnungsmodell dürfte der Bedarf um zehn bis 30 Prozent steigen. Ist es realistisch, diese zusätzlichen Mengen mit sauberen Energien zu decken? Dazu schreibt das Bundesamt für Umwelt: «Der zusätzliche Bedarf wird durch den Zubau erneuerbarer Energie, teilweise mit Importen und auch mit Effizienzgewinnen in allen Sektoren gedeckt.»

Fazit: Die Elektroauto-Zukunft kommt. Doch wie sie im Detail aussehen wird, dazu gibt es statt klaren Antworten viele Fragezeichen.

Viele Fragezeichen

Das gilt auch für die Recycling-Anlage von Jodok Reinhardt in Biberist. Der Umweltwissenschaftler ist zwar komplett davon überzeugt, dass seine Librec AG die beste Technologie und das beste Konzept hat, um das Zentrum für die Wiederverwendung von Schweizer Elektroauto-Batterien zu werden. Doch auch da sind die Würfel noch nicht gefallen.

Das Bundesamt für Umwelt, das Reinhardts Projekt mit 400'000 Franken unterstützt, gibt sich zurückhaltend: «Die Anlage befindet sich momentan noch in der Planungsphase. Welche Rolle die Librec AG dereinst spielen wird, ist damit noch offen und hängt davon ab, wie sich das Unternehmen im Markt behaupten kann.»

Unternehmer Reinhardt lässt sich davon nicht beirren: «Wir sind sehr gut aufgestellt und wollen nicht nur in der Schweiz Marktanteile gewinnen, sondern auch im europäischen Ausland.»

An Investoren mangelt es nicht

Vor wenigen Wochen erhielt Reinhardt zusätzlichen Rückenwind: «Ein von Bill Gates initiierter Klimawandel-Fonds hat Interesse angemeldet, in die Librec AG zu investieren.»

Reinhardt strahlt, als er das sagt. Hinter ihm ragt der grosse rote Backsteinkamin der alten Papierfabrik in die Höhe – das Relikt eines längst vergangenen Industriezeitalters.

Doch vielleicht schlägt genau hier schon bald das Herz einer neuen Epoche …

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