Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Warum Büezer Populisten wählen

Die Zunahme der Ungleichheit und der prekären Jobs zerstört das soziale Vertrauen, schürt den Fremdenhass und macht uns alle ärmer, schreibt Werner Vontobel.
Publiziert: 04.10.2019 um 09:54 Uhr
Werner Vontobel ordnet für BLICK Themen aus gesellschaftlich-wirtschaftlicher Optik ein.
Foto: Sabine Wunderlin
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Werner Vontobel

Theoretisch hätte die Wirtschaftskrise von 2008 den Linksparteien mächtig Auftrieb geben sollen. Praktisch ist europaweit, ausser in der Schweiz, genau das Gegenteil passiert. Warum? Vier Ökonomen und Soziologen in Frankreich – Yann Algan, Elizabeth Beasley, Daniel Cohen, Martial Foucault (Buchtitel: «Les origines du populisme») – haben die Antwort gefunden: Die Ursache liegt in einem Zerfall des sozialen Vertrauens.

Wer anderen misstraut, ist an sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung nicht mehr interessiert. Andere – Ausländer, Arbeitslose oder der Nachbar – könnten mehr davon profitieren. Diese Erkenntnisse stammen aus umfangreichen Untersuchungen, in denen nach politischen Ansichten und nach sozialem Verhalten gefragt wurde: Haben Sie Vertrauen in Ihre Familie, Politiker, Ausländer? Oder: Sind Sie dafür, dass Geld von den Reichen zu den Armen umverteilt wird?

Das wurde dann mit dem Wahlverhalten abgeglichen. Dabei zeigte sich folgendes Muster: Die Wählerschaft der linken und der rechtsextremen Parteien stammen beide überwiegend aus den Schichten, die in wirtschaftlich unsicheren bis prekären Verhältnissen leben. Der Anteil dieser Schichten an der Bevölkerung nimmt zu. Die Wähler der rechtsextremen Parteien sind aber an traditionellen «linken» Forderungen nach Umverteilung, mehr Staatsausgaben relativ wenig interessiert oder stehen ihnen gar eher ablehnende gegenüber.

Wie wem Wähler vertrauen

Bei den neuen linken Themen wie Europa mitgestalten, Umwelt retten, Minderheiten (Immigranten, Homosexuelle etc.) schützen, stehen sie klar auf der anderen Seite. Der Trennstrich zwischen den linken und den rechten «Büezern» wird vom Vertrauen gezogen. Wähler der Linken (und der Mitteparteien) vertrauen (im Allgemeinen) den Mitmenschen und dem Staat.

Die Wähler der Rechten haben wenig bis kein Vertrauen. Das Pech der Linken ist, dass das Vertrauen in den westlichen Staaten seit langem (in den USA seit Mitte der 1970er-Jahre) tendenziell zurückgeht. Die Krise von 2008 hat diesen Trend beschleunigt. Davon sind vor allem die Arbeiter und Angestellten betroffen, die in «flexiblen» und hierarchischen Arbeitsverhältnissen arbeiten und als «Einzelkämpfer» unterwegs sind. Anders als die klassischen Industriearbeiter haben sie wenig Kontakt zu gleichgestellten Arbeitskollegen, dafür umso mehr zu Kunden, Vorgesetzten oder Überwachungskameras.

Zu dieser Gruppe der neuen Misstrauischen gehören Servicearbeiter, Putzpersonal, Kuriere, Lagerarbeiter und andere gering Qualifizierte. Diese Leute haben in der Krise von 2008 die Erfahrung gemacht, dass sie der Staat nicht mehr schützen kann oder will. In Frankreich stellen sie den Hauptharst der Gilets jaunes.

Misstrauen nimmt zu

Auch Katholiken sind misstrauischer als Protestanten. Soziologen erklären das mit der hierarchischen Struktur der katholischen Kirche. Gemäss den Autoren der französischen Studie ist die Vertrauenskrise vor allem durch die zunehmende Ungleichheit und durch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte verursacht worden. Diese hat eigentlich den Zweck, die Effizienz und das Wirtschaftswachstum zu steigern.

Doch heute müssen wir feststellen, dass die Zunahme des Misstrauens einen doppelten Strich durch diese Rechnung gemacht hat: Erstens senkt das Misstrauen die Produktivität erheblich. Zweitens schlägt der Verlust des Vertrauens den Menschen in einer Weise aufs Gemüt, der auch mit hohen Lohnzuwächsen nicht kompensiert werden kann.

Gemäss einer Studie aus Kanada steigert ein Punkt mehr Vertrauen in den Chef (auf einer Skala von 1 bis 10) das Glück gleich stark wie eine Gehaltserhöhung um 30 Prozent. Andere Studien kommen auf ähnliche Grössenordnungen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass eine Steigerung des Einkommens bereits ab einem durchschnittlichen Niveau wenig bewirkt.

Umgekehrt hat ein Verlust des Vertrauens in der Regel schwere Auswirkungen: Menschen, denen das Vertrauen abhanden gekommen ist, sind öfter als andere depressiv, leiden unter Stimmungsschwankungen, werden krank etc.

Bisher war die globale Vertrauenskrise ein schleichender Prozess – der sich nur aber durch die Stimmengewinne der Rechtspopulisten gefährlich beschleunigt. Mit ihren Hasstiraden haben Marine Le Pen, Boris Johnson, Donald Trump oder Matteo Salvini eine neue Stufe gezündet. Das Misstrauen ist zu einem Selbstläufer geworden. Stoppen kann man es nur, wenn man den «Büezern» wieder einen festen Boden unter den Füssen und wirtschaftliche Sicherheit gibt.

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