Die grosse Übersicht. Warum sie an Macht gewinnen, in welchen Ländern sie zuschlagen, wie man sie stoppen kann
Krisen befeuern die extremen Rechtsparteien

AfD, FPÖ, Fratelli d'Italia, Vox: Immer mehr Wählerinnen und Wähler entscheiden sich für populistische bis extreme Parteien. Wir zeigen, wie gross ihr Einfluss in europäischen Ländern schon ist, und sagen, was ein Verbot bringen würde.
Publiziert: 23.07.2023 um 18:08 Uhr
|
Aktualisiert: 23.07.2023 um 18:11 Uhr
RMS_Portrait_AUTOR_242.JPG
Guido FelderAusland-Redaktor

In ganz Europa sind die Rechten auf dem Vormarsch. Während sie in Ländern wie Ungarn und Polen schon länger die Politik dominieren, mischen sie seit kurzem auch in den Regierungen von Finnland und Schweden mit. Wenn heute Wahlen wären, würden Rechtspopulisten und Rechtsextreme in Frankreich und Österreich ebenfalls die Macht übernehmen.

Für Teresa Völker (29) vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, die an der Normalisierung der extremen Rechten und zu den politischen Auswirkungen von islamistischer und rechtsextremer Gewalt forscht, ist diese Entwicklung nicht überraschend.

Sie erklärt uns: «Bevor rechtsradikale und rechtsextreme Parteien in die Parlamente Europas eingezogen sind, Koalitionen oder Regierungen gebildet haben, waren sie bereits in anderen gesellschaftlichen Bereichen sichtbar und erfolgreich, so etwa auf der Strasse bei Protesten und Gewalttaten, im Netz oder in öffentliche Debatten.»

In Spanien ist die Vox auf dem Vormarsch.
Foto: AFP
1/18

Das Spiel mit der Angst

Den Erfolg der Rechten führt Völker auf Krisen wie Migration, Terroranschläge, Corona und Ukraine-Krieg zurück. «Aus der Forschung wissen wir: Krisen befeuern die extreme Rechte.»

Rechtsextreme Parteien seien gute Krisenkommunikatoren. Sie spielten mit der Angst der Menschen und verbreiteten verzerrte Narrative, die in den Köpfen hängen blieben. Völker: «Wenn andere Parteien und Medien diese Narrative und Deutungsangebote der extremen Rechten aufgreifen, tragen sie zur Verbreitung und Normalisierung bei.»

In der Wählerschaft rechtsextremer Parteien ortet Völker nationale Unterschiede – je nach Geschichte, politischem System und Parteienangebot. Nebst ökonomischen Faktoren spielten daher auch sogenannte kulturelle Faktoren eine Rolle: Wie stark die eigene nationale Identität ausgeprägt ist, wie stark man sich durch andere kulturelle Einflüsse bedroht fühlt und wie stark Vorurteile und rassistische Menschenbilder verankert sind.

Extreme Parteien verbieten?

Ein Verbot für rechtsextreme Parteien, wie es diese Woche ein CDU-Politiker in Deutschland forderte, müsste kritisch diskutiert werden. «Wenn es nicht umfassend geprüft und stichfest ist und nicht mit Sicherheit zum Erfolg führt, läuft man Gefahr, dass eine Partei gestärkt aus dem Verfahren herausgeht.»

Das habe sich in Griechenland beim Beispiel der «Goldenen Morgenröte» gezeigt, die 2020 verboten worden war. Im Juni dieses Jahres schaffte es die bis anhin fast unbekannte rechtsradikale Partei Spartiates aus dem Stand als fünftstärkste Kraft ins Parlament.

Teresa Völker betont, wie wichtig andere Massnahmen seien, die die Ausbreitung rassistischer und national-völkischer Positionen über den Bildungsbereich, Demokratieförderung oder Präventionsarbeit verhindern. Völker: «Zentral ist vor allem die politische und diskursive Abgrenzung, also ein konsequent umgesetzter Schutzwall gegen die extreme Rechte.»

