Das musst du zum ersten Entscheid des UN-Gerichts wissen
Israel nennt es «Haag-Schmaag» – Palästinenser freuen sich

Der Internationale Gerichtshof hat Israel in die Schranken gewiesen. Darauf reagiert die israelische Regierung ungehalten – die Palästinenser mit vorsichtigem Optimismus. Die wichtigsten Antworten.
Publiziert: 26.01.2024 um 21:25 Uhr
|
Aktualisiert: 27.01.2024 um 08:48 Uhr
Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat am Freitag ein erstes Urteil im Genozid-Prozess gegen Israel gefällt.
Foto: imago images/Future Image
1/10
BlickMitarbeiter06.JPG
Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Es ist ein bedeutendes Urteil: Der Internationale Gerichtshof hat am Freitag ein erstes Urteil im Genozid-Prozess gegen Israel gefällt. Was du jetzt dazu wissen musst.

Was hat der Internationale Gerichtshof entschieden?

Der Internationale Gerichtshof stimmt Südafrika zu, dass einige Vorwürfe gegen Israel unter die Bestimmungen der Völkermordkonvention fallen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der israelische Antrag, den Vorwurf des Völkermords abzuweisen, vom IGH abgelehnt wurde.

Joan E. Donoghue (66), die zuständige Richterin und Präsidentin am IGH, fordert, dass Israel sofort Massnahmen ergreifen muss, um sicherzustellen, dass sein Militär nicht gegen die Völkermordkonvention verstösst. Ausserdem muss Israel die Aufstachelung zum Völkermord verhindern und bestrafen sowie mehr Hilfe für den Gazastreifen zulassen.

Das Gericht forderte Israel jedoch nicht auf, seine Militärkampagne sofort einzustellen.

Wie wird der Entscheid begründet?

Donoghue zitiert verschiedene aufrührerische Äusserungen von israelischen Führern. Als erstes zitiert sie den Verteidigungsminister Joaw Galant (65), der in den ersten Tagen des Krieges sagte: «Wir kämpfen gegen menschliche Tiere.»

Wie reagiert Israel?

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (74) hat auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom Freitag reagiert. Er sagte: «Wir werden uns und unsere Bürger weiterhin verteidigen und dabei das Völkerrecht einhalten.» Er sagte auch, dass «Israel einen gerechten Krieg wie keinen anderen führt».

Rechtsgerichtete israelische Politiker verurteilten das Gericht für die Anordnung einiger vorläufiger Massnahmen, auch wenn die Richter kein Ende der israelischen Kampagne anordneten. «Dieses Gericht sucht nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach der Verfolgung des jüdischen Volkes», behauptete der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir (47) in einer Erklärung. Auf X reagierte er auf das Urteil des IGH mit einem Tweet: «Haag-Schmag».

Auch Yoav Gallant – dessen Aussagen im Gericht behandelt wurden – sagte, Israel habe es nicht nötig, vom Gericht «in Sachen Moral belehrt zu werden».

Wie reagieren die palästinensischen Behörden?

Das palästinensische Aussenministerium erklärte in den sozialen Medien, dass es das Urteil des Internationalen Gerichtshofs begrüsse. «Die Richter des IGH haben die Fakten und das Gesetz bewertet», hiess es. «Sie haben im Sinne der Menschlichkeit und des Völkerrechts entschieden. Wir rufen alle Staaten auf, dafür zu sorgen, dass alle vom Gericht angeordneten vorläufigen Massnahmen umgesetzt werden, auch von der Besatzungsmacht Israel.»

Ein Beamter forderte ausserdem, dass Israel gezwungen werden sollte, die Entscheidungen des Gerichts umzusetzen.

Wie wird sich das auf den Krieg in Gaza auswirken?

Zwar ist die Entscheidung des Gerichts endgültig und kann nicht angefochten werden. Allerdings kann es seine Entscheidungen nicht durchsetzen, und es ist nicht klar, ob Israel sie befolgen würde.

Heisst: Aktuell ist nicht klar, ob sich durch den Entscheid die Situation in Gaza verbessern wird. Anhand der Aussagen der israelischen Regierung in Reaktion auf den Entscheid sieht es aktuell nicht so aus, als werde es signifikante Änderungen im Krieg geben.

Wie geht es jetzt weiter?

Es wird nicht erwartet, dass das Gericht in den nächsten Jahren ein Urteil zum Völkermordvorwurf fällt, und die Entscheidung vom Freitag war eine Zwischenentscheidung. «Das Gericht ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht verpflichtet, festzustellen, ob Israel seine Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention verletzt hat», sagte Donoghue am Freitag. «Das wird in einem späteren Stadium des Prozesses geschehen.»

Welchen Vorwurf hat Südafrika genau gegen Israel erhoben?

In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Israel töte Palästinenser, «füge ihnen schwere geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen».

Südafrika nennt die hohe Zahl von mehr als 21'000 Todesopfern im Gazastreifen, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, Angriffe auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen. Inzwischen ist die Opferzahl nach Angaben der Behörden, die von der islamistischen Hamas kontrolliert werden, bereits auf mehr als 23'000 angestiegen.

Was ist die Grundlage der Klage?

Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention. Israel und Südafrika haben diese Konvention unterzeichnet und sich damit nicht nur verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen, sondern auch diesen zu verhindern und zu bestrafen. In der Konvention wird Völkermord definiert als eine Handlung, «die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.»

Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen gegen Personen, während der UN-Gerichtshof über Konflikte zwischen Staaten entscheiden soll. Sowohl Israel als auch Südafrika dürfen jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Israel schickt den früheren Richter am obersten Gerichtshof, Aharon Barak (87), einen Überlebenden des Holocaust.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?