«Es ist ok, Israel zu kritisieren und den Palästinensern zu helfen»
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Israels Botschafter tritt ab:«Es ist ok, den Palästinensern zu helfen»

Israels Botschafter Jacob Keidar über den Nahostkonflikt, die Schweiz und die Zukunft seines Landes
«Es ist ok, Israel zu kritisieren und den Palästinensern zu helfen»

Nach fünf Jahren in der Schweiz kehrt Botschafter Jacob Keidar (64) nach Israel zurück. Im Blick-Interview äussert er sich über die Chancen auf Frieden in Nahost – und was er an der Schweiz so sehr schätzt.
Publiziert: 11.06.2021 um 07:21 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2023 um 07:09 Uhr
Interview: Guido Felder

Die israelische Botschaft in Bern ist sicherer als ein Flughafen. Obwohl vorgängig alle elektronischen Teile angemeldet werden mussten, scannen zwei Sicherheitsangestellte die Mappen der Blick-Reporter mehrere Male. Der Weg ins Botschaftsgebäude führt über zwei Sicherheitsschleusen.

In dieser Festung arbeitet Jacob Keidar (64) seit fünf Jahren als Botschafter in der Schweiz. Nun kehrt er wieder zurück in sein Land, das in einer der gefährlichsten Regionen der Welt liegt. Blick empfing er zum Abschiedsinterview.

Als israelischen Botschafter muss man Sie natürlich als Erstes zum aktuellen Konflikt mit den Palästinensern befragen. Sind denn die Palästinenser an allem schuld?
Jacob Keidar: Nein. Das Problem liegt nicht bei den Palästinensern, sondern bei der radikalen islamistischen Hamas. Sie verhindert die Friedensbemühungen mit Angst und Terror.

Ist fasziniert vom Schweizer Polit-System: der israelische Botschafter Jacob Keidar.
Foto: Philippe Rossier
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Wie kann der Nahe Osten zur Stabilität und somit zu Frieden gelangen?
Wir sind auf dem richtigen Weg. Dank dem Abraham-Abkommen, das von Donald Trump gefördert wurde, unterhalten wir nun wieder Beziehungen zu mehreren arabischen Ländern. Israel hat in der Region immer mehr Partner, was Vertrauen und Stabilität fördert. Dies hilft auch für künftige Verhandlungen mit den Palästinensern und schliesslich für die Friedensfindung.

Gibt es Punkte für eine Konfliktlösung, in denen Israel entgegenkommen könnte? Zum Beispiel bei den umstrittenen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet?
Die Siedlungen waren nie das Hauptproblem. Die Araber haben uns schon vor dem Sechstagekrieg von 1967 nicht akzeptiert, als es noch keine Siedlungen gab. Für die Friedensverhandlungen gilt für mich: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Botschafter kehrt zurück

Nach fünf Jahren tritt Jacob Keidar (64) Ende Juli turnusgemäss als israelischer Botschafter in der Schweiz zurück. Bis zur Pensionierung (in Israel mit 67 Jahren) wird er im Aussenministerium in Israel arbeiten. Keidar war zuvor unter anderem Generalkonsul in Shanghai, Botschafter in Kenia für mehrere Staaten sowie im Aussenministerium Generalinspektor und Direktor für die Koordination von Friedensgesprächen. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Nach fünf Jahren tritt Jacob Keidar (64) Ende Juli turnusgemäss als israelischer Botschafter in der Schweiz zurück. Bis zur Pensionierung (in Israel mit 67 Jahren) wird er im Aussenministerium in Israel arbeiten. Keidar war zuvor unter anderem Generalkonsul in Shanghai, Botschafter in Kenia für mehrere Staaten sowie im Aussenministerium Generalinspektor und Direktor für die Koordination von Friedensgesprächen. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

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Wie empfinden Sie die Berichterstattung und die Reaktionen in der Schweiz zum Nahostkonflikt?
Es wird viel berichtet, aber manchmal mangelt es an richtiger und umfassender Information. Das Problem liegt vor allem bei den sozialen Medien. Viele Leute sind zu faul, um das komplexe Thema verstehen zu wollen. Sie sehen oft nur die Bilder und die Titel.

Wie erklären Sie den Schweizern den Konflikt?
Man muss wissen, dass Israel die Palästinenser nicht kontrollieren will, sondern eine Lösung mit ihnen anstrebt. Eine Lösung gibt es aber nur, wenn der Terrorismus und die Aggression der Hamas gestoppt werden und sie keine Raketen mehr nach Israel abschiessen.

Wie kann man die Hamas stoppen?
Zum Beispiel, indem man sie als Terrororganisation einstuft. Immer mehr Länder machen das, die Schweiz bisher leider noch nicht.

Es gibt auch in der Schweiz immer mehr propalästinensische Stimmen. Eine davon ist die Gesellschaft Schweiz-Palästina, die vom Aargauer Grünen-Politiker Geri Müller präsidiert wird. Macht Ihnen das Angst?
Israel zu kritisieren, ist ok, den Palästinensern zu helfen, ebenso. Wenn aber die Existenzberechtigung Israels verneint und zum Boykott aufgerufen wird, geht es in Richtung Antisemitismus. Ich denke, dass da zum Teil eine Linie überschritten wird.

Der Sohn des aktuellen Premierministers Benjamin Netanyahu hat die Schweiz indirekt für deren neutrale Haltung kritisiert. Was halten Sie von der Einstellung des Bundesrats zum Nahostkonflikt?
Die Tatsache, dass die Schweiz neutral ist, ist von grosser Bedeutung. Sie ermöglicht, dass auch die grössten Feinde in Kontakt stehen und Verhandlungen stattfinden können.

Israel steht politisch vor einer Neuausrichtung. Am Sonntag soll eine neue, bunt zusammengewürfelte Regierung bestätigt werden. Ist es eine Chance, dass der starke Mann Netanyahu nun weg ist?
In der israelischen Politik ist nie etwas definitiv, es kann alles in kurzer Zeit wieder ändern. Von der neuen Regierung bin ich überzeugt, dass sie sehr engagiert an die Arbeit geht. Ich hoffe einfach, dass es ihr gelingt, das Budget durchzubringen und für Stabilität zu sorgen.

Was erhoffen Sie sich vom Biden-Putin-Gipfel bezüglich Nahostkonflikt?
Unsere grösste Bedrohung ist der Iran. Für uns ist es wichtig, dass das Atomprogramm und der Einfluss Irans im Nahen Osten gebremst werden. Die Iraner haben überall ihre Hände im Spiel.

Sie haben fünf Jahre in der Schweiz gearbeitet. Was haben Sie über das Land gelernt?
Mich beeindrucken die direkte Demokratie, der Föderalismus und wie man trotz unterschiedlichen Meinungen immer einen Konsens findet. Zudem funktioniert alles perfekt. Darauf können Sie ruhig stolz sein!

Was haben Sie für Träume?
Wenn ich nach Israel zurückkehre, möchte ich die Arbeit fortsetzen, die ich als israelischer Botschafter in Kenia und als Leiter der Nahostabteilung im Aussenministerium geleistet habe. Dort konnten wir Entwicklungsprojekte wie den Bau von Schulen, Wasserstationen und Zentren für behinderte Kinder umsetzen. Ich glaube, dass diese ein wichtiger Bestandteil sind, um die Zukunft unserer Kinder und der Kinder unserer Nachbarn zu sichern.

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