ETH-Militärökonom Marcus Keupp über die russische Offensive
Putin hat jetzt das gleiche Problem wie Hitler

Putin kann dank der verzögerten Hilfspakete-Lieferungen aus den USA derzeit noch Gewinne verzeichnen – doch ihm gehen Personal und Material aus, glaubt ein Ökonom. Wie geht es im Krieg nun weiter?
Publiziert: 06.05.2024 um 18:14 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2024 um 19:33 Uhr

Monatelang hatten die Republikaner in den USA den Gesetzesentwurf blockiert – die fehlenden, so dringend benötigten Waffenlieferungen machten der Ukraine schwer zu schaffen. Russlands Offensive verzeichnete in dieser Zeit einige Erfolge. Inzwischen wurde aber das enorme 61-Milliarden-Hilfspaket bewilligt – und Putin sieht sich in einem Rennen gegen die Zeit. Hinzu kommen zunehmende logistische Probleme.

Wie ETH-Militärökonom Marcus Keupp gegenüber «Watson» erklärt, verbrennen die Russen in der laufenden Offensive «so ziemlich alles an Material und auch an Menschen, was sie zur Verfügung haben.» Die Ukraine erhält unterdessen kontinuierlich Nachschub vom Westen. Für Russland ist diese Abnutzung der eigenen Ressourcen bei gleichzeitiger Aufrüstung der Ukraine ein grosses Problem.

«Ersatzrate kann nicht mit Abnutzungsrate mithalten»

Laut Keupp wird Putin den Krieg strategisch verlieren, da «die russische Produktions- bzw. Ersatzrate nicht mithalten kann mit der Abnutzungsrate.» Ein eindrückliches Beispiel sind die russischen Panzer: Während Russland angibt, 400 bis 500 neue Panzer pro Jahr produzieren zu können, werden täglich vier bis fünf im Krieg zerstört – rund 1500 pro Jahr.

Wie lange kann Putin den Krieg noch weiterziehen?
Foto: keystone-sda.ch
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Dieses Problem sieht auch der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu. Gegenüber der russischen Zeitung «Kommersant» betonte er, dass die russische Rüstungsproduktion dringend gesteigert werden müsse – ansonsten könne das momentane Verschleissniveau bald nicht aufrechterhalten werden.

Putin im All-in-Modus

«Putin weiss, dass er keine Zeit hat, deswegen geht er im Berserker-Modus all-in», erklärt Keupp. So versuche er momentan, eine wichtige Nachschubroute für einen Teil der Donbass-Front zu blockieren.

Die Ukrainer ziehen sich derweil in kleinen Schritten zurück – die Mittel reichen angesichts der verzögerten Hilfspakete-Lieferungen noch nicht aus, um ein russisches Vorrücken zu verhindern. Jedoch versuchen sie, den Truppen das Vorrücken so schwer wie möglich zu machen. So soll die Verschleissrate in die Höhe getrieben werden. «Die Ukraine versucht, die Russen auszubluten», so Keupp weiter.

Doch auch diese Strategie der Russen dürfte langfristig keine Früchte tragen: «Die momentanen Vorstösse reichen nicht», führt der Militärökonom aus. «Es reicht auch nicht, den Donbass einfach zu besetzen. Sobald die westliche Logistik ankommt, beginnt die Ukraine, ihn dort zu beschiessen, wo er steht.»

Putin werde keine Chance haben, eroberte Gebiete zu halten. Aus Keupps Sicht steht Putin vor demselben Problem wie Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg. «Die Amerikaner schoben im Zweiten Weltkrieg über den persischen Korridor mehr und mehr Ressourcen in die Sowjetunion rein, nach 1943 wurde Hitler immer weiter zurückgedrängt.»

Europa muss mutiger werden

Keupp fordert, dass der Westen mutiger wird und sich von der russischen Propaganda nicht beeindrucken lässt – er sieht den Krieg auch als Folge des westlichen Appeasements. Länder wie Frankreich oder Polen gingen mit gutem Beispiel voran. Macron erwägt etwa, europäische Truppen in die Ukraine zu schicken – und auch Waffenlieferungen sind ein Thema. Für Keupp ist das ein Zeichen für einen Politikwechsel. (zun)

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