Polizei erschiesst Attentäter von Strassburg
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Nach 48 Stunden Fahndung:Polizei erschiesst Attentäter von Strassburg

23 Attentate und mehr als 240 Tote seit 2015
Darum trifft islamistischer Terror so oft Frankreich

In Strassburg tötete der mutmassliche Täter Chérif Chekatt (29) drei Menschen, verletzte 13 Menschen. Es ist das 23. Attentat in den vergangenen drei Jahren. BLICK erklärt die Hintergründe.
Publiziert: 12.12.2018 um 12:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2022 um 11:32 Uhr
Attentäter Chérif Chekatt ist tot. Sein letztes Bild zeigt ihn liegend vor einer Haustür. Neben ihm ein Revolver.
Foto: Twitter
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Fabienne Kinzelmann

Charlie Hebdo, Bataclan, Nizza sind nur die Spitze des Eisbergs. Seit 2015 wurde Frankreich von 23 schweren Anschlägen erschüttert. Mindestens 240 Menschen starben. Das jüngste Attentat ereignete sich gestern am Weihnachtsmarkt in Strassburg (mehr dazu im Liveticker). Gemein haben alle Anschläge den islamistischen Hintergrund der Täter – und deren Herkunft: Die meisten von ihnen haben nicht nur bereits länger in Frankreich gelebt, sondern sind teilweise sogar dort aufgewachsen. Religiös motivierter Terror aus dem Inneren. Warum trifft er immer Frankreich?

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1. Der blutige Algerienkrieg hat sich tief in das Gedächtnis der Franzosen und Algerier eingebrannt

Frankreich besetzte Algerien 1830 und erreichte durch Siedlungsprogramme, dass Mitte des 20. Jahrhunderts neben neun Millionen Algeriern auch eine Million französischer Staatsbürger auf dem algerischen Territorium lebten. Die algerische Bevölkerung wurde rechtlich und wirtschaftlich unterdrückt. In der Folge kam es zwischen 1954 und 1962 zu einem Krieg, der mit der Unabhängigkeit Algeriens endete.

Hunderttausende «Algerienfranzosen» und algerische Flüchtlinge kamen nach dem Krieg nach Frankreich, wobei sich ihre Integration als schwierig erwies. Zudem unternahm das französische Militär nichts, um in Algerien verbliebene Unterstützer des französischen Regimes zu schützen, wodurch es im Nachgang zu Racheakten und Massakern kam.

2. Junge Muslime in Frankreich definieren sich besonders über ihre Religion

Nach Schätzungen leben heute sieben Prozent Muslime in Frankreich. Für viele von ihnen ist Religion eine Brücke zum Herkunftsland. Studien besagen: Der grösste Teil der in Frankreich lebenden Muslime betrachtet den Islam vor allem als kulturelles Erbe; nur ungefähr zehn Prozent besuchen regelmässig die Moscheen und weniger als zehn Prozent achten bei der Ernährung auf nach religiösen Vorschriften produziertem Fleisch.

Dennoch ist die Zahl der Ramadan-Fastenden mit 70 bis 84 Prozent relativ hoch und besonders sozial schwache, jüngere Muslime wenden sich verstärkt fundamentalistischen Bewegungen zu. Der Islam wird zum identitätsbildenden Merkmal gegen die westliche Lebensweise und gegen das Gefühl von Ausgrenzung.

3. Muslimische Immigranten sind weniger gebildet und häufiger arbeitslos

Ungefähr 60 Prozent der in Frankreich lebenden Muslime sind im industriellen Sektor und im Baugewerbe tätig, nur fünf Prozent sind leitende Angestellte. Von der hohen Arbeitslosigkeit in Frankreich sind Muslime deshalb besonders stark betroffen. Zum Vergleich: In den USA gehören Muslime häufig zur Bildungsschicht, ihre wirtschaftliche Situation ist eher gut.

Besonders problematisch ist zudem ihre Wohnsituation: Mehr als die Hälfte der Bewohner der von Gewalt und Armut geprägten Banlieues sind Migranten. Bewohner dieser konfliktreichen französischen Vorstädte werden auch bei der Arbeitssuche diskriminiert, was die soziale Situation in den Vierteln wiederum verstärkt.

Mit dramatischen Folgen: Die schlechte wirtschaftliche und soziale Situation der Muslime in Frankreich führt zu einer höheren Kriminalitätsrate. In Landesteilen mit einer höheren Kriminalitäts- und Migrationsrate handelt es sich bei vergleichsweise vielen Verurteilten und Gefängnisinsassen um Muslime.

4. Muslime fühlen sich benachteiligt

Es heisst, der Islam könne nicht zwischen dem Staat und der Religion trennen. Deshalb wird er in der öffentlichen Meinung als unvereinbar mit den laizistischen Prinzipien Frankreichs angesehen und dementsprechend behandelt.

Aus diesen Überlegungen wird die Religion aus dem öffentlichen Raum verbannt – und das trifft besonders Muslime: Seit 2004 ist das Tragen religiöser Symbole und Kleidung in französischen Schulen verboten. Auch wenn das Gesetz grosse Kreuze einschliesst, zielt es doch hauptsächlich auf muslimische Kleidung wie Kopftücher und Burkas ab.

5. Muslime fühlen sich nicht akzeptiert

Häufig werden dabei Islam und Islamismus gleichgesetzt. Schon vor rund 15 Jahren dachten mehr als ein Drittel der Franzosen negativ über Muslime.

Die islamistischen Anschläge in Europa und insbesondere das Attentat auf Charlie Hebdo und im Klub Bataclan haben die Stimmung gegen Muslime in Frankreich weiter aufgeheizt.

Muslime fühlen sich nicht akzeptiert. Das liegt aber nicht nur an der Religion: Insbesondere in Frankreich spielt der Algerienkrieg eine wichtige Rolle beim Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.

Das alles sind Gründe, aus denen heraus sich Muslime in Frankreich wie in vielen anderen westeuropäischen Ländern radikaliseren . Ihre Wut richtet sich dann gegen die Werte einer Gesellschaft, die sie kennen, in der sie teilweise gross wurden. Der Anschlag in Strassburg, bei dem drei Menschen starben, ist nach allem, was wir bisher wissen, ein weiteres trauriges Beispiel dafür.

Fahndung nach Attentäter von Strassburg geht weiter
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