«Ich will mit solchen Männern gar nicht in den Kampf ziehen»
Ukraine-Scharfschütze spricht Klartext über Probleme an der Front

Ein ukrainischer Scharfschütze spricht in einem Interview über den Zustand der eigenen Armee, warum er enttäuscht ist vom Staat und wieso dieser Sommer besonders hart wird.
Publiziert: 28.03.2024 um 11:17 Uhr
|
Aktualisiert: 28.03.2024 um 12:42 Uhr

Er kennt die Front ganz genau: Konstantin P.* (53) kämpft jeden Tag gegen die Russen – und das seit zwei Jahren. Der Scharfschütze mit dem Rufnamen «Ded» hat sich zur Situation an der Front in einem Videointerview mit dem ukrainischen Youtube-Blogger und Politik-Experten Juri Romanenko geäussert. Und er befürchtet, dass die nächsten Monate schlimm werden.

«Im Sommer 2022 waren wir frisch und fit und haben uns im Laufe der Zeit an die westlichen Waffen gewöhnt. Letzten Sommer starteten wir dann unsere Gegenoffensive, die nicht wie gewünscht verlief. Jetzt – wo die Hilfslieferungen zurückgehen – hat sich unsere Position verschlechtert», erklärt «Ded». Deswegen werde der Sommer 2024 viel härter werden. Er glaube nicht, dass den Ukrainern irgendwelche grösseren Durchbrüche gelingen werden. «Und es ist leider möglich, dass wir auch noch Territorien verlieren.»

«Ich will mit solchen Männern gar nicht in den Kampf ziehen»

Bereits im August 2023 äusserte sich der Scharfschütze. Damals auch zu den prekären Zuständen im ukrainischen Militär. Wie er damals sagte, seien schwer kranken Ukrainern Waffen in die Hände gedrückt worden und sie seien in den Krieg geschickt worden. «Die Männer werden unvorbereitet an die vorderste Front geschickt», meinte er.

Der Scharfschütze schätzte die Lage an der Front in einem Interview.
Foto: Youtube
1/6

Und auch jetzt sehe es nicht besser aus. «Sie fangen ein paar Männer ein und bringen sie zu uns an die Front. Die sagen uns dann, sie wollen gar nicht hier sein. Ich will mit solchen Männern gar nicht in den Kampf ziehen, weil ich dann auch sterben werde. Wir müssen aber unsere Leben schützen, weil uns keiner ersetzen kann.» Das müsse auch die militärische und politische Führung im Land begreifen.

«Putin kann ohne Probleme 100'000 weitere Männer rekrutieren»

Als eines der grössten Probleme sieht Konstantin P. die gesellschaftlichen Folgen des Krieges. Kriegsrückkehrer müssten aufgefangen werden, dies geschehe aber viel zu selten. «Ich kenne einen 60-Jährigen, der im Krieg schwer verletzt wurde und dann in der U-Bahn betteln musste und am Schluss an seinen Krankheiten starb. Ich möchte, dass solche Männer nach dem Krieg nicht betteln müssen, sondern dass sich der Staat um sie sorgt und ihnen einen Job besorgt. Aber dieser kümmert sich nicht um solche Leute.»

Gleichzeitig hätten die Russen kein Nachschub-Problem. «Während des ganzen Krieges haben die Soldaten, die wir gefangen genommen haben, als Hauptmotiv, warum sie hier sind, Geld angegeben. Deswegen ist es für uns klar, dass Putin ohne Probleme 100'000 weitere Männer rekrutieren kann, oder eben so viele, wie er braucht. Denn Finanzen sind kein Problem für ihn.» Das Ziel der Russen sei es jetzt, noch so viel ukrainisches Territorium zu erobern, wie möglich.

Aktuell deute alles darauf hin, dass sich die Fronten verhärten würden. Bis Ende des Jahres könnten die Ukraine und Russland noch Gebiete erobern. Spätestens dann oder in der ersten Hälfte 2025 werde es nicht unbedingt zu einem Waffenstillstand, aber «zu einem Einfrieren der aktiven Operationen an der Front» kommen, so Scharfschütze «Ded».

* Name bekannt 

Fehler gefunden? Jetzt melden