Hier sind die Rechten auf dem Vormarsch

In der nachfolgenden Liste zeigen wir, in welchen Ländern die Rechten in der Regierung vertreten oder gemäss Umfragen auf dem Vormarsch sind.

Finnland: Skandal in der Regierung

Nach der Abwahl der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin (37) Anfang April kommt Finnland nicht zur Ruhe. Bei der Regierungsbildung musste der konservative Gewinner und Marin-Nachfolger Petteri Orpo (53) auf die rechtspopulistische Finnen-Partei zurückgreifen. Das geschah widerwillig, aber ohne die inzwischen zweitstärkste Partei wäre eine Koalition schwierig geworden.

Kaum im Amt wurde die Regierung wegen der Vorgeschichte von Finnen-Partei-Mitgliedern durchgerüttelt. Nach nur zehn Tagen trat Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila (41) wegen eines Skandals um Kontakte in die rechtsextreme Szene und Scherze über Nazi-Symbole – konkret die Zahl 88, die für Heil Hitler steht – zurück.

Jetzt ist auch die Parteipräsidentin und Finanzministerin Riikka Purra (46) in den Fokus geraten. Grund: Es sind 15 Jahre alte Kommentare aus einem rechtsextremen Forum aufgetaucht, die Purra angeblich verfasst hat. In den Beiträgen werden der Islam und Einwanderer aus Somalia verunglimpft. Purra hat die Posts weder dementiert noch bestätigt.

Italien: Besser als prophezeit

Es gab schlimme Prophezeiungen, als Giorgia Meloni (46) im vergangenen Jahr die Wahlen gewann und Ministerpräsidentin wurde. Sie führt, wie im Wahlkampf versprochen, zusammen mit der rechten Lega und der Forza Italia eine harte Migrationspolitik und stoppt Boote von Hilfsorganisationen, die Migranten an Land bringen wollen. Wer in offiziellen Dokumenten Anglizismen verwendet, soll mit bis zu 100'000 Euro gebüsst werden.

Das ist Giorgia Meloni
0:59
Erste Premierministerin:Das ist Italiens Giorgia Meloni

In der Regierung trägt sie mit Lega-Chef Matteo Salvini (50) Hahnenkämpfe um den Einfluss bei den Rechten aus. Gegen ihre Tourismusministerin gibt es Vorwürfe wegen betrügerischen Konkurses und Bilanzfälschung. International allerdings überrascht Meloni positiv. So bekennt sie sich klar zu Nato und EU – nicht zuletzt, weil aus Brüssel Milliarden für die Corona-Aufarbeitung fliessen. Und: Vor wenigen Tagen kündigte Meloni an, in den nächsten drei Jahren eine halbe Million Migranten ins Land zu holen, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen.

Ungarn: Ärger mit der EU

Nachdem Viktor Orban (60) seit 2010 erneut ungarischer Ministerpräsident ist, zieht er die Schraube laufend an. Kritiker werfen ihm einen Abbau der Demokratie, die Missachtung der Medienfreiheit und eine Anpassung des Wahlgesetzes zugunsten seiner national-konservativen Fidesz vor.

Die Partei regiert in einer Koalition mit der christlich-demokratischen Volkspartei, die sich in den vergangenen 30 Jahren inhaltlich der Fidesz angenähert hat und auch den katholischen Fundamentalismus vertritt.

In der EU gilt Orban als Sorgenkind. Wegen mangelnder Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und zu wenig entschlossenen Kampfes gegen Korruption blockierte sie eine Auszahlung von 6,3 Milliarden Euro an Fördergeldern.

Polen: Von der EU verurteilt

Wie Ungarn geht auch die national-konservative Regierung Polens immer wieder mit der EU auf Konfrontationskurs. Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof Polen verurteilt, weil in einer Reform die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt wird.

