Mysteriöse Erkrankungen
Drei Kreml-Kritikerinnen in Europa vergiftet?

Zwei im Ausland lebende russische Journalistinnen und eine Aktivistin berichten über Symptome wie Schmerzen, Schwindel und Erschöpfung. Experten glauben, eine Vergiftung könnte die Ursache sein.
Publiziert: 16.08.2023 um 14:44 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2023 um 15:57 Uhr
Die Journalistin Jelena Kostjutschenko bekam im Zug von München nach Berlin plötzlich gesundheitliche Probleme.
Foto: Instagram/@mirrorsbreath
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Auf den bekannten russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny (47) wurde 2020 ein Anschlag mit einer Variante des Nervengifts Nowitschok verübt. Er überlebte nur knapp. Jetzt berichtet das russische Nachrichtenportal «The Insider» über weitere mögliche Vergiftungsfälle. Bei den Betroffenen handelt es sich um drei Kritikerinnen der Regierung von Wladimir Putin (70), die im Ausland leben. Der Verdacht: Der Kreml verfolgte sie bis nach Europa und versuchte, sie mit Giftanschlägen auszuschalten.

Journalistin Jelena Kostjutschenko (35) berichtete im vergangenen Jahr für die inzwischen eingestellte russische Zeitung «Nowaja Gaseta» aus der Ukraine, beschrieb unter anderem Folter und Verschleppungen durch russische Soldaten. Eines Tages bekam sie einen Anruf ihres Chefredaktors. Sie dürfe keinesfalls nach Moskau zurückkehren, riet er ihr. Sie werde sonst umgebracht.

Im Zug nach Berlin setzten die Symptome ein

Kostjutschenko zog nach Berlin und begann, für das in Lettland operierende, oppositionelle russische Portal «Meduza» zu arbeiten. Als sie im Oktober beim ukrainischen Konsulat in München ein Visum für eine Ukraine-Reise beantragte, bekam sie auf dem Rückweg nach Berlin plötzlich Kopfschmerzen und begann, stark zu schwitzen. Sie schaffte es noch knapp nach Hause, obwohl sie Atmungsschwierigkeiten hatte. Am nächsten Morgen verspürte sie starke Schmerzen in der Wirbelsäule. Zudem fühlte sie sich derart schwindlig, dass sie fast nicht aufstehen konnte.

Die Journalistin litt fortan an Schlaflosigkeit, zudem war ihr häufig übel. Mit der Zeit traten neue Symptome, wie ein geschwollenes Gesicht, geschwollene Finger und Zehen, auf. Die untersuchenden Ärzte tappten über die Ursachen im Dunkeln. Als sich Kostjutschenko schliesslich zweieinhalb Monate nach dem Auftreten der ersten Symptome hinsichtlich einer möglichen Vergiftung untersuchen liess, wurde nach Angaben einer Quelle von «The Insider» eine Substanz in stark erhöhter Form nachgewiesen. Um welchen Stoff es sich dabei handelt, wird nicht erwähnt.

Die vom Nachrichtenportal kontaktierten Experten glauben, dass Kostjutschenko vergiftet wurde. Bis auf die Erschöpfung sind die Symptome inzwischen verschwunden.

Parfümgeruch, mineralischer Geschmack

Einen ähnlichen Leidensweg beschreibt Natalija Arno, Präsidentin der Stiftung Freies Russland. Arno nahm im Mai an einer Veranstaltung in der tschechischen Hauptstadt Prag teil, worauf sie ins Hotel zurückkehrte und eine offene Zimmertür sowie starken Parfümgeruch bemerkte. Sie entwickelte daraufhin starke Schmerzen, die durch ihren Körper wanderten, und Taubheit in den Gliedmassen. Zudem sah sie unscharf und hatte einen mineralischen Geschmack im Mund.

Arno kehrte umgehend an ihren Wohnort nach Washington zurück und liess sich dort ärztlich untersuchen. Die US-Strafverfolgungsbehörden griffen ihren Fall auf. Die Ärzte teilten Arno mit, sie sei mit einer neurologischen Substanz vergiftet worden. Um welches Gift es sich handelt, gaben sie nicht an. Die Ergebnisse einer toxikologischen Analyse sind noch nicht bekannt.

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«Ich hatte grosse Angst.»
Irina Bablojan, Journalistin
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Die Journalistin Irina Bablojan (36) berichtet für den liberalen Radiosender Echo Moskau aus Georgien. In einer Oktobernacht wachte sie plötzlich mit Schwindel und einem Schwächegefühl auf. Später verfärbten sich ihre Handflächen und Füsse lila und brannten. Trotz der Symptome reiste Bablojan in die armenische Hauptstadt Eriwan. Dort verschlechterte sich ihr Zustand. «Ich hatte grosse Angst», erzählt die Journalistin.

Bablojan beschreibt einen metallischen Geschmack im Mund, Schlaflosigkeit und Schmerzen. Zudem breiteten sich Rötungen auf ihrer Haut aus. Die 36-Jährige dachte zuerst nicht an die Möglichkeit einer Vergiftung und konsultierte deshalb nicht umgehend einen Toxikologen. Nach Ansicht von Experten, die mit «The Insider» sprachen, erscheint eine Vergiftung jedoch plausibel. (noo)

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