«Wir werden hier auf unserem Land sterben»
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Siedler wollen ihn vertreiben:«Wir werden hier auf unserem Land sterben»

Während alle auf Gaza blicken
Israelische Siedler fahren im Westjordanland die Gewalt gegen Palästinenser hoch

Im Westjordanland leben Palästinenser und Israelis. Doch seit dem 7. Oktober ist es für Palästinenser schwerer geworden, zu ihren Jobs in israelischen Gebieten zu gelangen. Und: israelische Siedler nutzen den Fokus auf den Gaza-Streifen, um Palästinenser zu vertreiben.
Publiziert: 16.11.2023 um 13:48 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2023 um 10:49 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

«Wir warten auf den Bus und schauen, ob er kommt. Wenn er nicht kommt, ist der Kontrollpunkt geschlossen», sagt ein palästinensischer Arbeiter aus dem Westjordanland zu CNN auf dem Weg zur Arbeit.

Das Auto kann er nicht nehmen, denn die dürfen den israelischen Kontrollpunkt derzeit nicht überqueren. Trotz einer Genehmigung, die ihm erlaubt, im israelischen Gebiet der Westbank, wie das Westjordanland auch genannt wird, zu arbeiten, muss der Mann zwei Kontrollpunkte dafür überqueren.

Doch viele sind seit dem 7. Oktober, dem Überfall der Terror-Gruppe Hamas auf Israel, zu. Die Bewegungsfreiheit für Palästinenser wurde verschärft, die Sicherheitskontrollen hochgefahren. «Hier gibt es keine Zukunft. Keine Lösung», sagt ein Lehrer aus der Stadt Hebron.

So sieht das Zuhause einer palästinensischen Familie aus Wadi al Seeq aus, nachdem israelische Siedler eingedrungen sind.
Foto: AFP
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Städte und Dörfer voneinander isoliert

Auf dem 5800 Quadratkilometer grossen Westjordanland leben drei Millionen Menschen. Darunter schätzungsweise 2,5 Millionen Palästinenser und nach Angaben der Friedensorganisation «Peace Now» 500'000 Jüdinnen und Juden. Sie leben in mindestens 213 Siedlungen.


1990 wurde die Westbank im Rahmen der Friedensvereinbarungen von Oslo in die drei Zonen A, B und C geteilt. Die Siedlung A (60 Prozent) befindet sich komplett unter israelischer, B unter gemeinsamer (20 Prozent) und C unter palästinensischer Kontrolle (20 Prozent).

Städte und Dörfer in den Gebieten A und B sind komplett voneinander isoliert und durch Zäune geschützt. Palästinenser, die von einem Dorf in das nächste reisen, müssen israelische Siedlungsgebiete durchqueren. Wenn die Kontrollpunkte geschlossen sind, wie es seit dem 7. Oktober häufiger geschieht, dürfen Palästinenser nicht passieren.

Siedlungspolitik von vielen verurteilt

In den Friedensvereinbarungen von Oslo wurde unter anderem festgehalten, dass die Kontrolle der A- und teilweise auch der B-Zone des Westjordanlands schrittweise der palästinensischen Autonomiebehörde gegeben wird. Doch stattdessen verstärkte sich Israels Siedlungspolitik. Laut der internationalen Staatengemeinschaft ist das völkerrechtswidrig. Israel hingegen pocht darauf, dass der Ausbau der Siedlungen «legal» sei.

Schon im Februar hatten Siedler nach einem Mord an zwei Israelis in der Stadt Huwara palästinensische Geschäfte und Autos angezündet und einen Palästinenser getötet – auch israelische Beobachter sprachen danach von einem «Pogrom». Seit den Hamas-Attacken auf das israelische Volk hat die Gewalt von israelischen Siedlern gegen Palästinensern jedoch einen neuen Höhepunkt erreicht. «Sie sagten: Ihr müsst diesen Ort verlassen. Wenn nicht, erschiessen wir euch», sagt eine Frau aus dem Dorf Khirbit Susiya zur «Deutschen Welle».

«Sie kommen nachts, wenn wir schlafen, und schlagen und vertreiben uns», berichtet eine andere Frau weinend gegenüber CNN. Ihr einziger Ausweg: die Flucht. «Das ist eine Katastrophe. Ich bin 60 Jahre alt, ich habe hier mein Leben verbracht. Wir haben dieses Stück Land von unseren Vorfahren geerbt», so eine Palästinenserin. Und: «Der Krieg in Gaza hat die Siedler nur ermutigt, sich mehr Land zu nehmen.»

«Wir werden mit allen Mitteln gegen sie vorgehen»

Seit den Angriffen der Hamas wurden laut der israelischen Menschenrechtsgruppe «B'Tselem» mindestens 15 Gemeinschaften gewaltvoll von ihrem Land vertrieben. Etwa tausend Menschen haben laut den Vereinten der Nation bereits ihr Zuhause verloren. «Das ist eine neue Stufe. Sie greifen Palästinenser nicht mehr nur an, wenn sie draussen auf dem Feld sind und ernten. Sie dringen in die palästinensischen Gemeinschaften ein, verbrennen ihre Häuser, schlitzen Wassertanks auf, schlagen Menschen, bedrohen Frauen und Kinder», warnt der israelische Aktivist Yahuda Shaul. Die Situation sei alarmierend.

«Die Siedler nutzen es aus, dass alle auf Gaza blicken, und erhöhen ihre Gewalt. Denn es gibt keinen Schutz durch die israelische Armee oder die israelische Polizei», so Shaul weiter. Mittlerweile musste auch die israelische Regierung auf die Vorwürfe reagieren. «Es gibt eine winzige Handvoll Menschen, die diese Öffentlichkeit nicht repräsentieren und die das Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen», sagte Benjamin Netanyahu (74) am Mittwoch über die extremistischen Siedler. Und: «Wir sind nicht bereit, dies zu tolerieren. Wir werden mit allen Mitteln gegen sie vorgehen.»

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