Im Herbst stehen in Polen Wahlen an. Eine grosse Mehrheit der Fraktionen im EU-Parlament fordert eine Beobachtermission aus Sorge, «dass die Wahlen nicht nach den höchsten demokratischen Standards durchgeführt werden».

Auf der anderen Seite spielt Polen im Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle und arbeitet eng mit Brüssel und der Nato zusammen: Kein Land hat so viele Flüchtlinge aufgenommen, kaum ein anderes Land unterstützt die Ukraine derart mit Waffen und anderer Hilfe.

Schweden: Druck auf die Regierung

In Schweden wurden die rechten Schwedendemokraten im vergangenen Jahr zweitstärkste Partei – unter anderem wegen der von Vorgängerregierungen verschuldeten vernachlässigten Integration von Migranten, was zu schwerer Kriminalität führte.

Zwar sind die Schwedendemokraten nicht an der bürgerlichen Regierung beteiligt, geniessen aber ein grosses Mitspracherecht. Unter diesem Druck hat die Regierung die Hürden für Immigration erhöht und den Bau von neuen AKW erlaubt.

Dänemark: Auf Lauerstellung

Seit Dezember 2022 regiert eine neue Koalition der Mitte. Anders als in Schweden ist Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (45) nicht auf Unterstützung der Rechten angewiesen. Aber: Die Rechten sind auf dem Vormarsch, in Kopenhagen gibt es inzwischen drei rechtspopulistische Parteien, die zusammengerechnet jede sechste Wählerstimme erhalten haben.

Frankreich: Freude an Macron

Wären heute Präsidentschaftswahlen, würde Marine Le Pen (54) vom Rassemblement National den amtierenden Emmanuel Macron (45) vom Thron stossen. Die jüngsten Ausschreitungen von Banlieue-Jugendlichen und Macrons Rentenreform spielen ihr in die Hände.

Deutschland: AfD-Verbot gefordert

In Deutschland ist die AfD auf dem Vormarsch. Bei Umfragen liegt sie zurzeit auf Platz zwei hinter der CDU und vor der regierenden SPD. Im Kreis Sonneberg in Thüringen hat sie im Juni erstmals seit ihrer Gründung vor zehn Jahren ein kommunales Spitzenamt erobert.

Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (47) schlägt radikale Massnahmen vor: Er will die AfD verbieten. In einem Brief an seine Fraktion weist er darauf hin, dass die AfD im Osten die Umfragen sogar anführe. Er schreibt: «Nicht deshalb, sondern wegen ihrer Rechtsradikalität und der Grösse dieser Gefahr insbesondere in den neuen Bundesländern setze ich mich seit längerem für ein Verbotsverfahren ein.»

Österreich: FPÖ zieht davon

Die rechte FPÖ, die unter dem ehemaligen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz (36) bereits in der Regierung vertreten war, gilt zurzeit gemäss Umfragen als stärkste Partei Österreichs. Wären heute Wahlen, wäre ihr Obmann Herbert Kickl (54) Kanzler.

FPÖ-Fraktion verlässt bei Selenski-Rede den Saal
0:31
Eklat im Parlament:FPÖ-Fraktion verlässt bei Selenski-Rede den Saal

Spanien: Vox drängt in die Regierung

Am Sonntag finden in Spanien vorgezogene Neuwahlen statt, da die regierenden Linken bei den Regionalwahlen vom 28. Mai eine massive Schlappe einstecken mussten. Umfragen deuten darauf hin, dass der amtierende sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez (51) wohl abtreten wird.

Auf Siegeskurs ist Alberto Núñez Feijóo (61) vom konservativen Partido Popular. Für die Regierungsbildung wird er wohl auf die rechtspopulistische und nationalkonservative Partei Vox angewiesen sein. Seit es solche Koalitionen auf regionaler Ebene gibt, ist eine Partnerschaft auch auf nationaler Ebene kein Tabu mehr.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?