Hier klettern die Bergsteiger über den Schwerverletzten
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Bergsteigerlegende Reinhold Messner zum Todesdrama am K2
Mit dem Gipfeljagd-Tourismus nehme auch der Egoismus der Menschen zu

Niemand wollte Ende Juli seine K2-Gipfeljagd unterbrechen, um einem sterbenden Hochträger zu helfen. Scharfe Kritik kommt jetzt von Bergsteigerlegende Reinhold Messner. Mit dem Achttausender-Tourismus nehme auch der Egoismus der Menschen zu.
Publiziert: 10.08.2023 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 10.08.2023 um 10:59 Uhr
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Im Netz und in Medien herrscht viel Empörung über den am K2 sterben gelassenen Bergsteiger. Der pakistanische Bergführer Mohammed Hassan (†27) hing kopfüber in Seilen und war noch am Leben, als Gipfelstürmer am 27. Juli über ihn kletterten. Niemand gab seinen Gipfelversuch auf, um in der dünnen Luft in der Extremhöhe einen Sterbenden zu retten.

Extrembedingungen in der Extremzone? Der zweithöchste Berg der Welt gilt als einer der tödlichsten Berge der Welt. Bis diesen Sommer haben erst rund 400 Menschen den K2-Gipfel erreicht. Fast 100 kamen dabei ums Leben.

Im Juli war ein grosser K2-Vorstoss im Gange. Mehr als 200 Berggänger versuchten den auch «Wilden Berg» genannten K2 zu bezwingen. Einzelne Quellen sprachen sogar von 250 Berggängern. Wie vielen es gelang, ist infolge der schwierigen Kommunikationswege noch immer unklar. Nicht geschafft hat es der Pakistani Mohammed Hassan.

Hatte den K2, einen der tödlichsten Berge der Welt, im Jahr 1979 ohne Sauerstoff bezwungen: die Bergsteigerlegende Reinhold Messner.
Foto: KEYSTONE
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«Es gibt kein Rettungsteam auf dem K2»

Der einheimische Hochträger sollte helfen, Seile zu montieren. Eine Lawine hatte ihn in die Tiefe gerissen. Verletzt und hilflos blockierte er die Route zum Gipfel. Leute schritten einfach über ihn. Die bekannte Bergsteigerin Lakpa Sherpa, die am fatalen Tag als Expeditionsleiterin unterwegs war, sagte dem Fachportal Explorersweb, am K2 sei jeder auf sich allein gestellt: «Es gibt kein Rettungsteam auf dem K2.»

Dabei sei der Verstorbene noch gewarnt worden. «Bereits vor seinem Unfall sagten ihm einige Sherpas aus der Seilschaft mehrmals, er solle umkehren, da seine Kletterausrüstung und Kleidung sehr schlecht seien», so Lakpa. «Aber er hörte nicht darauf und folgte den anderen Bergsteigern.» Auch sei das Wetter schlecht gewesen, und es wäre «sehr schwierig» gewesen, ihn aus der engen «Flaschenhals»-Passage herunterzuholen.

«Wenn ich von den Problemen gewusst hätte, hätte ich geholfen», räumt Lakpa dennoch ein. Gleicher Meinung ist auch die Bergsteigerlegende Reinhold Messner (78), der den K2 am 12. Juli 1979 bezwungen hatte. Ohne Sauerstoff.

«‹Warum soll ich retten›»

Beim heutigen Gipfeljagd-Tourismus herrsche nur noch Egoismus, sagte der Südtiroler dem österreichischen Privatsender Puls 24. Schon, der Unfall habe sich bei Nacht in der Dunkelheit ereignet. «Da kamen Leute von hinten. ‹Ich will unbedingt zum Gipfel›, sagten sie sich», so Messner. «Jeder will den Gipfel erreichen. ‹Warum soll ich retten?›»

Doch jeder, der einmal einen Verletzten oder Höhenkranken am Berg erlebt habe, wisse, wie stark die Selbstverpflichtung zur Hilfe sei, sagt Messner, der alle Achttausender bestiegen hat. Was am 27. Juli am K2 passiert sei, sei nicht alltäglich, komme aber häufig vor. Das habe damit zu tun, «dass an den grossen Bergen kein Alpinismus, sondern Tourismus stattfindet».

«Am Berg war bis vor wenigen Jahrzehnten eine grosse Solidarität vorhanden», so Messner. Doch nicht länger. Früher hätten auch erfahrenere Bergsteiger ihre Touren für Schwächere in Not abgebrochen. Das sei – wie die jüngsten Ereignisse am K2 zeigten – nun anders.

«Sonntagsbergsteiger» ohne Fähigkeiten oder Erfahrung

Dies ermögliche auch «Sonntagsbergsteigern» den Aufstieg, sagt Messner. «Das ganze Drama ist die Tatsache, dass diese Klienten zu 99 Prozent keine Fähigkeit und keine Erfahrung haben.» Daher «kaufen sie sich Hundertschaften von Trägern ein».

Damit lasse sich auch der Traum, einen der höchsten Berge und schwierigsten Berge der Welt zu besteigen, sehr einfach verwirklichen. Sherpas und Hochträger präparieren die Wege, fixieren Seile und schleppen Sauerstoffflaschen mit. Mit dem Gipfeljagd-Tourismus, so Messner, nehme auch der Egoismus der Menschen zu.

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