Ähnlich wie bei Corona kann auch eine heftige Grippeinfektion Langzeitfolgen haben. Darauf weisen US-Forscher im Fachjournal «The Lancet Infectious Diseases» hin.
Die Wissenschaftler um Ziyad Al-Aly von der Washington University School of Medicine in St. Louis stellten in ihrer Studie unter anderem fest, dass sowohl bei Corona als auch bei der Grippe in den ersten 30 Tagen nach Infektionsbeginn das Risiko für bestimmte schwere gesundheitliche Probleme geringer ist als in der Zeit danach. Es zeigte sich zudem, dass das Risiko schwerwiegender Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion im Durchschnitt höher ist als nach einer Grippe.
Lektion von Covid
«Flu» ist die Kurzform des englischen Begriffs für Grippe. Daher nennen Al-Aly und seine Kollegen die Langzeit-Auswirkungen der Grippe «Long Flu», in Anlehnung an die inzwischen gebräuchliche Bezeichnung «Long Covid».
«Eine wichtige Lektion, die wir von Sars-Cov-2 gelernt haben, ist, dass eine Infektion, von der ursprünglich angenommen wurde, dass sie nur eine kurze Krankheit verursacht, auch zu einer chronischen Krankheit führen kann», wird Al-Aly in einer Mitteilung seiner Uni zitiert.
Aussagen über Personen mit schwerer Erkrankung
Die Forscher beobachteten und verglichen über einen Zeitraum von 18 Monaten die gesundheitliche Entwicklung von Menschen, die wegen Corona oder Grippe ins Spital eingewiesen wurden. Es handelte sich um 81'280 Corona- und 10'985 Grippe-Patienten. Die Studie macht somit nur über Personen mit einer schweren Erkrankung Aussagen.
Im Vergleich zu Grippe-Patienten haben Corona-Patienten ein um 51 Prozent höheres Risiko zu sterben, wie die Studie zeigt. In neun von zehn untersuchten Organsystemen ist das Gesundheitsrisiko für Corona-Patienten grösser als für Grippe-Patienten. Einzig hinsichtlich der Lunge haben Grippe-Patienten ein höheres Risiko negativer gesundheitlicher Folgen.
Verlust gesunder Lebensjahre
Die Anzahl verlorener gesunder Lebensjahre beträgt bei Grippe 242,66 Jahre pro 100 Personen, in der Covid-19-Gruppe 287,43 Jahre.
Laut Al-Aly könnten Impfungen sowohl bei Covid-19 als auch bei der Grippe dazu beitragen, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern und das Risiko von Spitalaufenthalten und Todesfällen zu verringern. «Die Optimierung der Impfquote muss für Regierungen und Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt weiterhin Priorität haben», sagt der Wissenschaftler. Dies gelte insbesondere für ältere Menschen und Menschen mit geschwächtem Immunsystem.
BAG: Begriff irreführend
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bezeichnet den Begriff «Long Flu» auf Anfrage als «irreführend» und nicht wissenschaftlich gebräuchlich. «Es gibt kein neues Krankheitsbild. Schwerere oder längere Krankheitsverläufe inklusive Todesfälle gab es bei der Grippe schon immer», sagt Sprecher Simon Ming.
«Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass zum Beispiel nach einer Grippeerkrankung deutlich mehr Herzinfarkte verzeichnet werden. Auch können einige Komplikationen der Grippeerkrankung über Wochen oder sogar Monate anhalten», so Ming. Das seien beispielsweise Lungen- oder Herzprobleme oder neurologische Störungen. Grippe- und Coronaviren seien ausserdem nicht die einzigen Viren, die längerfristige Symptome oder Komplikationen auslösten.
Die Grippeimpfung kann laut Ming das Risiko reduzieren, dass man an einer Grippe erkrankt. «Sie senkt auch das Risiko von schweren oder längeren Krankheitsverläufen.» Im schweizerischen Impfplan wird allen Personen ab 65 Jahren, Menschen mit chronischen Erkrankungen oder einer Immunschwäche, Schwangeren, frühgeborenen Kindern sowie allen, die mit diesen Menschen privat oder beruflich engen Kontakt haben, die jährliche Grippeimpfung empfohlen.