Der niederländische Wahlsieger will den Nexit – die Gefahr eines Dominoeffekts steigt
Treibt Wilders die EU in den Kollaps?

Wahlsieger Geert Wilders (60) will die Niederlande aus der EU führen. Wie sind die Chancen? Kippt die Stimmung nun auch in andern europäischen Ländern? Wir sagen, was du wissen musst.
Publiziert: 24.11.2023 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2023 um 17:48 Uhr
Grund zum Feiern: Geert Wilders hat die niederländischen Wahlen deutlich gewonnen.
Foto: keystone-sda.ch
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Guido FelderAusland-Redaktor

Der Rechtsaussenpolitiker Geert Wilders (60) hat am Mittwoch die niederländischen Parlamentswahlen deutlich gewonnen und hat gute Chancen, Ministerpräsident zu werden. Er verspricht einen Stopp der Einwanderung, einen Kampf gegen den Islam sowie einen Austritt aus der EU. So hat er angekündigt, es Grossbritannien gleichzutun und in einem «verpflichtenden Referendum» über einen Nexit abzustimmen. 

Wie gross sind die Chancen dazu, welches wären die Folgen für Europa? Und: Folgt jetzt europaweit der grosse Exodus aus der EU? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen. 

Wie schlimm wären die Folgen eines Nexit für die EU?

Brüssel würde den viertgrössten Netto-Zahler verlieren. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln gehörte das Land im vergangenen Jahr mit einem Haushaltssaldo von 3,2 Milliarden Euro nach Deutschland (19,7 Milliarden), Frankreich (10 Milliarden) und Italien (3,9 Milliarden) zu den grössten Finanzierern der EU. 

Wie schlimm wären die Folgen für die Niederlande?

Der Brexit zeigt, welche Folgen ein Austritt aus der EU haben kann. Zuerst gab es schwierige, gehässige Verhandlungen, nach dem Austritt brach die Wirtschaft teilweise zusammen. Die Warenimporte und -exporte sanken laut Statistischem Bundesamt zwischen 2015 und 2022 von 129,4 Milliarden Euro auf 106,1 Milliarden Euro. Jonathan Slapin (43), Professor für Europapolitik an der Uni Zürich, macht deutlich: «Die Folgen wären katastrophal.»

Das kleine Land wäre in einer ähnlichen Situation wie die Schweiz und müsste eine andere Zusammenarbeit mit den europäischen Ländern suchen, um nicht durch Grenzkontrollen abgeschottet zu werden. Eine Möglichkeit wäre auch eine Ausrichtung und ein Zusammenspannen mit Grossbritannien, das bei der Strasse von Dover nur 90 Kilometer entfernt liegt. 

Was braucht es für eine Nexit-Abstimmung?

Der Weg zu einer Volksabstimmung führt über eine Mehrheit im Parlament. Dazu kommt es wohl nur, wenn Wilders mit andern Parteien eine Koalition eingehen und diese von einer Abstimmung überzeugen kann. Alle wichtigen Parteien stehen aber hinter der EU. 

Dass ihm der Austritt aus der EU ernst ist, bewies Wilders schon 2016, als er einen Antrag auf eine Volksabstimmung stellte. Damals stimmten nur 14 der 150 Parlamentarier dafür. 

Würde das Volk einem Nexit zustimmen?

Zwar haben die Niederländer mit der Wilders Wahl gezeigt, dass sie eine Veränderung wollen. Dennoch hält Jonathan Slapin die Chance auf einen Nexit für «gleich null». 

Die Niederländer sind überzeugte EU-Bürger, wie eine Eurobarometer-Umfrage im Frühling zeigte. Ihr Identifikationswert gegenüber der EU liegt mit 77 Prozent klar über dem EU-Schnitt von 72 Prozent. Nur 16 Prozent äusserten sich negativ. Die Niederlande gehören zu den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten. 

Allerdings hat Grossbritannien gezeigt, dass es Überraschungen geben kann. Der damalige Premierminister David Cameron (57) liess die Briten 2016 über den EU-Austritt abstimmen, in der Annahme, er würde abgelehnt. Der Schuss ging für ihn nach hinten los. 

Kommt es zu weiteren Austritten aus der EU?

Die Anti-EU-Bewegungen in andern Ländern könnten durch die Wahl Wilders zwar Auftrieb bekommen, weitere Austritts-Abstimmungen sind zurzeit aber nicht zu erwarten. Denn selbst die Wilders-Gratulanten – der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban (60), die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen (55) und die deutsche AfD-Chefin Alice Weidel (44) – stehen hinter der Idee einer EU.

Möglich wäre, dass gewisse Länder wie Ungarn, Italien, die Slowakei und Polen – sowie bei einer allfälligen Wahl Le Pens zur Präsidentin auch Frankreich – den Druck auf einen Umbau der EU erhöhen. Vor allem beim Thema Migration fordern sie ein härteres Vorgehen. 

Slapin: «Parteien, die eine Exit-Politik betreiben, werden es schwierig haben, eine Mehrheit zu finden und Koalitionen aufzubauen.» Vor allem der schwierige Brexit und der Ukraine-Krieg hätten die Europäer wieder mehr zusammengeschweisst. 

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