«Ich fühle mich viel sicherer als vorher»
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Finnischer Generalstabschef:«Ich fühle mich viel sicherer als vorher»

Finnen-General über Nato-Beitritt, Atomwaffen und die Schweizer Armee
«Wir sind bereit, jeden Quadratmeter zu verteidigen»

Finnland ist am Dienstag in die Nato aufgenommen worden. Ein Schritt, der ganz Europa betrifft. Werden nun Atomwaffen stationiert? Wie reagiert Putin? Blick hat den finnischen Vize-Armeechef Vesa Virtanen (56) in Helsinki zum Interview getroffen.
Publiziert: 04.04.2023 um 18:25 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Mit «Grüezi metenand» begrüsst Vesa Virtanen (56), Generalstabschef und Vize-Befehlshaber der finnischen Armee, den Blick-Redaktor und seine eigene Presseangestellte, die ihn in einem nüchtern eingerichteten Raum des finnischen Verteidigungskommandos in Helsinki zum Interview erwarten.

Virtanen kennt die Schweiz gut, weil er seit den 1970er Jahren mit einer Familie aus dem Kanton Glarus befreundet ist. So seien ihm das Martinsloch, das Suworow-Haus und natürlich auch Vreni Schneider bestens bekannt, sagt er.

General Virtanen ist erleichtert. Seit Dienstag ist Finnland offiziell Mitglied der Nato. Blick erklärt er, was die Mitgliedschaft für sein Land und Europa bedeutet – und wie gross er die Gefahr einer russischen Aggression einschätzt.

Freut sich über den Nato-Beitritt: LtGen Vesa Virtanen vor dem Denkmal für die finnischen Soldaten, die beim russisch-türkischen Krieg von 1877/78 gefallen sind.
Foto: Guido Felder
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General Virtanen, am Dienstag ist Finnland Mitglied der Nato geworden. Fühlen Sie sich nun sicherer?
Natürlich. Der Hauptpunkt liegt darin, dass unsere Mitgliedschaft vorbeugenden Charakter hat und die Schwelle, uns anzugreifen, massiv erhöht. Bisher waren wir auf uns alleine gestellt, jetzt sind wir Teil der grossen Familie.

Welche Folgen hat die Mitgliedschaft für die Armee?
Wir pflegen schon seit den 1990er Jahren eine enge Zusammenarbeit mit der Nato. Neu wird für uns sein, dass wir nicht nur unser eigenes Land, sondern auch die verbündeten Nato-Länder verteidigen müssen.

Wie präsent ist die russische Bedrohung im Alltag der Finnen?
Es geht weniger um Bedrohung, sondern eher ums Bewusstsein, dass hinter unserer östlichen Grenze Russland liegt, mit dem wir schon in mehrere Kriege verwickelt waren. Diese Information wird den Finninnen und Finnen in der Muttermilch mitgegeben.

Wie schätzen Sie die aktuelle Gefahr einer russischen Aggression gegenüber Finnland oder anderen westlichen Ländern ein?
Zurzeit ist sie sehr klein. Die Truppen, die an der finnischen Grenze stationiert waren, wurden in die Ukraine abgezogen. Aber die Lage kann sich jederzeit ändern.

Die Mitgliedschaft Finnlands und später wohl auch Schwedens verändert die Nato in Europa. Wie soll sich das Verteidigungsbündnis in Zukunft aufstellen?
Wenn wir und später auch Schweden in die Nato eintreten, ist der Norden Europas auf der Nato-Karte kein weisser Fleck mehr. Es wird Anpassungen geben müssen. Zurzeit diskutieren wir über die Kommandostruktur.

Wird Finnland zum Standort von Nuklearwaffen?
Wir schliessen generell nichts aus. Aber ich sehe keine Entwicklung, die dies erfordern würde.

Braucht es in anderen europäischen Ländern ein Aufrüsten mit atomaren Waffen?
Auch da sehe ich aktuell keine Notwendigkeit dafür.

Der Kreml hatte auf die Ankündigung zum Nato-Beitritt heftig reagiert und mit der Stationierung von Nuklearwaffen an der finnischen Grenze gedroht. Welche Reaktion von Russland erwarten Sie jetzt?
Es ist bisher ruhig geblieben und wird es vermutlich auch bleiben. Moskau hat sich schon zuvor darauf eingestellt und damit abgefunden, dass wir in absehbarer Zeit der Nato beitreten würden.

Die Grenze zur Russland ist über 1300 Kilometer lang. Wie verteidigen Sie diese Schwachstelle?
In Friedenszeiten ist natürlich nicht die ganze Grenze mit Militäreinheiten gesichert. Wir arbeiten dann mit dem Grenzschutz zusammen. Bei Gefahr mobilisieren wir Truppen, die wir an bestimmten Orten positionieren. Im Moment ist dies nicht der Fall.

Sieht Ihre Verteidigungsstrategie vor, bei einem Angriff und mangelnder Verteidigungskraft gewisse Gebiete aufzugeben? So, wie das die Schweiz mit dem Réduit-Gedanken im Zweiten Weltkrieg getan hätte?
Nein. Wir sind bereit, jeden Quadratmeter unseres Landes zu verteidigen.

Wie, glauben Sie, wird der Ukraine-Krieg enden?
Das weiss niemand. Im Moment sehe ich aber keine militärische Lösung, um den Konflikt zu beenden. Es wird wohl auf politische Verhandlungen hinauslaufen müssen.

Wie hilft Finnland der Ukraine?
Wir haben die Ukrainer trainiert und geben ihnen viel Material.

Welches Material?
Das verraten wir nicht, damit der Gegner nicht weiss, was die Ukrainer bekommen und was wir nicht mehr haben.

Waffen?
Ja. Auch schwere Waffen und Munition sowie viel Material wie Zelte. Mehr kann ich nicht ins Detail gehen.

Heute besteht eine finnisch-schweizerische Zusammenarbeit bei der Wartung der F/A-18. Wie sehen Sie die zukünftige Kooperation der beiden Armeen?
Auch für den Unterhalt der F-35, die ja beide Länder bestellt haben, wird es eine Zusammenarbeit beim Unterhalt geben.

Spielte diese eingespielte Kooperation mit beim Entscheid, dass beide Länder das gleiche Flugzeug kaufen?
Überhaupt nicht. Es ist einfach der beste Jet. Wir haben davon 64 Stück für rund zehn Milliarden Euro bestellt.

Schweizer Kampfpiloten trainieren hie und da in Norwegen und Schweden. Wären sie auch in Finnland willkommen, um den tiefen Luftkampf und nächtliche Manöver zu üben, deren Training in der Schweiz kaum möglich ist?
Warum nicht? Wir haben sehr gute Trainingsmöglichkeiten.

Finnland hat am Sonntag eine neue Regierung gewählt. Was ändert sich in der Ausrichtung der finnischen Armee und der Verteidigungspolitik?
Mit Russland als Nachbarn haben wir in Finnland alle das gleiche Verständnis für Verteidigung und Sicherheit. Das zeigte sich unter anderem im Wahlkampf. Mit der neuen Regierung wird sich daher kaum etwas verändern. Es ist unser aller Ziel, Sicherheit für unser Land zu gewährleisten.

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